58 Prozent der Europäer haben nicht genug Geld für eine "würdige Existenz"

Nach einer Umfrage geht es den Deutschen relativ gut, aber ein Viertel hat auch hier zu wenig Geld, 21 Prozent hatten Probleme, ihre Schulden zu begleichen

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Die Zinsen sind auf einem Tiefstand. Das Geld sollte also auch bei den Verbrauchern locker sitzen, da es sich nicht lohnt, es zu sparen. Zumindest viele Europäer leben allerdings nicht nach der Devise, den Augenblick zu genießen, sondern wollen gleichwohl vorsorgen, wenn schlechtere Zeiten kommen. Und die haben manche Europäer gerade hinter sich oder leben noch in ihnen.

Das in Stockholm sitzende Unternehmen Intrum Justitia AB, das Credit-Management- und Inkassodienstleistungen anbietet und Europas größter Eintreiber von Kreditschulden ist, stellte in seinem European Consumer Payment Report mit Stand September 2016 fest, dass 69 Prozent der Europäer Geld auf Bankkonten sparen - mit praktisch Null Zinsen und der Drohung, dass sie bald womöglich negative Zinsen zahlen müssen. Der Bericht enthält Angaben von 21.000 EU-Bürgern aus 21 EU-Mitgliedsstaaten.

Mit 26 Prozent behalten aber auch viele Menschen ihr Erspartes oder Überschüssiges mitunter auch als Bargeld, möglicherweise irgendwo unter dem Kopfkissen. Erst dann kommen Aktien (16%) oder Investmentfonds (14%) als Anlagen, jeweils 8 Prozent investieren in Immobilien oder Wertpapieren. Selbst in Dänemark oder Schweden, wo die Zentralbank negative Zinsen vergibt, legen trotzdem fast 80 Prozent ihr Geld auf Bankkonten an, in anderen Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den Niederlanden sind es mehr als 80 Prozent.

Europaweit sagen 24 Prozent, sie würden gerne ihr Land wegen der Finanznöte verlassen. 27 Prozent geben an, sie könnten manchmal ihre Schulden nicht bezahlen - und 58 Prozent sind der Überzeugung, dass sie nicht genug Geld für "eine würdige Existenz" haben, wobei offen bleibt, was darunter verstanden wird. Nur 20 Prozent sind der Meinung, dass ihre finanzielle Situation besser werden wird. Am schwierigsten scheint es in Griechenland zu sein, Dänemark und erstaunlicherweise Spanien haben den geringsten Anteil an verspäteten Zurückzahlungen, auch hier betrifft es noch 31 Prozent der Bevölkerung, die im letzten Jahr einmal Schwierigkeiten hatten, ihre Schulden zu begleichen.

Das sollte Politiker bedenklich stimmen, denn hier schlummert Protestpotential, das sich bislang eher in den rechten Parteien und Bewegungen sammelt. Mikael Ericson, der Präsident von Intrum Justitia, kommentiert: "Die Ergebnisse zeigen, dass ein erheblicher Teil aller Haushalte kämpft und dass viele gezwungen sind, sich Geld zu leihen, um Rechnungen zu bezahlen. Unsere Daten zeigen auch, dass Menschen, die früh in ihrem Leben Schulden aufnehmen, auch in höherem Alter verschuldet bleiben."

Bei unvorhergesehenen Rechnungen über 1000 Euro gibt es Probleme

In Deutschland geht es den Menschen nach Intrum Justitia noch relativ gut. Nur 21 Prozent geben an, im letzten Jahr Probleme gehabt zu haben, ihre Schulden zu bezahlen, 39 Prozent konnten mindestens eine Rechnung nicht rechtzeitig bezahlen. Zur Schuldenaufnahme wenden sich mit 47 Prozent die meisten Deutschen an Banken, zu 36 Prozent an die Familie und zu 30 Prozent an Freunde. Aber auch in Deutschland sagen 24 Prozent der Befragten, sie hätten zu wenig Geld für eine würdige Existenz.

90 Prozent der Befragten sind dennoch überzeugt, ihre finanzielle Situation unter Kontrolle zu haben. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern glauben mit 42 Prozent sogar mehr an eine bessere Zukunft als 2015, wo dies 38 Prozent sagten. Entsprechend ist der Anteil derjenigen von 45 auf 38 Prozent gesunken, die glauben, es sei keine Besserung in Sicht. Das sind aber immer noch weit mehr als ein Drittel Unzufriedene und in Sorgen Lebende. Das zeigt sich auch daran, dass nur 55 Prozent eine unvorhergesehene Rechnung in Höhe von 1.100 Euro begleichen könnten, ohne sich Geld zu leihen. Da ist also bei vielen nicht viel Überschüssiges oder Erspartes vorhanden. Tatsächlich können sich 59 Prozent leisten, etwas beiseite zu legen. Das sind durchschnittlich 341 Euro im Monat: für Unvorhergesehenes, Reisen, Konsumzwecke oder den Ruhestand.