Neue Mitte-Studie: Gespaltenes Deutschland

Grundgesetz-Installation. Foto: Sebastian Bergmann/CC BY-SA 2.0

Die Friedrich-Ebert-Stiftung nimmt nun auch die "neurechte Einstellungen" in den Blick und stellt zunehmende feindselige Haltungen in einer sich radikalisierenden Minderheit fest

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Im Volltext hat die Studie "Gespaltene Mitte, feindselige Zustände" der Friedrich-Ebert-Stiftung 241 Seiten. Es ist viel Material, das hier aufgefächert wird, um eine These zu belegen, die im kurzen Titel schon anklingt, und in der Zusammenfassung eine erstaunliche hohe Prozentzahl nennt und dazu eine Zusammenballung von Begriffen, die man früher eher auf dem Klappentext eines dystopischen Romans vermutet hätte denn in einer Studie zum geistigen Zustand der Republik:

Verschwörungsmythen in Bezug auf eine vermeintliche Unterwanderung durch den Islam, die Behauptung eines Meinungsdiktats, eine Beschimpfung des "Establishments" als illegitim, verlogen und betrügerisch, die Forderung nationaler Rückbesinnung gegen die EU und der Aufruf zum Widerstand gegen die aktuelle Politik bilden ein zusammenhängendes neurechtes Einstellungsmuster, das von fast 28% der Bevölkerung vertreten wird.

Friedrich-Ebert-Stiftung

Fast 28 Prozent Zustimmung für eine Einstellungskonfiguration, die als "neurechts" bezeichnet wird, das ist beachtlich. Befragt wurden von Juni bis August 2016 über Telefon (CATI) 1.896 repräsentativ ausgewählte Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die Auswertung ergab zum Teil erstaunliche Einzelergebnisse.

Zum Beispiel, dass 40% aller Befragten meinen, die deutsche Gesellschaft würde durch den Islam unterwandert. Auch das ist ein höherer Prozentsatz, als man ihn hätte erwarten können. 28 Prozent denken, dass die regierenden Parteien das Volk betrügen. Genau so viele beklagen, dass man in Deutschland seine Meinung nicht mehr frei äußern könne, ohne Ärger zu bekommen.

29 Prozent finden, dass es Zeit sei, "mehr Widerstand gegen die aktuelle Politik zu zeigen". Beim Wort "Widerstand" kommt das Neue am deutschen Herbst 2016 ins Spiel: die Radikalisierung auf der rechten Seite. Das ist ein Ergebnis der neuen Mitte-Studie, wie sie kurz genannt wird.

Hohe Gewaltbereitschaft bei einer Minderheit

Sie macht kenntlich, worüber schon seit längerem schon in Berichten und Meinungsäußerungen geschrieben und gesprochen wird: Neben der bürgerlichen Mehrheit, die sich mit dem Demokratiebetrieb einverstanden zeigt, hat sich eine starke Minderheit herangebildet, die Meinungen vertritt, die von den Soziologen als "menschenfeindlich" bezeichnet werden.

Die brisanten Aspekte, welche die Studie daran anknüpft, ist einmal die Durchlässigkeit der bürgerlichen Mitte für Facetten "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" aus dem rechten Lager und zum anderen Frage der Bereitschaft, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Gewalt umzusetzen.

Die Berichtsverfasser sehen diese Gefahr bei einer "vergleichsweise kleinen, jedoch mit Blick auf politische Einstellungen radikale Gruppe". Veranschaulicht wird dies an einer 7-Prozent-Antwort (zu finden auf der letzten Seite der 8-seitigen Zusammenfassung zentraler Ergebnisse). Dort ist auch die Grundthese der Studie in kurzer Form wiedergegeben:

Es gibt eine breite demokratische Mitte in Deutschland, die für Gleichwertigkeit und Demokratie eintritt und Gewalt ablehnt. Allerdings ist auch eine kleine protestbereite Gruppe vorhanden, die in hohem Maße gewaltbereit ist und der Demokratie skeptisch gegenübersteht.(...)

Ergebnis der Studie "Gespaltene Mitte-Feindselige Zustände"

Nur 7 Prozent aller Befragten würden sich an einer "Demonstration gegen Zuwanderung" beteiligen wollen. Dagegen würden 45% bei einer "Demonstration gegen Rassismus" mitmachen. Die 7 Prozent werden dann in der Studie etwas genauer aufgefächert: Dort sei ein signifikant höheres Demokratiemisstrauen zu finden, höhere Gewaltakzeptanz und höhere Zustimmungen zu allen Dimensionen des Rechtsextremismus. Ein erheblicher Teil dieser Gruppe, 40 Prozent, zeige aufgrund ihrer Angaben "hohe Gewaltbereitschaft". Daraus schließen die Verfasser, dass sie zur Eskalation von Konflikten beitragen kann.

Muslimfeindliche Einstellungen, Vorurteile gegen Asylsuchende und negative Meinungen über Langzeitarbeitslose

Im Blick aufs große Ganze stellt die Studie eine Rückläufigkeit negativer Meinungen über gesellschaftliche Gruppen seit 2002 fest, bei Menschen mit Behinderungen (2 Prozent), bei der Abwertung von Menschen mit homosexuellen Orientierungen (10 Prozent) und beim Antisemitismus (6%), wobei man beim letzteren ergänzt, dass aber die Zustimmung zu subtileren Varianten zugenommen hat. 40 Prozent stimmen folgender Aussage zu: "Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat".

Als weitere Ausnahmen von der Tendenz zu abnehmenden feindlichen gruppenbezogenen Einstellungen werden genannt: muslimfeindliche Einstellungen, Vorurteile gegen Asylsuchende (sie stiegen innerhalb von zwei Jahren von 44 auf 50 Prozent) und negative Meinungen über Langzeitarbeitslose, die fast von der Hälfte (49 Prozent) geteilt werden.

Ausgeprägte Vorurteile in Ostdeutschland und unter AfD-Sympathisanten

Die Studie bekräftigt in diesem Zusammenhang zwei Annahmen, die schon länger kursieren, nämlich dass die Vorteile im Osten Deutschlands und unter den Sympathisanten der AfD auffällig präsent sind. Fremdenfeindlichkeit, Muslimfeindlichkeit, die Abwertung von Sinti und Roma, asylsuchenden und wohnungslosen Menschen seien im Osten Deutschlands signifikant stärker ausgeprägt, stellt die Studie fest. Zu den Befragten, die mit den Ideen der AfD sympathisieren, heißt es:

Ihre Anhänger und Anhängerinnen stimmen mehrheitlich fremdenfeindlichen (68%), muslimfeindlichen (64%) und antiziganistischen Meinungen (59%) sowie Abwertungen von asylsuchenden (88%) und arbeitslosen Menschen (68%) zu.

Ergebnis der Studie "GespalteneMitte-Feindselige Zustände"

Dies führt die Studie exemplarisch auch an den Haltungen zu den Flüchtlingen vor. Die Beobachtung der Soziologen lautet hierzu, dass die Haltungen und Gefühle gegenüber Flüchtlingen weniger vom Einkommen oder anderen soziodemographischen Merkmalen abhängt, "als vielmehr von der politischen Grundhaltung der Befragten". Hervorgehoben werden hier die "potentiellen Wähler der AfD.

Dort seien ablehnende Einstellungen gegenüber Geflüchteten weit verbreitet, indessen bei den potentiellen Wählern der etablierten Parteien - wie auch bei den Nichtwählern - eine "positive Grundhaltung" zur Aufnahme von Geflüchteten überwiege.

Die Aufnahme der Flüchtlinge

Die positive Grundhaltung wird folgendermaßen aufgeschlüsselt: Über die Hälfte der Befragten (56 %) wertet die Aufnahme der Flüchtlinge als gut, weitere 24% zumindest "teils-teils" gut. 77% gaben an, dass sie "eher oder sehr hoffungsvoll" sind, dass es der Gesellschaft gelinge, die aktuelle Situation zu bewältigen (77% sind hier 'eher' oder 'sehr hoffnungsvoll'). Dem stehen 20 Prozent gegenüber, die es "explizit 'eher nicht' oder 'überhaupt nicht' gut finden, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen hat.

Persönlich durch Flüchtlinge in ihrer Lebensweise bedroht, finden sich 6 Prozent, finanziell bedroht 7 Prozent. Bedroht. Rund ein Viertel der Befragten befürchtet ein Absinken des Lebensstandards in Deutschland.

Mehr als ein Drittel, 35% der Befragten, meinen "eher" oder "voll und ganz", "der deutsche Staat kümmere sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche". 50% sind "eher oder überhaupt nicht" dieser Meinung.