Sudan: Die Geschichte einer gescheiterten State-Building-Mission

Globale Empörung über einen angeblich drohenden Völkermord führte 2011 zur Gründung eines neuen Staates im Südsudan. Auch damals wurden die Kriegsparteien von den USA mit reichlich Waffen versorgt - Scheiternde Staaten schaffen II

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Der Sudan, das größte Land Afrikas, nimmt in der Liste der "schwachen Staaten" in vielerlei Hinsicht einen besonderen Platz ein. Unter großem Beifall der USA und der "internationalen Gemeinschaft" spaltete sich im Jahr 2011 der Süden ab. Kurze Zeit später brach zwischen den Söldnerkommandanten, welche die neue Staatsführung stellten, ein Bürgerkrieg aus. Heute lauten die Schlagzeilen: "Südsudan steht vor Mega-Krise".

Teil 1: Schwache Staaten schaffen: Destabilisierung von strategischen Regionen als Ansatz westlicher Außenpolitik.

Omar Hassan Ahmad Al-Bashir, der Präsident Sudans, und Salva Kiir Mayardit, der Präsident Südsudans, während der Unabhägigkeitsfeier am 9. Juli 2011. Bild; UN

Zunächst gilt für die Region, dass beide Adjektive auf sie zutreffen: Der Sudan ist eines der ärmsten Länder der Welt, er ist aber auch eines der reichsten Länder der Welt. Zum Zeitpunkt der Spaltung saß die Bevölkerung auf schätzungsweise fünf Milliarden Barrel Rohöl und 85 Milliarden Kubikmetern Erdgas, was etwa ein Prozent der weltweiten Vorkommen ausmacht. Das mag wenig klingen, es würde aber sicher ausreichen, um allen dort lebenden Menschen einen auskömmlichen Wohlstand zu garantieren. Allerdings lebt die Hälfte der Sudanesen unterhalb der Armutsgrenze, wobei 80 Prozent in der Landwirtschaft arbeiten - ein typisches Entwicklungsland.

Zudem besteht der Sudan inzwischen aus zwei Staaten, einem schwachen Staat im Norden und einer gescheiterten Staatsgründung im Süden. Bei der Gründung des Südsudan wird nur selten thematisiert, dass der Sudan - also die Regierung in Khartum - damit auf einen Schlag drei Viertel seiner Ölreserven an den abgespaltenen Staat verlor, denn die Grundfläche des jüngsten Staates der Erde ist praktisch identisch mit den größten Erdölfeldern der Region. Insofern konnte das Land die Ausbeutung seiner Bodenschätze nur sehr kurzzeitig genießen, denn der Ölexport begann im großen Stil erst im Jahr 1999. Der winzige Neuling im Süden wurde jedoch mit 620 Millionen US-Dollar sofort einer der wichtigsten Empfänger von US-Steuergeldern im Ausland.

Situation am Ende des Kolonialismus

Wie auch der Irak befand sich der Sudan bis 1956 unter britischer Verwaltung. Die Briten, die kurz zuvor schon Ägypten und den Suez-Kanal unter ihre Kontrolle gebracht hatten, nutzten den legendären Aufstand der Mahdi, um 1896 in den Sudan einzumarschieren. Eine zentrales Argument für diesen Einmarsch gegenüber der europäischen Öffentlichkeit bestand auch damals schon in der vorgeblichen Verteidigung der Menschenrechte: Angeblich wollten die Briten etwas gegen den Sklavenhandel im Sudan unternehmen. Der Krieg gegen die Mahdi-Bewegung war insofern ein erstes Beispiel für eine "humanitäre Mission".

Mit der Übernahme der Kontrolle setzte die Kolonialmacht auch hier auf divide et impera zwischen dem arabisch-muslimisch dominierten Norden und dem schwarzafrikanischen Süden. Sie unterstützte eine stärkere Islamisierung des Nordens, wobei die Kolonialmacht eine etablierte religiöse Strömung förderte, welche die unter den Aufständischen dominante Mahdi-Volksreligion ablehnte. Die Briten bevorzugten dabei gezielt diejenigen Bevölkerungsgruppen, die sich dieser multiethnischen Bewegung nicht angeschlossen hatten. Die Islamisierung ging soweit, dass die europäischen Besatzer nicht etwa säkulare westliche Eliteschulen gründeten, sondern im Nordsudan massenhaft muslimische Schulen aufbauen ließen.

Im schwarzafrikanischen Süden unterstützten die Briten hingegen die Autonomie der Stämme und trennten das Gebiet sogar verwaltungsrechtlich vom Norden ab. Dort förderte die Kolonialmacht massiv die christliche Missionierung und das Englische als Amtssprache. Bis in die 1930er Jahre wurden alle arabisch-muslimischen Elemente aus dem Süden verdrängt: Arabische Händler durften nicht im Süden tätig werden, arabische Kleidung und die arabische Sprache wurden verboten. Ab 1922 erhielten Personen aus dem Norden nicht einmal mehr eine Reisegenehmigung in den Süden. Aus beiden Regionen bezog Großbritannien jedoch zu äußerst günstigen Bedingungen neben anderen Rohstoffen Unmengen der berühmten 'britischen' Baumwolle, welche sich für die Atlantikbewohner zeitweise als ähnlich identitätsstiftend erwies wie der aus Indien stammende 'britische' Tee.

Das durch die Kolonialpolitik verfestigte Entwicklungsgefälle zwischen Norden und Süden bestimmt seit der Gründung des Sudan als unabhängiger Staat im Jahr 1956 die innenpolitische Konflikte. Nach der Unabhängigkeit dauerte es mehr als zehn Jahre, bis überhaupt eine einigermaßen stabile Regierung unter Einfluss des ägyptischen Nasserismus zustande kam. Die Sudanesische Sozialistische Union (SSU) orientierte sich am Ostblock und erreichte eine partielle Modernisierung der Gesellschaft im Norden. Unter anderem unterstützte die DDR den Ausbau von Port Sudan, dem einzigen Exporthafen des Landes. Zu dieser Modernisierung gehörte auch, dass die von der britischen Kolonialmacht beförderte kulturelle Spaltung des Landes mithilfe einer weitreichenden Autonomie für die südlichen Landesteile ab 1972 geregelt wurde, welche den Bürgerkrieg zunächst beendete. Insgesamt gelten die 1970er Jahre im Sudan, wie in den meisten ehemaligen Kolonien, als das "goldene Jahrzehnt".

Entdeckung der Ölvorkommen und der Ausbruch des Bürgerkriegs

Die Entdeckung der großen Ölvorkommen zwischen 1980 und 1983 fällt exakt zusammen mit dem erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs. Auch wenn nicht alle westlichen Sudan-Experten darin die alleinige Ursache für den Bürgerkrieg sehen wollen, besteht doch Konsens, dass die beginnende Ölproduktion einen sehr starken Einfluss auf den Konflikt ausübte.

Bereits seit 1959 hatten hauptsächlich amerikanische Unternehmen Öl und Gas an verschiedenen Off-Shore Förderstätten vor der sudanesischen Küste gefördert und in Port Sudan existierte bereits eine Ölraffinerie. Die neu entdeckten Erdölfelder des Sudan - Unity, Heglig und Adar Yale - befinden sich allesamt im Süden, in den Siedlungsgebieten der schwarzafrikanischen Stammesbevölkerung. Die Zentralregierung nahm ihre Entdeckung zum Anlass, die Kontrolle über den Süden wieder uneingeschränkt herzustellen und die bis dahin funktionierende Autonomie zu suspendieren. Die Erwartung auf große Einkommen aus der Ölförderung stärkte aber auch unter der ethnischen Opposition die seperatistischen Tendenzen. Beide Faktoren führten 1983 zur Gründung der Sudan People's Liberation Army (SPLA) und zum erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs.

Alle ihrer Repräsentanten wie Riek Machar, Salvar Kiir und John Garang entstammten der schwarzen Bevölkerung aus dem Süden. Sie lernten an christlichen Schulen und hatten teilweise, wie John Garang, in den USA studiert. In der Zeit der "geregelten Autonomie" für den Süden hatten einige von ihnen als reguläre Angehörige in den sudanesischen Streitkräften gedient.

Im Jahr 1984 griff die SPLA das Unity-Ölfeld an und tötete drei Chevron-Angestellte. Das Unternehmen verließ daraufhin den Sudan und setzte damit 800 Millionen US-Dollar an Erschließungskosten in den Sand. Auch das französische Unternehmen Total gab sein Engagement auf. Hinzu kam, dass die USA den Sudan auf eine schwarze Liste für Wirtschaftssanktionen setzten. Ab 1992 übernahm der sudanesische Staat die Chevron-Konzessionen und verkaufte sie an verschiedene, teilweise staatliche Unternehmen aus Kanada, Europa und China.

Chinas Aufstieg

Die staatlichen Gesellschaft Greater Nile Petroleum Oil Corporation (GNPOC) vergab den größten Teil der Lizenzen mit etwa 40 Prozent an die China National Petroleum Company (CNPC). Ihr folgen die malaysische Petronas Carigali mit 30 Prozent und das kanadische Unternehmen Talisman Energy mit 25 Prozent. Gemeinsam investierten diese Firmen etwa eine Milliarde US-Dollar in den Bau einer Pipeline aus dem Süden nach Port Sudan und weitere 600 Millionen in eine zusätzliche Ölraffinerie.

China entwickelte sich bereits in den 1990er Jahren zum wichtigsten Außenhandelspartner der Regierung in Khartum, so dass Analysten wie Cleophas Lado von einer "symbiotischen Beziehung" sprachen. Der asiatische Riese benötigte dringend eine sichere und langfristige Quelle für seinen Energiebedarf, während der Sudan auf finanzielle Unterstützung, Know-how und einen sicheren Absatzmarkt angewiesen war. Für China stellte der Sudan das größte Ölprojekt in Übersee dar. Das Land schickte tausende Arbeitskräfte mit Erfahrung im Pipelinebau und der Raffinerie.

Für den Sudan erwies es sich als vorteilhaft, dass der große Partner mit seinen wirtschaftlichen Aktivitäten im Ausland weder übersteigerte Gewinnerwartungen noch irgendwelche Formen der politischen und kulturellen Missionierung verbindet. Mit dieser Strategie entwickelte sich China zum wichtigsten Wirtschaftspartner des Sudan. Der chinesische Anteil an den sudanesischen Exporten und Importen erreichte bis 2010 etwa 70 Prozent - mit einem deutlichen Exportüberhang: China nahm bis zu 87 Prozent aller sudanesischen Ölexporte ab. Die SPLA machte ihrerseits immer deutlich, dass sie die Ölverträge der Zentralregierung nicht respektieren wird und auch nicht bereit ist, die im Ausland aufgenommenen Schulden zurückzahlen, falls sie die politische Kontrolle über die Südsudan erlangt.

Mister Sudan: Die Charity-Karawane

Seit der Jahrtausendwende rückte der Sudan in einzigartiger Weise in das Bewusstsein der globalen Medienöffentlichkeit. Zahlreiche Hollywood-Stars begannen sich Vorort zu engagieren. Der Sudan-Konflikt entwickelte sich zwischenzeitlich zum wichtigsten außenpolitischen Thema in den US-Nachrichten, wobei der wirtschaftliche Hintergrund in der Erzählung von Prominenten und NGO keinerlei Erwähnung fand: Das Thema Öl war tabu.

Sie fokussierten die US-Öffentlichkeit zeitgemäß auf einen angeblich religiösen Konflikt zwischen Muslimen und Christen sowie auf die dramatische Inszenierung von Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg, natürlich nur auf diejenigen, welche vom Regime in Khartum begangen wurden. Als der Südsudan seine Unabhängigkeit ausrief, weilte etwa George Clooney - in den USA als "Mr. Sudan" bekannt - in Juba, der neuen Hauptstadt. Er hatte auch zahlreiche seiner Kollegen in der Angelegenheit mobilisiert, etwa Dustin Hoffman, Mark Wahlberg und natürlich Bratt Pitt & Angelina Jolie.

Aber die Charity-Karawane aus der Filmproduktion war nicht die einzige Pressure-Group in Sachen sudanesische Spaltung. Seit Jahren wirkten auch evangelikale Christen auf Präsident George Bush - selber ein wiedergeborener Christ - ein, dass er direkt militärisch im Sudan-Konflikt interveniert. Stattdessen verhängten die Republikaner offiziell nur Wirtschaftssanktionen gegen das Land, um die Regierung in Khartoum zu zwingen, ein für sie extrem unvorteilhaftes "Übergreifendes Friedensabkommen" mit der SPLA zu unterzeichnen.

Ein bezeichnendes Licht auf die Logik der so genannten Nicht-Regierungsorganisationen werfen die beiden wichtigsten Sudan-Aktivisten, John Prendergast und Gayle Smith. Gemeinsam gründeten die beiden die NGO Enough Project, das für die Mobilisierung der Hollywood-Prominenz wesentlich verantwortlich war und maßgeblich die westliche Völkermord-Rhetorik gegen die Regierung in Khartum ankurbelte.

Unter Bill Clinton hatten beide als Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates gearbeitet, zuständig für Afrika. Für George Bush war John Prendergast anschließend als Präsidentenberater für die International Crisis Group on Africa zuständig. Unter Barack Obama wurde Gayle Smith erneut Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates. Der Auftritt als NGO beziehungsweise als Menschenrechtsgruppe verschaffte ihnen jedoch den Nimbus von unabhängigen Experten, mit dem sie leichter Zugang zu Journalisten und berühmten Testimonials fanden, die bereit waren, sich öffentlich für das Anliegen der SPLA zu engagieren. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Lobby, welche die immer gleichen Interessen in unterschiedlichen Funktionen verfolgt - mal als Mitglieder der Regierung, mal als Nicht-Regierungsorganisation.

Der ehemalige US-Botschafter in Nigeria, John Campbell, geht davon aus, dass es ohne die Hollywood-Sternchen niemals soweit gekommen wäre, dass Khartoum dem Abkommen zustimmt:

Südsudan besetzte die öffentliche Vorstellung mehr als irgendeine andere afrikanische Region, weil die Christen ihren Flurfunk nutzten, um in den USA bekannt zu machen, dass sie von den Muslimen im Norden verfolgt werden. Die Berühmtheiten machten das auf ihrem Weg den einfachen Leuten bekannt, sie machten es zu einem Gesprächsthema bei Leuten, die sich sonst nicht besonders dafür interessieren, was in Übersee geschieht.

John Campbell

Bemerkenswert an der Sudan-Lobby in den USA ist vor allem, dass sie sowohl die republikanische als auch die demokratische Partei so stark beeinflusste, dass es ihnen egal sein konnte, wer die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2008 gewinnt. Barack Obama hatte seine außenpolitische Argumentation schon im Vorfeld seiner Kandidatur wesentlich darauf aufgebaut, dass die Bush-Administration zu wenig im Darfur-Konflikt unternehme und war dabei maßgeblich von John Prendergast und Gayle Smith beraten worden.