Incirlik: Türkei hat Zugang zu Aufklärungsdaten der Bundeswehr-Tornados

Leistet die Bundesregierung Beihilfe für den Krieg der türkischen Regierung gegen die Kurden?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Antwort der Regierung auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion der Linken bestätigt Befürchtungen, über die Telepolis schon vor Monaten berichtete: Die Türkei - und nicht nur sie - hat den vollen Zugriff auf die Daten und Fotos der Aufklärungsflüge der deutschen Tornados im Kriegsgebiet Türkei-Nordsyrien-Nordirak.

Am gestrigen Montag fragte nun auch der Spiegel danach, was mit den Daten passiert, die die Aufklärungsflüge an mehrere Staaten liefern. Für welche Operationen die Daten der Bundeswehr genutzt werden, sei unklar, stellt das Nachrichtenmagazin fest. Antworten auf konkrete Fragen - "Wie viele Bombardements basieren auf den "Tornado"-Daten? Wie viele IS-Kämpfer kamen dabei ums Leben, wie viele Zivilisten?" - gebe das Bundesverteidigungsministerium nicht. Der Bundesregierung würden hierüber keine eigenen Erkenntnisse vorliegen, wird aus der Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion zitiert.

"Vertrauensvolles Miteinander"

Doch bringt die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage schon etwas Licht ins Dunkel: So hat die Bundeswehr bereits 134 Tornado-Einsätze über dem Irak und Syrien geflogen - und: Die Daten werden an 19 Länder weitergegeben, darunter auch die Türkei sowie arabische Länder wie Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Auf die Frage, ob ausgeschlossen werden könne, dass die Türkei die Daten für die Bekämpfung der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die mit US-Unterstützung in Nordsyrien gegen den IS kämpft, benutzt werden, gab das Verteidigungsministerium eine erhellende Antwort:

"Die Aufklärungsergebnisse werden mit dem Freigabevermerk "For Counter-Daesh Operation only" (nur für die Anti-IS-Operation, Einf. d.A.) versehen. Grundsätzlich wird im vertrauensvollen Miteinander mit den Partnernationen davon ausgegangen, dass diese sich an diese zweckgebundene Verwendung der Aufklärungsergebnisse halten."

Die Angriffe der türkischen Armee in Syrien

Die aktuellen Angriffe auf SDF-Stellungen nahe Manbij deuten auf andere mögliche Verwendungen hin. Am Sonntag bombardierten die Türken zielsicher Stellungen der SDF bei Manbij. In den letzten Wochen gab es immer wieder Angriffe auf YPG/YPJ-Stellungen in Rojava seitens des türkischen Militärs.

Manbij ist eine mehrheitlich arabische Stadt westlich des Euphrats und wurde erst vor wenigen Monaten vom IS befreit. Im Umreis von 40km wurden viele Dörfer befreit, die Einwohner kehren langsam zurück und übernehmen nach und nach die Selbstverwaltung nach dem Vorbild von Rojava. Nach der Ausbildung der lokalen Verteidigungskräfte zogen sich die letzten verbliebenen YPG/YPJ Kräfte aus Manbij zurück. Manbij als befreite Stadt ist sowohl dem türkischen, als auch dem sogenannten islamischen Staat ein Dorn im Auge.

Die SDF, zu denen auch der (arabische) Militärrat von Manbij gehört wie auch die YPG/YPJ des westlichen Kanton Afrins, erobern immer mehr Territorium vom IS. 27 km trennen die Einheiten von Manbij und Afrin noch. In Folge dessen entwickelt sich die Stadt Al-Bab zu einer heiß umkämpften Stadt.

Al-Bab liegt 40km südwestlich von Manbij und befindet sich auf halbem Weg zwischen dem Kanton Afrin und der Front westlich von Manbij. Seit über vier Jahren befindet sich die Stadt in den Händen des IS. Flüchtlinge aus der umkämpften und strategisch wichtigen Stadt Al-Bab erklärten, dass die Türkei das Ziel hat, Syrien zu spalten und in die Demographie (sprich durch die Arabisierung des Nordens) in der Region einzugreifen. Täglich flüchten hunderte Menschen in den Kanton Afrin. Pech für Erdogan, dass das Spiel durchschaut wurde und viele arabische Stämme in Nordsyrien sich den SDF anschlossen.

Angriffsvorhaben im Irak

An der Grenze zum Nordirak, 5 km vor der Grenze, warten türkische Panzer auf ihren Einmarschbefehl in den Irak. Ziel der Aktion wird sein, einerseits ein Bein in die für die Türkei missglückte Beteiligung an der Befreiung Mossuls zu bekommen, andererseits mit Hilfe der kurdischen KDP des Stammesfürsten Massoud Barzani, der einen autoritären Kurdenstaat anstrebt, die PKK aus dem Kandil-Gebirge zu vertreiben und das ezidische Shengal-Gebiet quasi zu annektieren, damit sich dort keine ezidischen demokratischen Strukturen nach dem Vorbild des verhassten Rojavas in Nordsyrien etablieren können.

Befürchtungen über eine deutsche Beihilfe

Angesichts dieses Hintergrunds gibt es Befürchtungen, dass die Aufklärungsflüge der Tornados dem türkischen Militär bei dessen Angriffen helfen. Davor warnte der Außenexperte der Linken, Jan van Aken, schon vor Monaten: "Es ist total naiv und verantwortungslos, jetzt immer noch der Erdogan-Regierung zu vertrauen, angesichts des schmutzigen Krieges, den sie gegen die Kurden auch in Syrien führt (...) Ich befürchte, dass die Bundeswehr hier Beihilfe leistet für den Krieg der türkischen Regierung gegen die Kurden." Dafür gebe es aber kein Mandat des Bundestags.

Mittlerweile fordern auch die Grünen einen Abzug der deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeuge aus Incirlik. Der grüne Außenpolitiker Jürgen Trittin äußerte ebenfalls seine Bedenken darüber, dass die Gefahr bestehe, dass die Türkei die Aufklärungsergebnisse für Angriffe gegen die Kurden-Milizen in Nord-Syrien verwende. Auch im Irak operiere die türkische Armee gegen den Willen der dortigen Regierung, so Trittin. Dies sei ein völkerrechtswidriges Verhalten.