Reise in das Herz der Finsternis

High Sierra

Eine Erinnerung an Cornel Wilde, den réalisiteur maudit des amerikanischen Films

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Gedenktage strukturieren uns das Jahr und täuschen eine Ordnung vor, die es in einer chaotischen Welt nicht gibt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass 2012 eine weitere Zunahme der Gedenkberichterstattung zu verzeichnen war. Leute feierten runde Geburtstage oder hätten das tun können, wenn sie vorher nicht gestorben wären, und aus diesem Anlass erinnerte man sich an sie. Weil jeder der Erste sein will ist es inzwischen so, dass die Promis aus Geschichte, Kultur und Politik meist schon abgefeiert sind, wenn wir endlich ihr Jubiläum erreicht haben. Einer wurde wie üblich vergessen. Er hieß Cornel Wilde, wäre 2012 hundert Jahre alt geworden und ist ein unbesungener auteur des amerikanischen Kinos. Als Schauspieler ein mehr durch seine Physis als durch seine mimischen Fähigkeiten überzeugender Frauenschwarm im Mantel-und-Degen-Fach, drehte er als Regisseur Filme von einer Grobheit, die ihn im Hollywood der lackierten Oberflächen zum Außenseiter machten. In der sonst lieber Narkotika verabreichenden Traumfabrik fühlte er sich für die Schwinger in die Magengrube zuständig.

"Der Mensch", sagt die Stimme aus dem Off, "hatte die Zerstörung seiner Umwelt fast bis zu einem Punkt vorangetrieben, von dem es kein Zurück mehr gibt. Natürlich gab es jede Menge Gerede über die Rettung der Erde, aber tatsächlich unternommen wurde nur sehr wenig." Dazu sieht man Bilder wie nie zuvor in einem kommerziellen Spielfilm. Auf Halde produzierte, in Reih und Glied stehende Neuwagen. Aufgetürmte Schrottautos. Schornsteine, durch die giftiger Rauch in die Luft geblasen wird. Übervölkerte Städte. Wohnsilos. Industrielle Abwässer, die in die Flüsse geleitet werden. Autos im Stau. Pestizide in der industriellen Landwirtschaft. Tote Fische an einem verschmutzten Strand. Ölförderanlagen. Vögel, das Gefieder mit Öl verklebt. Ein verhungerndes Kind. Autoabgase. "Und dann eines Tages", sagt die Stimme (es ist die von Cornel Wilde), "konnte es die verschmutzte Erde nicht mehr verkraften." Doch ich greife vor. Beginnen wir also, wie gewöhnlich, mit dem Anfang, um von dort zum Ende der ach so zivilisierten Welt zu kommen.

Ein Jude in Amerika

Jeder Ort, der etwas auf sich hält, braucht heute ein Alleinstellungsmerkmal. Prievidza (deutsch: Priwitz), im Tal der Nitra gelegen, rühmt sich, die Stadt mit der größten Verkaufsfläche pro Einwohner in der Slowakei zu sein, oder, wegen der vielen Grünflächen, die grünste. Ob auf der Wiese auch verkauft wird, konnte ich nicht ermitteln. Auf der Liste der berühmten Söhne und Töchter der Stadt stehen ein Bischof (mir unbekannt) und eine Fußballspielerin (auch noch nie gehört), die seit einem Jahr für einen österreichischen Verein kickt. Kornél Lajos Weisz, der Sohn jüdischer Eltern, ist leider nicht dabei. Ihn hat man in der grünen Stadt vergessen, oder man weiß gar nichts von ihm. Kornél wurde am 13. Oktober 1912 in Prievidza geboren, als der Ort noch Privigye hieß und zu Ungarn gehörte. 1920 wanderte die Familie Weisz nach Amerika aus. Im Mai bestiegen sie in Rotterdam ein Schiff nach New York, wo sie ihre Namen anglisierten. Aus Kornél Lajos Weisz wurde Cornelius Louis Wilde.

Sein Vater hatte im Ersten Weltkrieg körperliche wie seelische Verletzungen davongetragen und wurde schließlich arbeitsunfähig, wodurch die Familie in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Cornelius musste schon früh Verantwortung übernehmen. Er absolvierte die Schule im Eiltempo, sollte eigentlich Mediziner werden und hatte nach einem Vorstudium bereits ein Stipendium der Columbia-Universität in der Tasche, als er sich mit dem Theatervirus infizierte. Wie John Dall (Rope, Gun Crazy) und Anne Baxter (The Magnificent Ambersons, I Confess) besuchte er die Theodora Irvine School of the Theatre, 1935 feierte er sein Broadway-Debüt. Im selben Jahr qualifizierte er sich, als Säbelfechter, für die Olympiamannschaft der USA. An der Olympiade in Berlin nahm er dann aber nicht teil, weil er sich stattdessen für eine Bühnenrolle entschied (gut möglich, dass der Antisemitismus der Nazi-Olympioniken etwas damit zu tun hatte). Ende 1936 traf er im Büro eines Agenten Marjorie Heintzen (Künstlername: Patricia Knight), mit der er 1937 nach Elkton, Maryland durchbrannte, bei Liebespaaren als das "Gretna Green des Westens" bekannt, weil man dort ohne großen Vorlauf heiraten konnte (1938 wurde eine Wartezeit von 48 Stunden eingeführt, was der Gemeinde das Geschäft verdarb).

Im Interesse ihrer Schauspielkarriere beschlossen die frisch Vermählten, sich zu verjüngen. Cornel Wilde, ganz Gentleman, begnügte sich mit drei Jahren (mit New York als neuem Geburtsort), während sich Patricia Knight deren fünf genehmigte. 1940 gastierte Laurence Olivier mit seiner Inszenierung von Shakespeares Romeo und Julia am Broadway. Er engagierte Wilde für die Choreographie der Fechtszenen und übertrug ihm die Rolle des Tybalt, was dem jungen Schauspieler einen Hollywoodvertrag einbrachte. In Raoul Walshs High Sierra ist er der mexikanische Hotelportier, der den Blick von Humphrey Bogart nicht aushalten kann. Rasch hatte er sich zum Hauptdarsteller hochgearbeitet. Für seine sehr energische Verkörperung von Frédéric Chopin in A Song to Remember erhielt er eine Oscarnominierung. Häufig war er in Abenteuerfilmen zu sehen, wo er seine Fechtkünste zeigen konnte. In Forever Amber ist er der Kavalier von Linda Darnell, in At Sword’s Point kämpft er an der Seite von Maureen O’Hara (als Sohn von einem von den drei Musketieren), in The Bandit of Sherwood Forest ist er der Sohn von Robin Hood. Bei vielen seiner Filme denkt man zuerst an seine Partnerinnen und Partner, und nicht an ihn: an Gene Tierney als Femme fatale in Leave Her to Heaven, an Charlton Heston in The Greatest Show on Earth, an Jane Russell in Hot Blood oder an Ida Lupino und Richard Widmark in Road House.

Oben: Road House; Leave Her to Heaven. Unten: Hot Blood

In Douglas Sirks Shockproof spielt er den Bewährungshelfer seiner damaligen Gattin Patricia Knight. Als er sich verliebt, gerät er in Konflikt mit einem System, in dem menschliche Zuneigung nicht vorgesehen ist. Das Drehbuch lieferte Sam Fuller, mit dessen eigenen Filmen sich die Regiearbeiten von Cornel Wilde noch am ehesten vergleichen lassen. Fullers Geschichte kann nur in der Tragödie enden und löst sich doch in allgemeinem Wohlgefallen auf, weil das Studio das Drama umschreiben und kastrieren ließ. Um gegen solche Einmischungen der Buchhalter besser gewappnet zu sein, und um nicht weiter die Söhne der Helden früherer Kassenschlager spielen zu müssen, gründete Wilde 1955 eine eigene Firma, die Theodora Productions (benannt nach seiner alten Schauspielschule). Für seine erste Produktion engagierte er Joseph H. Lewis, der später von den auteur-Kritikern entdeckt und zum Kultregisseur wurde. Weil die "auteur-Theorie" meistens nur einen Autor gelten lässt, wurde Wildes Beitrag als Produzent nicht registriert. The Big Combo ist ein sehr guter Film noir, dessen subversive Qualitäten einem erst bewusst werden, wenn man den Plot mit dem von Shockproof vergleicht.

Oben: Shockproof. Unten: The Big Combo

Wilde ermittelt als Polizist gegen einen Gangsterboss und verliebt sich in dessen Freundin. Gleich in seiner ersten Dialogszene sagt er, dass er sich sein Essen selber kauft und dass er Geld braucht, um gegen das Geld kämpfen zu können. Das ist programmatisch zu verstehen. Als Chef der eigenen Produktionsfirma kümmerte er sich von nun an um die Finanzierung von Filmen, die er als Angestellter eines Studios nicht machen durfte. Die Gangsterbraut, der ihr Talent, ihre Schönheit und ihr Sinn für die Kunst in einem von Gier und Macht geprägten Milieu abhanden zu kommen drohen, spielt Jean Wallace, seit 1951 (und der Scheidung von Patricia Knight) Gattin Nummer Zwei und seine große Liebe. Das frühere Model Jean Walasek, wie sie mit bürgerlichem Namen hieß, war zuvor mit Franchot Tone (Phantom Lady, Dark Waters) verheiratet gewesen, dem Mann mit den vielen Ehen und dem exzessiven Privatleben, dem nicht alle seiner Partnerinnen gewachsen waren. Jean hatte zwei Suizidversuche hinter sich und ein gravierendes Alkoholproblem, als sie einmal Glück hatte und Cornel traf. Man darf wohl sagen, dass er ihr das Leben rettete. Sie hatte etwas Fragiles, das auch in ihren Rollen durchscheint. Cornel war ihr Ritter. Den gemeinsamen Filmen gibt das eine innere Wärme, einen harten Kern an Menschlichkeit, der umso zentraler wird, je mehr sich die von Wilde gezeigte Welt verfinstert.

Ritter in Camelot

Als er noch am Broadway war, versuchte Wilde sich am Verfassen von Theaterstücken. Später füllte er die langen Wartezeiten, die ein Filmschauspieler beim Drehen überbrücken muss, mit Schreiben und mit Malen. Damals begann er, sich für den Beruf des Regisseurs zu interessieren, weil er glaubte, in dieser Funktion am besten ausdrücken zu können, was er zu sagen hatte. 1955, als er Produzent wurde, inszenierte er auch den ersten seiner insgesamt acht Spielfilme, Storm Fear. Wilde ist ein Bankräuber, der mit seinen Komplizen im abgelegenen Haus seines Bruders und seiner Schwägerin Zuflucht sucht. Da werden sie durch einen Schneesturm von der Außenwelt abgeschnitten. Ein Schauspieler, der Regie führte, war im autokratisch regierten, auf Arbeitsteilung bedachten Hollywood nicht gern gesehen, weil er die Hierarchie durcheinander brachte (Angestellte, die nur einen Teil des Produktionsprozesses überblicken, sind leichter zu kontrollieren und auszutauschen).

Viele Filmkritiker hatten das System so verinnerlicht, dass es ihnen nicht mehr auffiel, wenn sie sich zu Erfüllungsgehilfen der Studiobosse machten. Verrisse waren Wilde gewiss. Ein Kritiker bemängelte, dass er vor der Kamera stottere, weil er von den Aufgaben eines Regisseurs überfordert sei und sich seinen Text nicht merken könne. Wildes Charakter in diesem Psychodrama stottert, weil er eine gescheiterte Existenz ist und seinem Bruder gegenüber einen Minderwertigkeitskomplex hat. Nach den stereotypen Rollen, die Hollywood ihm anbot, hatte Wilde als Regisseur und Produzent erkennbar keine Lust mehr, den ungebrochenen Helden zu geben. Für Mainstream-Kritiker war es schwer vorstellbar, dass ein hübscher Frauenliebling wie er freiwillig einen problembeladenen und nicht besonders klugen Versager spielen könnte.

In The Devil’s Hairpin (1957) ist Wilde ein ehemaliger Rennfahrer, der seinem Freund die Freundin ausgespannt hat, eine Mitschuld am Unfall seines Bruders trägt und noch einmal auf die Rennstrecke zurückkehrt, um seine inneren Dämonen zu besiegen, was tödlich für ihn enden könnte. In Maracaibo (1958) brennt ein Bohrloch vor der Küste Venezuelas. Wilde muss den Brand löschen, um Maracaibo vor der Zerstörung zu retten. Diese Filme haben gemeinsam, dass es am Schluss um das nackte Überleben geht und dass sie zeigen, wie Menschen sich unter einem enormen Stress verhalten. Seine Partnerin ist immer Jean Wallace, und es kann vorkommen, dass die Handlung plötzlich anhält, weil Wilde eine Gelegenheit entdeckt hat, Jean eine filmische Liebeserklärung zu machen und uns zu demonstrieren, was für eine tolle Frau sie in seinen Augen ist. Er geht dabei mit einer solchen Begeisterung und Hingabe zu Werke, dass man ihm unmöglich böse sein kann. Cornel Wilde hatte jede Menge Gründe, Filme nach seinen eigenen Vorstellungen zu drehen. Die Liebe zu Jean war einer davon. Unpersönliche Hochglanzprodukte waren von ihm nicht zu erwarten.

Seine beste Phase hatte der Regisseur Cornel Wilde in den 1960ern, als er vier intelligente Filme über den Menschen und sein Verhältnis zur Gewalt drehte; Filme, die auf die moralischen Gemeinplätze verzichten, die zum Einlullen des Publikums üblicherweise eingeflochten werden und Filme, die sich nicht um ästhetische Konventionen scheren, weshalb man sie als Kritiker ganz flott in die Tonne getreten hat, wenn man sie nach dem Regelbuch von Hollywood beurteilt. Bei allen vieren wirkte Wilde am Skript mit, unter seinem eigenen (Künstler-)Namen, unter seinem Pseudonym Jefferson Pascal oder ungenannt. Der erste, Sword of Lancelot, 1963 uraufgeführt und auch als Lancelot and Guinevere verliehen, ist stilistisch der konventionellste. Thematisch bereitet er den Boden für die anderen drei, die sich chronologisch und evolutionär von einer "primitiven" Entwicklungsstufe (das Afrika des 19. Jahrhunderts in The Naked Prey, 1966) über die "zivilisierte" Gegenwart (der Zweiter-Weltkriegs-Albtraum Beach Red, 1967) in eine apokalyptische Zukunft bewegen (No Blade of Grass, 1970). Sword of Lancelot leitet die in sich sehr schlüssige Tetralogie mit einem Ausflug in die mythologische Welt des sagenhaften König Artus ein.

Die mitunter ungeschlacht wirkende Machart von Wildes Filmen ist das Resultat eines künstlerischen Ausdruckswillens, nicht von handwerklicher Unfähigkeit, wie gern behauptet, wenn sich jemand von der Hollywood-Norm entfernt. Er war ein kluger und gebildeter Mensch mit sehr viel Dreherfahrung und einem Auge für die richtige Bildkomposition. Sword of Lancelot ist im Wesentlichen eine Kombination von Motiven aus Tennysons Idylls of the King und Sir Thomas Malorys Le Morte d’Arthur, mit Anleihen bei Tristan und Isolde. Wilde wählte danach aus, was für die ihm am Herzen liegende Thematik geeignet war und sich mit begrenzten finanziellen Mitteln realisieren ließ. An der Zahl der Statisten ist abzulesen, was in den britischen Pinewood Studios und was in Jugoslawien entstand (Gojko Mitic, der Pierre Brice der DDR-Indianerfilme, soll Wilde in einigen Actionszenen gedoubelt haben). In Großbritannien war alles deutlich teurer. Wilde ironisiert seine Geldnot, indem er eine Tafelrunde zeigt, die nur halb besetzt ist. Mehr Ritter gab das Budget nicht her; wer Qualität mit Production Values verwechselt schaut sich besser die Hollywood-Ritterfilme der 1950er an. Auch zu den vorhandenen Recken, die er betont gestelzt daherreden lässt, nimmt Wilde eine spöttisch-distanzierte Haltung ein.

Sword of Lancelot

Artus (Brian Aherne führt - anders interpretiert - seine Rolle aus Prince Valiant fort) wirbt um Guinevere, die Tochter von Leodogran, König von Cameliard. Leodogran schickt den jungen Sir Tors mit der Antwort, dass er Zweifel an Artus’ Abstammung habe und seinen Anspruch auf die Regentschaft über ganz Britannien nicht anerkenne. Statt der nun fälligen Kriegserklärung und einer Schlacht mit vielen Opfern schlägt er vor, dass jeder König einen Stellvertreter für seine Sache kämpfen lässt. Sollte Artus’ Ritter den Zweikampf auf Leben und Tod gewinnen, wird Leodogran den König als seinen Lehnsherrn anerkennen und ihm Guinevere zur Frau geben. Daraus könnte nun dieses oder jenes entstehen, mit einem Loblied auf das edle Rittertum als absolutem Minimum. In solchen Filmen wird einem Leodograns Vorschlag normalerweise als zivilisatorischer Fortschritt verkauft. Statt zweier Heere schlagen sich zwei Einzelne die Köpfe ein, und weil sie dabei Regeln folgen und der Held gewinnt, weil er der Held ist (und dem Unterlegenen das Leben schenkt), wird alles gut. So sieht das auch König Artus, für den das Duell ein Beweis für sein segensreiches Wirken ist. Er schickt Sir Lancelot los, der Leodograns Ritter, Sir Dorjak, töten und Guinevere gleich mit zurückbringen soll. Dann setzt er, zufrieden mit sich und der Welt, sein Mittagessen fort. In Die Ritter der Tafelrunde mit Robert Taylor oder in Prinz Eisenherz wäre das völlig anders.

Sword of Lancelot

Wilde hat für Relativismus kein Verständnis. Für ihn ist entscheidend, dass Gewalt Gewalt ist, unabhängig davon, ob sie nach höfischen Regeln abläuft oder nicht. Für einen Regisseur, dem häufig vorgeworfen wurde, er habe mit Blut Kasse machen wollen, ist das ein erstaunlich moralischer Standpunkt. Artus akzeptiert die angeblich zivilisierte Form der Gewalt, den ritterlichen Zweikampf, und Wilde widmet sich im Rest des Films der Frage, was davon zu halten ist. Dabei gelangt er zu einem nicht nur für Sozialdarwinisten beunruhigenden Befund. Es gibt keine Garantie dafür, dass es auf der evolutionären Leiter Sprosse für Sprosse nach oben geht; der Weg kann auch nach unten führen, zurück in die Barbarei. Das aus anderen Ritterfilmen sattsam bekannte, vermeintlich von einem goldenen Zeitalter kündende Tafelrunden-Gehabe ist bei Wilde das Vorspiel zu dem Gemetzel, das es eigentlich verhindern soll. Das macht seine Filme so aktuell. Wenn man sie sieht, kann man gut über den geschmeidigen Umgang mit der mal guten und mal bösen, hier leider notwendigen und dort verabscheuungswürdigen Gewalt nachdenken, den wir uns angewöhnt haben, beim Kampf gegen den Terror (die Sicherung begehrter Bodenschätze inklusive) und so fort.

Geregeltes Blutvergießen

Was unter "ritterlichem Zweikampf" zu verstehen ist, wird auf dem Turnierplatz von König Leodogran demonstriert. Ritter Lancelot spricht mit einem Priester ein Gebet, um sodann Ritter Dorjak den Schädel zu spalten und den vereinbarten Siegespreis einzufordern, die schöne Guinevere. Das geht alles sehr höfisch und geregelt zu, mit vorheriger Wahl der Waffen und Festlegung der Tötungsmodalitäten. Für Wilde ist der Unterschied zwischen Sir Lancelot und einem Steinzeitmenschen, der seinem Gegner mit der Keule den Kopf zertrümmert und die Jungfrau in seine Höhle schleppt, trotzdem nur graduell. Darum verzichtet er auf die kunstvoll choreographierten, einen ästhetischen Genuss bereitenden Schwertkämpfe, an die wir uns gewöhnt haben. Prompt wurde er wegen der Ungeschicklichkeit kritisiert, mit der er die Kampfszenen inszeniert habe. Das ist ein Missverständnis. Wilde, der ehemalige Meisterfechter und Choreograph von Laurence Olivier, hätte das "besser" gekonnt, wenn er gewollt hätte. Ähnliches gilt für die Einstellungen, deretwegen ihm krude Splattereffekte und mangelnder Realismus angekreidet wurden. Wilde ging es darum zu zeigen, dass es keine schöne Sache ist, wenn sich Schwerter und Pfeile in Körper bohren oder Mordred einen Arm verliert, nicht um das Bedienen lieb gewordener Sehgewohnheiten. Auf eine irgendwie geartete Form von Realismus kam es ihm nicht an. (Wie viele seiner Kritiker wohl aus eigener Erfahrung wussten, wie es wirklich aussieht, wenn ein Ritter den Helm entzwei schlägt, in dem der Kopf des Gegners steckt? Ich weiß es zum Glück nicht.)

Sword of Lancelot

Wilde kontrastiert gern Dinge, die wir für Errungenschaften unserer Zivilisation halten, mit dem menschlichen Hang zu Gewalt und Destruktion. Zu Beginn wird Lancelot von einem erschrockenen Höfling mit Schaum am ganzen Körper gesichtet, worauf die Tafelrunde glaubt, er sei an der Pest erkrankt. Dabei hat er sich nur eingeseift. Die Seife ist für ein paar Lacher gut, wird aber bald zum Schmiermittel der Tragödie, weil Lancelot die holde Guinevere beim Bad im Teich mit Merlins Erfindung vertraut macht, wobei sich das Paar notwendigerweise näher kommt und eine gegenseitige Zuneigung entdeckt, die nur traurig enden kann. So wird die Seife, das Symbol der Zivilisation, zur Vorbotin des Untergangs. Den weißen Schaum werden wir später, in No Blade of Grass, auf der Oberfläche verseuchter Flüsse wiedersehen. Das mit der Pest war nicht so falsch.

Sword of Lancelot

Der zentrale Dialogsatz fällt nach dem Bad im Teich, als Lancelot und Guinevere nebst Gefolge auf dem Weg nach Camelot in einen Hinterhalt geraten. "Hör nicht auf zu kämpfen, um nachzudenken!" ruft Lancelot dem jungen Sir Tors zu. Das ist genau der falsche Rat. Hört nicht auf nachzudenken, um zu kämpfen, warnen Wildes Filme. Was andernfalls daraus entsteht, wird in Sword of Lancelot mit brutaler Konsequenz durchgespielt. Beginnend mit dem Zweikampf, werden die Gemetzel immer blutiger. Als Übernahme aus Prinz Eisenherz gibt es eine Invasion der Wikinger, mit deren Hilfe Mordred auf Artus’ Thron gelangen will. Die Eindringlinge massakrieren die männlichen Bewohner eines Dorfes und vergewaltigen die Frauen, ehe ihr Heer von Lancelot vernichtet wird. Als Kämpfer (nicht als Denker) an seiner Seite bewährt sich Sir Tors. So etwas kennt man. In Prinz Eisenherz führt der kampferprobte Sterling Hayden den unerfahrenen Robert Wagner in die Feinheiten des Rittertums ein, auf dass er lerne, wie man den Feinden den Schädel spaltet und dergleichen. Bei Wilde sind Genre-Konventionen dafür da, dass man gegen sie verstößt. Darum schießt ein Wikinger Sir Tors, bevor er ein echter Rittersmann werden kann, einen Pfeil in den Kopf. Wer sein Hirn nicht zum Denken verwendet, heißt das, dem bohrt bald einer ein Loch hinein. Wilde kommt direkt zur Sache, wenn ihm etwas wichtig ist.

Sword of Lancelot

Wenn nicht gerade intrigiert, gekämpft und getötet wird, erweist Wilde Jean Wallace die Referenz, seiner blonden Göttin. Sie trägt ihre Weiblichkeit akzentuierende Burgfräulein-Kostüme und wird mit Blumen assoziiert. Der Garten von Camelot ist der Ort, wo sich Lancelot und Guinevere treffen und von ihrer verbotenen Liebe träumen können. Blumen stehen bei Wilde für das Schöne in der Welt, sind in ihrer Fragilität und Farbigkeit das Gegenbild zur rauen Wildnis und zu einer Gesellschaft, die bei der Konfliktlösung auf Gewalt und das Recht des Stärkeren setzt. Das könnte leicht in den Kitsch abgleiten, wenn die Blumen nicht permanent in Gefahr wären, untergepflügt zu werden und wenn Wildes Inszenierungsstil nicht wäre, der trotz aller Jean-Wallace-Begeisterung nüchtern und unprätentiös bleibt.

Sword of Lancelot

Auf den Ehebruch der Königin, so will es das vom König erlassene Gesetz, steht der Feuertod. Um die Verbindung zum Garten herzustellen, ist Guineveres Schlafgemach mit bunten Tüchern geschmückt, als Mordred dafür sorgt, dass Artus sie und Lancelot nach einer Liebesnacht ertappt. Der Staatsräson wegen soll Guinevere auf dem Scheiterhaufen sterben. Das ist so, sagt Wilde, wie wenn man eine Blume verbrennen würde, und wieder hat diese ritualisierte und deshalb scheinbar zivilisiertere Form der Gewalt (die christliche Kirche ist erneut mit dabei) nur weitere Gewalt zur Folge. Lancelot rettet Guinevere vom Scheiterhaufen und flieht mit ihr auf eine Burg, wo sie von einem Ritterheer belagert werden. Artus und der rachsüchtige Gawain, dessen Bruder Lancelot auf der Flucht erstochen hat, schlagen nacheinander den schon bekannten Zweikampf vor, um das Blutvergießen so gering wie möglich zu halten. Lancelot lehnt ab, weil er nicht mehr töten will.

Sword of Lancelot

Also wird die Belagerung fortgesetzt, sterben weiter Leute auf beiden Seiten. Die bittere Erkenntnis: Wer sich für den Weg der Gewalt entscheidet, begibt sich auf abschüssiges Gelände, eine Umkehr ist früher oder später nicht mehr möglich. Der Entschluss von Lancelot, der das Kämpfen zu seiner Profession gemacht hat, kein Blut mehr zu vergießen, führt nur zu noch mehr Blutvergießen (man könnte das auch als Gangsterfilm erzählen, mit dem Ritter als Auftragskiller). Sword of Lancelot endet als tragische Liebesgeschichte und mit dem verstörenden Gedanken, dass es nur ein kleiner Schritt sein könnte, der von den Regeln, mit denen zivilisierte Menschen ihr Zusammenleben ordnen, in die Barbarei führt.

Sword of Lancelot

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