Putin unser, der du bist im Kreml

Foto: AKuptsova/gemeinfrei

"Man ist immer auch ein klein wenig selbst russischer Staatschef" - eine kleine Psychopathologie des gemeinen Putintrolls

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Jeder, der es sich immer noch nicht abgewöhnt hat, unzensierte Kommentarforen oder die üblichen sozialen Netzwerke zu durchstöbern, kennt sie zur Genüge: die frenetische deutsche Anhängerschaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die bei einschlägigen geopolitischen Themen leidenschaftlich Partei ergreift für Russland und den Kreml. Dabei handelt es sich gerade nicht um das Produkt einer finsteren Putinischen Trollfabrik, wie dies in den westlichen Medienmainstream immer wieder lanciert wird. Der deutsche Putinschwarm weist eine Eigendynamik auf, die auf innerdeutsche ideologische wie auch machtpolitische Faktoren zurückzuführen ist.

Die Mitgliederschaft des putinischen Fanclubs rekrutiert sich quer aus dem politischen Spektrum, es sind neurechte Bürger, rechtsextreme Agitatoren wie auch orthodoxe, in Regression begriffene Linke hierunter zu finden. Ohne Übertreibung kann die politische Figur des russischen Präsidenten als eine der wichtigsten ideologischen Brutstätten der neuen deutschen Querfront bezeichnet werden. Das liegt vor allem daran, dass der arme Wladimir Wladimirowitsch als ideologische Projektionsfläche deutscher Querschläger aller Art fungiert (vgl. Sehnsucht nach dem "Starken Mann").

Des Kremls ideologischer Gebrauchtwarenladen

Für den traditionsverliebten orthodoxen Linken ist die Solidarität mit dem putinischen Russland die Fortsetzung der unverbrüchlichen Freundschaft mit der untergegangenen Sowjetunion. Die gegenwärtige russische Geschichtspolitik, die auch die Sowjetperiode – im Sinne einer nachholenden Modernisierung Russlands – positiv besetzt, bietet hier genügend symbolische Anknüpfungspunkte. Die roten Fahnen am Tag des Sieges in Moskau lassen die Sowjetmacht kurz aufleben – vielen Traditionskommunisten und heimatlosen Sozialisten reicht das als herbeigesehnter nebulöser Identifikationspunkt.

Für die neue deutsche Rechte bietet Russland hingegen auf ideologischer wie praktischer Ebene vielfache handfeste Identifikationsmöglichkeiten. Zum einen ist ja der Kreml tatsächlich bemüht, in etlichen Ländern des Westens aus taktischen Gründen die extreme Rechte durch Finanzzuwendungen zu stärken (etwa in Frankreich), um hierdurch geopolitische Vorteile zu erlangen. Zum anderen wird Russland von der deutschen extremen Rechten als ein Verbündeter im Kampf um ein reaktionäres Rollback der BRD angesehen.

Das putinische Eurasien, vom Kreml als ein autoritär-kulturalistisches Gegenstück zum angeblich liberalen Westen aufgebaut, wird von weiten Teilen der Rechten als reaktionäre Vision einer von jeglichen Emanzipationsansätzen, wie der Schwulenemanzipation oder dem Feminismus, gereinigten Gesellschaft geteilt.

Fazit: Der ideologische Gebrauchtwarenladen, aus dem der Kreml nach dem Untergang der Sowjetunion eine neue russische Identität bastelte, hat somit für jeden - vom Altstalinisten bis zum Jungnazi - etwas zu bieten. Und es sind gerade die sozialen Netzwerke und die Internetforen mit ihrer scheinbaren Anonymität, die bei der Ausformung dieser Querfront mithalfen, da die Diskussionen mit anonymen Gleichgesinnten die ideologischen Unterschiede sehr schnell nivellierten.

Die nervige Penetranz und die Energie vieler Putintrolle rechter wie linker Herkunft, die mitunter regelrechte virtuelle Kreuzzüge gegen eine größtenteils imaginierte Feindessschar in den sozialen Netzwerken führen, deutet auf starke psychische, mitunter pathogene Treibkräfte, die diese Irrlichter dazu bringen, einen großen Teil ihrer Freizeit hierfür zu opfern.

Der Putinismus als Alltagsreligion

Zum einen fungiert die Figur Putin in diesem Spektrum ganz klar als eine Führerersatzfigur, wie sie autoritäre Charaktere vor allem in Krisenzeiten herbeisehnen. Der urdeutsche Drang nach einem Führer, der einfache Lösungen anbietet, den rechten Weg weist und mit starker Hand aufräumt wird abermals auf den armen Wladimir Wladimirowitsch projiziert. Da es derzeit in Deutschland an entsprechend qualifizierten Figuren noch mangelt, sieht man auf Demos von Pegida und AfD halt Plakate mit der Aufschrift: "Putin Hilf!".

Und es ist genau dieser Führernachwuchsmangel (eine Folge des deutschen Fachkräftemangels?), der die extremistische deutsche Rechte so verzehrt. Überall sprießen Führerfiguren aus dem politischen Morast, doch ausgerechnet im historischen Heimatland des Führerkults scheint es daran zu mangeln.

Die Überidentifikation mit Wladimir Wladimirowitsch lässt im autoritären Charakter auch Allmachtsphantasien aufkommen: Egal, was Putin konkret tut, welche Kehrtwendungen die Machtpolitik des Kremls vollzieht (etwa bei den Beziehungen zur Türkei) - Putin tut immer genau das, was man selber tun würde. Man ist immer auch ein klein wenig selbst russischer Staatschef.

Diese am bemitleidenswerten Wladimir Wladimirowitsch ausgelebten irrationalen Allmachtsphantasien deuten selbstverständlich nur auf die reelle uneingestandene Ohnmacht hin. Und genau dies ist des Putintrolls klebriger Kern, der sich unter der harten Schale aus Hetze und Wahn verbirgt: Ohnmachtsgefühle und Angst angesichts der eskalierenden und nicht mehr ignorierbaren Krisendynamik, die zur Identifikation mit einer importierten Führerfigur führen, zur Identifikation mit der Macht, um die eigene Ohnmacht verdrängen zu können.

Die religiöse Inbrunst, mit der viele Putintrolle in ihrer Freizeit für ihren Wladimir Wladimirowitsch bis zur Selbstaufopferung streiten, verweist auf den pseudoreligiösen Charakter dieser Erweckungsbewegung. Es ist eine flüchtige, säkularisierte Alltagsreligion, die sich im Internet um die Erlöserfigur des russischen Staatschefs herausbildete. Der Manichäismus, dem die Putintrolle verfallen sind, hat klar religiöse Wurzeln - er wird aber an diesseitigen Figuren und Objekten abreagiert.

Putin und das Reich des traditionsverhafteten Lichts, das ja bekanntlich im Osten aufgeht, stehen hier im ewigen Kampf gegen die Mächte der Finsternis und Verkommenheit, die mit Globalismus, Kosmopolitismus und Wurzellosigkeit assoziiert werden. Die Parallelen zur nationalsozialistischen Ideologie sind offensichtlich, wobei – zumindest bislang – der implizit gegebene Antisemitismus in diesem Milieu nicht manifest wird. Noch wird er kaschiert im Geraune über die amerikanische Ostküste, die Globallisten oder das wurzellose Finanzkapital.

Die Alltagsreligion des Putinismus ist aber nicht monotheistisch, wie der Wahlsieg Trumps belegt. Sie kann polytheistisch um weitere autoritäre Erlöser- und Führerfiguren erweitert werden. Trump fasziniert den Putintroll durch seine offen antidemokratischen Züge, seine Drohung mit faschistischer Politik, mit dem Aufbau eines Lagersystems und massenhafter Jagd auf "illegale Menschen", die abgeschoben oder in Lagern zu Millionen konzentriert werden sollen.

Zugleich ist es gerade die Fokussierung Trumps auf die Innenpolitik, die seine plötzliche Popularität in der deutschen Rechten erklärt. Der Weg zu einem Platz an der Sonne scheint nun frei zu sein, glaubt man zumindest am Stammtisch.

Die Linke und das Fehlen des progressiven Machtpols

Der gesamte deutsche Putin-Fanclub - von pseudolinks bis rechtsaußen - ist schlicht an der eigenen Ohnmacht irre gegangen. Die Krisendynamik treibt die spätkapitalistichen Staatsmonster ja tatsächlich auf geopolitischer Ebene in die Konfrontation, die in einem verheerenden Großkrieg zu kumulieren droht.

Das zerrüttete Weltsystem befindet sich eindeutig in einer Vorkriegszeit – und daran geht die "konservative", rückwärts fixierte Linke in Deutschland zugrunde. Denn es gibt keinen auch nur nominell progressiven Machtpol, keine neue Sowjetunion, die als ein Gegengewicht zu den zunehmenden neoimperialistischen Konflikten fungieren könnten.

Der konservativ-traditionslistische Teil des linken Szenesumpfs geht somit in offene Auflösung über. Da es keine "Sowjetmacht" mehr gibt, erfindet sich der reaktionäre Teil der ohnmächtigen "Antiimps" eine neue Identifikationsfigur im Ex-Genossen Putin. Unter Rückgriff auf die üblichen Argumente von "objektiv fortschrittlichen" Regimes, die seit den 1980ern ohnehin nur das Scheitern der meisten Entwicklungsregimes im globalen Süden kaschierten, fällt der reaktionäre Teil des Antiimperialismus in seiner Regression weit hinter sein Idol, Wladimir Iljitsch Lenin, zurück.

Dieser hatte all seinen theoretischen Verkürzungen zum Trotz wenigstens noch gewusst, dass linke Politik nicht darin bestehen kann, irgendwelchen reaktionären Regimes möglichst tief in den Arsch zu kriechen, sondern es nur darum gehen kann, die innerimperialistischen Widersprüche möglichst geschickt auszunutzen.

Letztendlich zementiert der putintreue Flügel des Antiimperialismus seinen Abschied vom Antikapitalismus, von der Idee der Emanzipation. Es ist ein Abschied von der Linken. Die neue Epoche eines postdemokratischen Kapitalismus, der sich mit der Wahl Trumps und dem hegemonialen Abstieg der USA krisenbedingt verfestigt, wird als eine multipolare Weltordnung schön geredet.

Die Parallelen zu den Antideutschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind offensichtlich, wo aus denselben Ohnmachtserfahrungen heraus sich die fixe Idee etablierte, ausgerechnet die USA als eine "objektiv progressive" Wiedergeburt der Sowjetunion, oder zumindest des Hegelschen Weltgeistes zu betrachten.

Der damalige Putin hieß George W. Bush, und die amerikanische Invasion des Irak wurde mit derselben Verbissenheit als segensreiches Zivilisationswerk verteidigt, wie heutzutage selbst die größten Gemetzel des Assad-Regimes verteidigt werden.

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