Es brennt wieder Licht

Vor allem an Leipzigs Magistralen stehen viele Häuser leer. Als "Wächterhäuser" sollen sie vor weiterem Verfall bewahrt werden. Foto: HausHalten e.V.

Wächterhäuser sollen Leipzigs Stadtbild retten. Wohnen als Projekt - Teil 3

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Während in immer mehr deutschen Großstädten Menschen händeringend nach bezahlbaren Wohnungen suchen, ist es in Leipzig gerade umgekehrt: Rund 2500 Gründerzeithäuser stehen leer. Als "Wächterhäuser" finden sie neue Nutzer auf Zeit.

Teil 2: Sozialistisches Monopoly

Im Osten der Republik ist alles anders - bezahlbare Wohnungen sind in den meisten Städten der neuen Bundesländer keine Mangelware, sondern geradezu im Überfluss vorhanden. In Leipzig stehen allein 2.500 denkmalgeschützte Häuser aus der Gründerzeit leer; inklusive der Plattenbauten aus DDR-Zeiten gibt es sogar einen Leerstand von 35.000 Wohnungen. Zu diesem Überschuss an Wohnraum trug nicht zuletzt die nach der Wende einsetzende Suburbanisierung bei, wodurch die Einwohner­zahl Leipzigs zeitweise sogar unter die halbe Million absackte - rund 50.000 Leipziger zogen damals in die neu entstandenen Speckgürtel. Auch wenn die Einwohnerzahl inzwischen wieder bei rund 530.000 liegt, werden die 713.470 Einwohner, welche die Stadt im Jahr 1933 bevölkerten, wohl nie wieder erreicht werden.

Viele Häuser stehen deshalb leer, verfallen und müssen schließlich abgerissen werden. Besonders gefährdet sind die an den langen, lärmenden Ausfallstraßen Leipzigs, den sogenannten Magistralen, gelegenen Gebäude, die sich wegen des Wohnungsüberangebots nicht mehr rentabel vermieten lassen. Um den weiteren Verlust stadtbildprägender Gebäude aufzuhalten, gründete eine Gruppe von Stadtplanern, Bauingenieuren, Architekten und Geographen im Jahr 2004 den Verein HausHalten e.V. und entwickelte das Zwischennutzungsmodell der "Wächterhäuser": "Leer stehende Häuser ratloser Eigentümer und engagierte, kreative Nutzer auf der Suche nach Fläche für ihre Ideen finden in ihnen zusammen", beschreiben die "Haushälter" ihre Idee.

Nutzer eines Wächterhauses können beispielsweise Künstler auf der Suche nach Atelierräumen, soziale Projekte, Vereine oder Existenzgründer sein. Über eine mit dem jeweiligen Hauseigentümer geschlossene Gestattungsvereinbarung wird ihnen das Nutzungsrecht für fünf Jahre übertragen. Miete zahlen die Nutzer keine, dafür übernehmen sie die laufenden Betriebskosten. Der Eigentümer muss nicht, wie für reguläre Mieter, aufwändig renovieren, sondern nur die Grundinstallationen instandsetzen. So profitieren beide - der Eigentümer, weil sein Haus vor weiterem Verfall gerettet wird, und die Nutzer, die ihre Idee mit geringem finanziellen Risiko verwirklichen können.

Seitens der Stadt Leipzig wird das Engagement des Vereins geschätzt und finanziell unterstützt, bis 2009 gab es zudem Mittel aus dem ExWoSt-Topf (Förderprogramm des Bundes für experimentellen Wohnungs- und Städtebau). "Unsere Rolle ist die eines Vermittlers und Beraters beider Seiten", erklärt Katrin Weber vom Haushalten-Verein: "Wir treten an Eigentümer heran, die nicht verkaufen wollen, aber die auch nicht genug Geld für eine Instandsetzung ihrer Häuser haben." Der Verein sucht dann nach geeigneten Nutzern und bringt sie mit den Hauseigentümern zusammen. Umgekehrt werden auch Eigentümer von Häusern ermittelt, für die sich potenzielle Nutzer interessieren.

Bei manchen Eigentümern muss der Verein allerdings erst Überzeugungsarbeit leisten: "Das sind keine Hippies, die Ihnen die Wände bunt anmalen, sondern engagierte Existenzgründer, die Verantwortung für das Haus übernehmen", erklärt ihnen Katrin Weber dann. Ein überzeugendes Argument ist zum Beispiel, dass die "Hauswächter" nach dem Rechten schauen und so Vandalismus verhindern. So wurden in leer stehenden Häusern vielfach gusseiserne Ofenklappen oder Kupferleitungen gestohlen oder historische Treppengeländer abgesägt. Dank der Hauswächter brennt wieder Licht im Haus und es wird geheizt und gelüftet, was dem Haus ebenfalls gut tut. Nicht zuletzt mag manchem Eigentümer die einvernehmliche Zwischennutzung seines Hauses lieber sein als eine mögliche "wilde" Besetzung.

Wächterhäuser sind auch ein soziales Programm

Beim Modell des Wächterhauses steht zwar das Schicksal der Gebäude im Vordergrund, aber es ist längst auch ein soziales Programm für die Zwischennutzer wie auch für die Bewohner der von Leerstand betroffenen Viertel geworden. Katrin Weber spricht von einer "punktuellen Entwicklung, die ausstrahlt". Kreativnetzwerke, die über die Wächterhäuser entstünden, gingen "über das Ziel des Gebäudeerhalts weit hinaus". Dies gilt insbesondere für die "Wächterläden", bei denen leer stehende Ladengeschäfte für neue Aktivitäten wie Galerien, Vereinstreffs oder Cafés genutzt werden. Durch derart wiederbelebte Läden lässt sich im Idealfall ein ganzer Straßenzug stabilisieren.

Für die Wiederbelebung von Ladengeschäften gibt es das Konzept der "Wächterläden". Foto: HausHalten e.V.

Eine Einschränkung hat das Konzept allerdings: Es darf in Wächterhäusern nicht gewohnt werden - Wohnen ist, wenn überhaupt, nur als "untergeordnete Nutzung" gestattet. Denn sonst würde das deutsche Mietrecht greifen und die Eigentümer langfristig in die Pflicht nehmen, worauf sich die meisten nicht einlassen würden.

Um auch eine Wohnnutzung zu ermöglichen, hat der HausHalten-Verein deshalb ein weiteres Modell, das "AusBauHaus", entwickelt. Hier gehen Hauseigentümer und Nutzer einen Schritt weiter aufeinander zu und entwickeln eine längerfristige gemeinsame Perspektive für eine Sanierung des Hauses. Der Vermieter lässt die notwendigsten Instandsetzungsarbeiten durchführen (z.B. Reparatur des Dachs und der Heizung), den Rest übernehmen die Bewohner in Eigenarbeit und zahlen dafür entsprechend weniger Miete. Die Mietverträge werden bei diesem Modell direkt zwischen Eigentümer und Nutzern geschlossen; der HausHalten-Verein fungiert lediglich als Vermittler und Berater, beispielsweise bei der Schätzung der Instandsetzungskosten und der Mietfestlegung.

Das "AusBauHaus" ist ein Modell für Hausprojekte mit längerfristiger (Wohn-) Perspektive. Foto: HausHalten e.V.

Inzwischen gibt es in Leipzig 16 Wächterhäuser, 20 Wächterläden und 5 Ausbauhäuser mit insgesamt 280 Nutzern. Nach fünf Jahren werden die Wächterhäuser aus der Zwischennutzung "entlassen" - dann überlegen der Hauseigentümer, die Nutzer und der Verein gemeinsam, wie es weitergehen soll. Daraus kann sich z.B. eine weitere Gestattungsvereinbarung ergeben oder ein regulärer Mietvertrag, die Umwandlung in ein Ausbauhaus oder der Verkauf des Hauses. Entschließen sich die Bewohner, das Haus selbst zu kaufen, kann dies beispielsweise in Form einer Eigentümergemeinschaft, einer Genossenschaft oder eines Syndikatsprojektes erfolgen. Der HausHalten-Verein berät die Bewohner dann zu möglichen Gesellschaftsformen und Finanzierungsmodellen. Zwei ehemalige Wächterhäuser wurden bisher von ihren Nutzern erworben.

Gentrifizierung ist in Leipzig (noch) kein Thema

Die Wiederbelebung von Häusern und Straßen würde in Städten wie Berlin oder Hamburg sofort Befürchtungen einer "Gentrifizierung" - d.h. durch Aufwertung verursachte Mietpreis­steigerungen, wodurch alteingesessene Bewohner verdrängt werden - hervorrufen. In Leipzig ist dies bisher kein Thema: Laut Katrin Weber wird es zwar in den mittlerweile als "in" geltenden Stadtteilen wie Plagwitz und Alt-Lindenau enger, aber es seien noch genügend "innerstädtische Ausweichquartiere" vorhanden. "Gentrifizierung bedeutet für mich, dass man sich gar nicht mehr rühren kann. Aber hier ist noch alles im Fluss." Für 3-5 Euro finde man in Leipzig immer noch eine Mietwohnung, wenn auch kaum mehr in Plagwitz. Wie entspannt die Lage in Leipzig insgesamt noch ist, hat Katrin Weber bei einem Besuch in Hamburg erfahren: "In Leipzig hat ein Atelierraum mindestens 20 Quadratmeter, in Hamburg müssen sich zwei oder drei Künstler diese Fläche teilen."

Deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass man in wohlhabenden und wachsenden Städten wie Hamburg oder München je Wächterhäuser brauchen wird. In Ostdeutschland ist das Wächterhausmodell hingegen ein Exportschlager: So gibt es inzwischen auch Wächterhäuser in Erfurt, Görlitz, Halle, Chemnitz sowie Wächterhaus-Initiativen in Magdeburg, Dresden, Zittau und Zwickau. Die Initiativen haben hierfür eine Kooperationsvereinbarung mit dem HausHalten-Verein abgeschlossen, denn den Begriff "Wächterhaus" haben sich die Leipziger im Interesse der Qualitätssicherung schützen lassen. Die neuen Initiativen können dafür das in Leipzig erworbene Wissen für ihre Städte nutzen.

In Leipzig gibt es noch Platz für Hausprojekte

So erfreulich jedes einzelne bewahrte und neu genutzte Gebäude ist, so ernüchternd ist die Feststellung, dass bisher nur rund eineinhalb Prozent der leer stehenden Denkmale in Leipzig in ein Wächter- oder Ausbauhaus umgewandelt werden konnten. Die definitive Rettung für Leipzigs ausgedehnte Gründerzeitviertel könnte wohl nur ein massiver Zuzug neuer Bewohner bringen. Anzeichen dafür gibt es bereits: Laut Katrin Weber war in den letzten Monaten eine Belebung der Nachfrage auf dem Immobilienmarkt mit vielen Eigentümerwechseln zu verzeichnen.

Dass es in Leipzig eine lebendige Kunst- und Kreativszene gibt (die ZEIT verglich Leipzig bereits mit dem Berlin der 1990er Jahre), hat sich mittlerweile bundesweit herumgesprochen, sodass vor allem junge Leute in die Stadt kommen - und immer häufiger auch hier bleiben wollen. Nach einem Bericht der Leipziger Volkszeitung gibt es in Leipzig inzwischen 20 kollektive Hausprojekte, davon zwei ehemalige Wächterhäuser. "Trotz der steigenden Preise und des maroden Zustands der Häuser gibt es noch Freiräume, die zu erobern sind", so Katrin Weber. Insofern kann man den von Gentrifizierung und steigenden Mieten geplagten Bewohnern westdeutscher Großstädte eigenlich nur raten, sich einmal in Leipzig umzuschauen - vielleicht ist ein Wächterhaus ja der passende Einstieg ins eigene Hausprojekt.

Die nächste und letzte Folge der Artikelserie: Anders wohnen als gewohnt: Berlin, die Hauptstadt der Wohnprojekte