Religion ist doch kein Virus

Die Memetikerin Susan Blackmore veränderte ihre Haltung zur Religion, weil diese kein "schädliches" Mem sein kann, wenn die Religiösen mehr Kinder als die Atheisten haben

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Der britische Evolutionstheoretiker und streitbare Atheist Richard Dawkins hat die Hypothese der Memetik als erster aufgestellt, um die kulturelle Evolution in Analogie zur Genetik zu erklären, wie sich "kognitive Produkte" von Verhaltensweisen über Gedanken, Artefakte, Musikstücke oder das Tragen von Dirndl und Lederhosen auf dem Münchner Oktoberfest bis hin zu Deutungssystemen wie Religionen ausbreiten (Memetik und das globale Gehirn). Den Genen stellte er die allerdings unzureichend definierten Meme gegenüber, die um die Ressourcen im Gehirn der Wirte kämpfen, um sich reproduzieren zu können. Das geschieht, wie selbst Dawkins sagt, durchaus auch kooperativ, schließlich können Gene wie Meme in aller Regel nur erfolgreich sein, wenn sie sich im Team reproduzieren.

Wie den Genen unterstellte Dawkins in seiner durchaus anregenden Theorie auch den Memen einen Egoismus der Selbstreproduktion, was natürlich nur als Metapher gemeint sein kann, aber dann doch abfärbt, weil er schließlich das Wirken der Meme mit dem von Viren vergleicht, um die Bereitschaft zur Nachahmung durch Ansteckung und Epidemien zu erklären. Meme oder Memkomplexe wie Religionen sollen nämlich die Gehirne ihrer Opfer wie Viren infizieren, sich dort reproduzieren und deren Verhalten bestimmen. Und weil Viren meist ihre Wirte negativ beeinflussen, ist für den Kulturevolutionstheoretiker das religiöse Mem, das sich durch Kommunikation und Nachahmung verbreitet, letztlich auch schädlich (Welche Religion ist die gefährlichste?).

Zwar geistert die Memetik weiterhin herum, hat sich aber selbst nicht als Mem wirklich in der Wissenschaftlergemeinschaft durchsetzen können. Im ersten Hype wurde 1997 auch eine Zeitschrift, das Journal of Memetics, gegründet, aber acht Jahre später wieder eingestellt, da die wissenschaftliche Belastbarkeit der Hypothese sich als zu dünn erwiesen hat.

Die britische Psychologin Susan Blackmore ist eine der prominenteren Vertreterinnen der Memetik und hat auch schon mal vor zwei Jahren die Existenz eines weiteren Replikators behauptet, der aus den Memen entstanden sein und nun diese als Vehikel ausbeuten soll. Die Maschinen würden nämlich nun selbst beginnen, nicht nur Meme zu kopieren und zu verbreiten, sondern sie auch zu variieren und zu selektieren, wie das beispielsweise Suchmaschinen machen. Die Teme benötigen noch die Mem- und Genmaschinen, wenn sich die intelligenten Maschinen aber einmal replizieren könnten, wären sie auf diese Wirte nicht mehr angewiesen und könnten die Menschen hinter sich zurücklassen.

Ist Religion von Vorteil, weil sich religiöse Menschen stärker sexuell reproduzieren?

Die Hypothese der Teme ist noch einmal ein Stück spekulativer als die der Meme. Aber warum dies alles erzählt wurde: Blackmore hatte kürzlich ein Erlebnis und schwört in einem Beitrag in der Zeitung Guardian der memetischen Ansicht ab, dass Religionen böse und schädliche Viren sind. Die Psychologin hat nämlich an der Tagung Explaining Religion Anfang September an der Universität Bristol teilgenommen. Sie selbst habe die gewohnte memetische These vertreten, dass sich Religion als Nebenprodukt herausgebildet hat. Dann fand eine Fortentwicklung statt, bis sich das religiöse Mem schließlich wie ein Virus selbständig, aber auf Kosten der infizierten Menschen reproduzieren konnte. Ganz gefangen in der Evolutionstheorie heißt letztlich Erfolg Reproduktionserfolg – und Blackmore setzt wie auch teilweise Dawkins Meme und Gene hier gleich. Wenn Meme ihren Wirten schädlich sind, so reproduzieren sich diese auch genetisch, d.h. in Form von Nachkommen, schlechter. Wenn die Religion also ein memetischer Virus ist, dann sollten sich religiöse Menschen weniger gut fortpflanzen (was schon ganz intuitiv nicht stimmt).

Das ist allerdings ein abwegiger Gedanke, der aber deutlich macht, dass die enge Analogie von Genetik und Memetik nicht weiterführt und eine simple Verwendung von genetischen und evolutionären Theoremen – wie man das auch bei Sarrazins handgestrickten populations- und kulturgenetischen Behauptungen sehen konnte – das Denken nicht gerade befruchtet.

Blackmore sagt, sie sei während der Tagung eines anderen belehrt worden, nachdem viele Wissenschaftler zeigen konnten, dass sich religiöse Populationen gemeinhin gut und besser sexuell reproduzieren als stärker atheistische oder nichtreligiöse. In Ländern, die nicht so religiös sind wie die europäischen, würden die Frauen weniger als zwei Kinder bekommen, was zur Selbsterhaltung der Population nicht ausreiche. Sie weist auf Ergebnisse wissenschaftlicher Studien hin, wonach angeblich die Menschen, die mehr als einmal die Woche an einem Gottesdienst oder ähnlichem teilnehmen, eine Geburtenrate von durchschnittlich 2,5 Kindern haben, bei den religiös Gleichgültigen liege sie nur bei 1,7.

Das klingt so ähnlich wie Sarrazins These, nur dass hier nicht nur Muslime, sondern auch Christen, Hindus oder Juden – in aller Regel desto mehr Kinder je sektenhafter - kraft ihrer Religion eine höhere Geburtenrate haben sollen. Neben Muslimen werden etwa Amish, Methodisten oder extrem religiöse Juden als besonders reproduktionsfreudig benannt.

Angeblich, so Blackmore, würden religiöse Menschen auch noch glücklicher und gesünder sein, möglicherweise betrügen sie weniger und sind kooperativer. Aufgrund dieser Erfolgsgeschichte könne man Religionen zwar weiterhin als Memkomplexe untersuchen, müsse aber darauf verzichten, sie als Viren oder in Analogie zu diesen zu sehen, da Viren eben ihre Wirte und damit deren Reproduktionserfolg schädigen. Nun könnte es zwar durchaus sein, dass religiöse Menschen mehr Kinder haben, aber nichtreligiöse Einzelpersonen und Gesellschaften könnten durchaus ansonsten größeren Erfolg haben, was weiß ich, reicher, klüger, mächtiger, kreativer und einflussreicher sein, schließlich könnte mehr in den memetischen Erfolg als in den sexuellen investiert werden, ebenso kriegen in Familien mit weniger Kindern diese mehr Aufmerksamkeit, Zuwendung, Förderung und auch Ressourcen ab, als wenn alles durch sechs oder sieben geteilt werden muss.

Die Bemessung des Erfolgs von "Memen", also von Kultur, vor allem an der sexuellen Reproduktionsrate dürfte also viel zu einfach gestrickt sein. Anstatt von Viren möchte aber Blackmore nicht so gerne von der Analogie mit Bakterien und Symbionten sprechen, die nicht schädlich, sondern oft für den Wirt nützlich sein können, aber das hat wohl eher aufmerksamkeitsökonomische Gründe, wenn sie sagt, dass die Rede von "Bakterien des Geistes" einfach nicht so gut klinge. Zudem müsste man auch die Wissenschaft, wenn sie denn ein kulturelles Produkt sein soll, als Mem begreifen, das womöglich einen Druck in Richtung Atheismus ausübt (und nach Blackmores neuen Einsichten die Geburtenrate senkt). Da scheint die Psychologin aber gerne eine Grenze ziehen zu wollen, im Gegensatz zur Religion würden in der Wissenschaft allein die Daten zählen (die aber freilich auch nicht vom Himmel fallen, sondern aufgrund von Annahmen und Methoden konstruiert werden).

Dass die Memetikerin nun ihre Haltung gegenüber Religionen verändert hat, ist eigentlich unbedeutend. Möglicherweise ist es aber dafür symptomatisch, dass sich das religiöse "Virus" gegenwärtig auszubreiten scheint. Die Tagung selbst scheint genau diesem Zweck gedient zu haben und zumindest bei Blackmore erfolgreich gewesen zu sein. Vielleicht hat sie auch nur demonstriert, dass sie sich gut vermeintlich herrschenden Trends anzupassen versteht.

Religionswissenschaftler Michael Blume, der für sie offenbar der Auslöser der Konversion war, sagte nicht nur, dass religiösen Menschen/Gruppen mehr Kinder haben, er ist auch der Überzeugung, dass das säkulare Zeitalter zu Ende geht, zumindest aber, dass die Zahl der Religiösen wieder zunimmt (Werden die Menschen wieder religiöser?), womit die Religiösen endlich auch intelligenter würden – schließlich gibt es Untersuchungen, deren Ergebnis darauf hinausläuft, dass religiöse Menschen eher weniger intelligent sind (Intelligente Menschen sind eher Atheisten und gehen nachts später schlafen). Blume schreibt wenig verwunderlich in seinem Blog über die "Biologie der Religion", dass er von Blackmores Kehrtwende beeindruckt gewesen sei.