Ukrainischer Generalstaatsanwalt will Janukowitsch wegen MH17 belangen

Die ukrainische Regierung zelebriert mit der Maidanbewegung, der "Revolution der Würde", dem "Tag der Würde und Freiheit" und "Göttlichen Hundert" den Gründungsmythos und ihre Legitimation. Bild: president.gov.uk/CC BY-4.0

Der Poroschenko-Vertraute Lutsenko fordert den ICC auf, gegen den gestürzten Präsidenten zu ermitteln, der für den Abschuss und die Kämpfe in der Ostukraine verantwortlich sei

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Einen interessanten Vorschlag hat der ukrainische Generalstaatsanwalt Yuriy Lutsenko in den Den Haag gemacht. Er sagt Journalisten, das Gemeinsame Ermittlungsteam (JIT), das den MH17-Fall strafrechtlich aufklären soll, solle sich an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) wenden, der den Abschuss als Folge eines Staatsverrats prüfen soll. Der soll von dem durch die Maidan-Revolte gestürzten Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch begangen worden sein. Das habe auch zur Besetzung der Krim und Teilen der Ostukraine geführt.

Im JIT arbeiten unter Leitung der niederländischen Staatsanwaltschaft Vertreter der Niederland und von Australien, Malaysia und Belgien zusammen mit Repräsentanten aus der Ukraine. Obgleich die Ukraine Konfliktpartei ist, wirkt sie maßgeblich in der Untersuchung mit. Erklärt wird, man habe Maßnahmen ergriffen, um die Unabhängigkeit zu garantieren, was aber nicht näher ausgeführt. Wenn es heißt, dass die Untersuchung gemeinsam durchgeführt wird, heißt das vermutlich auch, dass die Ukraine eine Art Vetorecht besitzt.

Im letzten Bericht wird als Ergebnis festgehalten, dass MH17 von einer Buk-Rakete abgeschossen wurde. Das Buk-System sei von Russland in die Ostukraine gebracht und dort auf einem Volvo-Lastwagen in Begleitung anderer Fahrzeuge mit uniformierten Bewaffneten nach Pervomaiskyi gebracht worden, das zu der Zeit von "prorussischen Kämpfern" kontrolliert worden sei. Dort sei die Rakete abgeschossen worden, Zeugen hätten einen lauten Krach gehört und eine Rauchwolke gesehen. Dann sei das System des Nachts wieder nach Russland transportiert worden. Man habe 100 Personen identifiziert, die mit dem Abschuss oder dem Transport in Verbindung stünden. Dass die Beweislage alles andere als gerichtsfest ist, macht die Verlängerung der Untersuchung bis Anfang 2018 deutlich, aber auch, dass weiter nach Zeugen gesucht wird. Abgehörte und als Beweis vorgestellte Telefongespräche wurden vom ukrainischen Geheimdienst geliefert.

Seltsame Logik der Verantwortungszuschreibung

Lutsenko erklärt also, das JIT, d.h. alle fünf Länder, würden vom ICC verlangen, eine Untersuchung einzuleiten. MH17 müsse als militärisches Verbrechen und "wahrscheinlich als Kriegsverbrechen" behandelt werden. Die Ukraine würde darauf bestehen, dass diese Verbrechen eine Folge der Handlungen seien, die Janukowitsch gegenüber Russland unternommen haben, um während "Revolution der Würde" Ende 2013 und Anfang 2014 an der Macht zu bleiben. Die ukrainische Untersuchung könne aber nicht frühere Regierungsangehörige vor Gericht stellen, weil sie sich in Russland aufhielten: "Wer die Befehle (für das Begehen der Verbrechen) gab und die internationalen Gesetze, inklusive der Genfer Konvention über die Regeln der Kriegsführung, verletzte, befindet sich in Moskau", so der Generalstaatsanwalt. Man habe dem ICC viele Beweise übergeben, verfolge aber auch eine eigene Strafverfolgung.

Janukowitsch als gewählten Präsidenten während seiner Amtszeit für den Abschuss der MH17 und die Kämpfe in der Ostukraine verantwortlich zu machen, ist hoch gegriffen. Schließlich wurde bislang nirgendwo behauptet, er habe aus seinem Exil in Russland, wohin er nach dem Sturz durch Maidan-Extremisten geflohen war, nachdem gerade erst unter maßgeblicher Mitwirkung von Deutschland, Frankreich und Polen eine Übergangslösung mit dem Rücktritt und der Bildung einer neuen Regierung gefunden worden war, Befehle gegeben, MH17 abzuschießen oder russische Soldaten und Waffen in die aufständischen Gebiete zu schicken.

Nach dieser Logik könnte man etwa George W. Bush auch für die Kriegsverbrechen verantwortlich machen, die der IS und andere Parteien nach der Invasion in den Irak begangen haben und weiter begehen. Zudem ist die Argumentation riskant, denn bislang wurde noch nicht von westlicher Politik, geschweige von westlichen Medien kritisch untersucht, ob die Proteste der Aufständischen in der Ostukraine tatsächlich berechtigter Anlass waren, gegen diese nicht polizeilich einzuschreiten, wie dies die Janukowitsch-Regierung gegenüber den Maidan-Aktivisten getan hat, sondern eine Militäraktion mit schweren Waffen und Bombardierungen aus der Luft unter dem Namen der Antiterroroperation (ATO) Mitte April 2014 zu starten (Ukraine droht, schnell in einen bewaffneten Konflikt zu steuern). Auch das hat die Lage extrem zugespitzt, wenn nicht überhaupt zu einem wirklichen Krieg gemacht, wobei die Abwehr der Luftangriffe womöglich zu dem versehentlichen Beschuss der MH17 geführt haben könnte, sollten Separatisten oder russische Soldaten die Buk abgeschossen haben.