Generalangriff auf den Euro?

Standard & Poor's stuft die Kreditwürdigkeit von neun Euro-Staaten zum Teil sogar um zwei Stufen herab

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Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) hatte eine Abstufung der Bonität vieler Euro-Länder schon im Dezember angedroht. Nun hat S&P ernst gemacht, aber Deutschland die Bestnote "AAA" (noch) nicht abgesprochen. Ist es ein Zufall, dass S&P ihre Abstufung genau in dem Augenblick platziert, als sich die Lage an der Zinsfront etwas entspannt hatte? Gerade konnten Spanien und Italien zu einigermaßen erträglichen Renditen Staatsanleihen versteigern ( Aufatmen in Spanien und Italien) und nun wurde die Kreditwürdigkeit dieser beiden Länder von S&P sogar um zwei Stufen gesenkt. Da Frankreich und Österreich die Bestnote aberkannt wurde, wird der europäische Rettungsmechanismus ausgehebelt.

Die massive Abstufungswelle durch S&P war genauso erwartet worden, wie die Tatsache, dass Österreich und Frankreich ihre Bestnote verlieren dürften. Und dann waren's nur noch vier, könnte man jetzt singen, weil nur noch Deutschland und einige kleinere Euroländer (die Niederlande, Finnland und Luxemburg) die Bestnote halten. Frankreich und Österreich wurden dagegen um eine Stufe auf "AA+" herabgestuft. Italien wurde von "A" auf "BBB+" zurückgestuft. Eine weitere Herabstufung würde das drittgrößte Euroland an die Grenze zur Ramsch-Anleihe bringen.

Vom Junk-Bond noch deutlich entfernt ist Spanien, das von "AA-" auf "A" herabgestuft worden ist. Längst als Ramsch eingestuft wird dagegen Portugal, das von "BBB-" nun sogar auf "BB" gesetzt wurde. Auch Zypern ist mit "BB+" nun Junk-Bond und dadurch nach Ansicht der Agentur nur noch eine spekulative Anlage. Bei Verschlechterung der Lage muss daher nach Einschätzung von S&P mit Ausfällen gerechnet werden. Die Slowakei, Slowenien und Malta haben eine Stufe eingebüßt, verfügen aber noch über A-Noten und bleiben bis auf Weiteres deutlich vom Ramsch-Niveau entfernt.

Kein Zufall

Faktisch kratzt S&P nur an der Note Deutschlands (noch) nicht, obwohl auch in die Richtung schon Gerüchte gestreut worden waren. Die machten auch am Freitag erneut die Runde, weshalb der Leitindex DAX in Frankfurt nach einem anfänglichen Plus in den Keller ging. Zwar haben neben Deutschland auch die Niederlanden und Finnland ihre Bestnote behalten, aber ihnen wird, anders als Deutschland, ein "negativer Ausblick" bescheinigt.

Das gilt auch für die abgestuften Länder Österreich und Frankreich, weshalb die Agentur weiteren Abstufungsdruck aufrechterhält. Frankreich hatte ohnehin schon befürchtet, um zwei Stufen herabgestuft zu werden.

Es ist sicher kein Zufall, dass die Abstufungen genau jetzt erfolgt sind. Schließlich hatte sich diese Woche eine gewisse Erleichterung breit gemacht, da Spanien und Italien wieder deutlich niedrigere Zinsen bezahlen mussten, als sie Staatanleihen vergleichsweise erfolgreich versteigert haben. Sie konnten erstmals seit Monaten wieder aufatmen, da das Zinsniveau wieder erträglicher wurde.

Dem Absturz näher bringen

Dieser Trend hatte sich gerade am Freitag bestätigt, als auch Italien wieder einigermaßen erfolgreich längerfristige Anleihen begeben konnte und deutlich unter der Absturzmarke von 7% blieb. Für Anleihen mit einer Laufzeit von drei Jahren musste das Land eine durchschnittliche Rendite von 4,83% bieten, das war weniger als bei der letzten vergleichbaren Versteigerung, als 5,66% bezahlt werden mussten. Etwas schlechter lief die Versteigerung von Papieren, die 2018 fällig werden. Die Durchschnittsrendite stieg sogar leicht von 5,62 auf 5,75%.

Das zeigt, dass sich die Vorbehalte gegen das Land nicht zerstreut haben. Der Zinssatz ist mittelfristig für das schwer verschuldete Land noch zu hoch. Ignazio Visco, Chef der italienischen Notenbank, hatte kürzlich erklärt, Rom könne seine Schulden nur aushalten, wenn die langfristigen Zinsen unter die Marke von 5% fallen. Das ist nachvollziehbar, denn die Staatsverschuldung des Landes dürfte Ende 2011 schon über 120% des BIP gelegen haben. Das Land wird dabei nur noch von Griechenland übertroffen.

Angesichts eines Schuldenbergs von fast zwei Billionen Euro lasten hohe Zinsen deutlich stärker auf dem Haushalt Italiens, als es zum Beispiel bei Spanien der Fall ist, das strukturell aber massive Probleme hat, wie eine Rekordarbeitslosigkeit von 23 Prozent zeigt. Doch die Verschuldung des Landes dürfte Ende 2011 erst bei etwa 70% des BIP gelegen haben, obwohl das Haushaltsdefizit des Landes mit 8% deutlich höher als versprochen ausfällt. Die von den Konservativen regierten Regionen hatten sich nicht an die Sparvorgaben gehalten und erste Regionen schmieren inzwischen wie Valencia in die Pleite ab.

Offensichtlich soll der massive Druck auf die Eurozone über diese beiden Länder aufrechterhalten werden, indem ihr Zinsniveau wieder nach oben getrieben wird, um sie dem Absturz näher zu bringen. Dabei tun sowohl Spanien als auch Italien genau das, was die Ratingagenturen lange Zeit gefordert hatten: mittels massiver Sparprogramme die Haushalte zu konsolidieren. Dass das tief in die Rezession führt, bestätigt sich nach Griechenland nun auch in Portugal. Genau diese Tatsache wird seit einiger Zeit von den US-Ratingagenturen aber angeführt, um neue absurde Abstufungen zu rechtfertigen.

Der Druck der Agenturen und die unteren Einkommen

In Portugal waren einst die Sozialisten vor den Ratingagenturen eingeknickt, die das Land langsam aber sicher in die Pleite gestuft haben (Auch Portugal auf "Ramsch"-Niveau herabgestuft). Die abgewählte sozialistische Regierung hatte auf Druck der Abstufungen ihren zunächst ausgeglichenen Konsolidierungskurs aufgegeben, der alle Bevölkerungsgruppen belastet und sogar den Militärhaushalt angetastet hatte.

Auf Druck der Agenturen, allerdings von Brüssel sekundiert, wurden dann vor allem die unteren Einkommensgruppen zur Kasse gebeten, wie über die Anhebung der Mehrwertsteuer auf 23%. Deshalb wurden die Sozialisten abgewählt, allerdings haben die Konservativen dem Land nun ein Schock-Programm verordnet. Für viele Menschen im Land ist es nun schon Luxus, ins Krankenhaus oder zum Arzt zu gehen.

Dabei wurden mit dem "verrückten" Sparkurs nur die "katastrophale Folgen" erreicht, welche Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman und Stiglitz vorhergesagt hatten. Da der Sparkurs unter Führung des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Rahmen der Nothilfe von 78 Milliarden Euro noch deutlich verstärkt wurde (Souveränität Portugals ist Geschichte), muss man sich über das Ergebnis nicht wundern. Nun hat sogar die portugiesische Notenbank erklärt, dass sich das Land in einer "nie dagewesenen Rezession" befindet.

Generalangriff auf den Euro

Die Intervention von S&P kommt also genau zu dem Zeitpunkt, wo die Rettungsmaßnahmen im Euroraum erstmals im Zinsniveau Italiens und Spaniens eine deutliche Wirkung entfaltet hatten. Banken hatten das Geld der Europäischen Zentralbank (EZB), die die Geldmärkte für drei Jahre mit einer halben Billion geflutet hat, gewinnbringend auch in Staatsanleihen von Krisenländern angelegt.

Das Geschäft ist grandios, da die Banken das Geld für einen Zinssatz von 1% von der EZB erhalten, aber von Spanien fast 4% und von Italien sogar 5-6% kassieren. Mit dieser enormen Bankensubvention sollten vor allem die Absturzländer Spanien und Italien gestützt werden, damit sie nicht auch noch unter den temporären EU-Rettungsschirm (EFSF) gehen müssen.

Die Abstufungen von insgesamt neun Ländern entsprechen einer Doppelstrategie. Auf der einen Seite werden die Zinsen für Spanien und Italien in die Höhe getrieben, womit sie wieder näher an den Abgrund getrieben werden. Dazu wird aber mit der Abstufung von zwei Ländern mit Bestnote der EFSF als Krisenmechanismus torpediert. Anfang November musste der EFSF trotz AAA-Rating schon eine Anleihe-Auktion im Rahmen des Dramas um den Rücktritt von Silvio Berlusconi abbrechen.

Nur noch ein Mäuerchen, statt einer Firewall

Kurz danach konnte der Fonds zwar wieder Anleihen versteigern, doch der Zinsaufschlag (Spread) lag trotz Bestnote bei 177 Basispunkten. Mit einer Rendite von 3,6% musste der EFSF schon fast doppelt so hohe Zinsen als Deutschland für Bundesanleihen mit einer zehnjährigen Laufzeit bieten. Die Brandmauer aus fünf Euroländern, die noch über ein AAA verfügten, sicherte auch dem EFSF die Bestnote.

Da es nach der Abstufung Frankreichs und Österreichs nur noch ein Mäuerchen geblieben ist, dürfte auch der Rettungsfonds nun seine Bestnote verlieren. Aber auch wenn das nicht geschieht, werden die Zinsen und die Kosten für Nothilfe weiter steigen und der Rettungsschirm verlöre schon damit weiter an Wirkung.

Man darf sich aber fragen, ob es sich um einen Fangschuss für die bisherigen Nothilfemaßnahmen aus Berlin und Paris handelt oder ob es sich - vor dem EU-Gipfel am Monatsende - nur um einen extremen Warnschuss der Ratingagentur handelt, um die Beschlüsse noch weiter in ihrem und im Sinne ihrer Kunden zu beeinflussen.

Das Aushebeln des Hebels

Die Erfolgsaussichten des von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy angedachten Hebelmodells waren ohnehin von Beginn an schon sehr fraglich. Dabei war ohnehin stets klar, dass auch über einen gehebelten EFSF bestenfalls Spanien aufgefangen werden könnte, niemals aber das hoch verschuldete Italien. Doch längst wird auch offiziell anerkannt, dass die verbleibenden 250 Milliarden Euro, über die der EFSF noch verfügt, nicht einmal auf eine Billion gehebelt werden können (siehe Basteln Merkel und Sarkozy weiter am Elite-Europa?. Nun kann auch bezweifelt werden, ob Spanien aufgefangen werden könnte.

Denn faktisch hat S&P eine signifikante Hebelung nun ausgehebelt. Die Ratingagentur hat dazu das Werkzeug in der Hand, denn viele Fonds sind zum Teil gesetzlich verpflichtet, nur Papiere mit der höchsten Bonität ins Portfolio zu nehmen. Die Anleihen eines herabgestuften EFSF können sie also nicht gebrauchen. S&P zeigt vor dem nächsten EU-Gipfel erneut die geballt Macht und stellt die Abstufung des EFSF durch die Abstufungen in den Raum.

Es ist offensichtlich, dass der Agentur die Erfolge beim vergangenen EU-Gipfel im Dezember nicht ausreichen. Dort waren Merkel und Sarkozy vor den Agenturen eingeknickt und die einst geplante Beteiligung privater Gläubiger an einem dauerhaften Krisenmechanismus (ESM) wurde wieder gestrichen. Damit wollte man deutlich machen, dass Griechenland eine einmalige und außergewöhnliche Ausnahme bleiben sollte und künftig allein die Steuerzahler einspringen sollten. Doch S&P setzt nach und will die private Gläubigerbeteiligung an der Griechenland-Nothilfe, gegen welche die Ratingagenturen ohnehin Sturm gelaufen waren, doch noch aushebeln.

So hatte S&P im vergangen Sommer offen gedroht, das als Zahlungsausfall des Landes zu werten). Damit wären massiv sogenannte Kreditausfallversicherungen (CDS), die auch als Spekulationsvehikel dienen, fällig geworden und hätten etliche Banken in Schieflage oder zum Absturz gebracht.

Kundeninteressen

S&P dürfte für seine Kunden auch verhindern wollen, dass tatsächlich eine Finanztransaktionssteuer eingeführt wird, wie sie vor allem Sarkozy wahltaktisch zur Not auch nur in der Eurozone einführen will. Da Merkel ihm in der Frage entgegenkommt, um seine Wahlchancen nicht zu verschlechtern, ist die Abstufung Frankreichs ein Warnschuss in Richtung Paris und Berlin. Man sollte sich nicht wundern, wenn die Diskussion um diese Steuer nun vor dem EU-Gipfel abgebrochen wird.

So ist schon jetzt festzustellen, wie sich die Argumentation in Paris verändert hat. Hatte Sarkozy einst erklärt, die Bestnote unbedingt verteidigen zu wollen, wiegelt seine Regierung jetzt ab, denn die Herabstufung sei keine Katastrophe. "Es sind nicht die Ratingagenturen, die Frankreichs Politik diktieren", erklärte Wirtschafts- und Finanzminister Francois Baroin scheinbar souverän. Dem widerspricht aber, dass Sarkozy für heute sein Kabinett zur Krisensitzung einberufen hat.

Und die Regulierung der Finanzmärkte?

Erneut fällt nun also der EU erneut auf die Füße, dass die Regulierung der Finanzmärkte in fast vier Krisenjahren nicht vorangetrieben wurde. Man hat die Macht der Ratingagenturen nicht beschnitten, auch wenn das gern gefordert wurde und auch nun wieder populistisch in die Debatte geworfen wird (Zahlen sollen die Anderen!).

Und so hat am Morgen nun auch der stellvertretende Unions-Fraktionschef Michael Fuchs die Debatte um eine europäische Ratingagentur wieder befeuert, wie es die CDU ohne Konsequenzen seit Jahren tut. Wieder einmal fällt auch Fuchs ein, dass die Agenturen sogar die Produkte bewerten, die sie für ihre Kunden gestaltet haben, sie also Bock und Gärtner zugleich sind. Es würde wundern, wenn daraus nun Konsequenzen folgten und es nicht erneut eine Nebelkerze wäre.

Dass die Einschätzungen der Agenturen zur Kreditwürdigkeit oft absurd sind, hat sich nun wirklich schon oft genug herausgestellt. Sie hatten zum Beispiel der US-Investmentbank Lehman Brothers noch an dem Tag die Bestnote "AAA" bescheinigt, als diese Bank in die Pleite abschmierte und Schockwellen in die gesamte Welt aussendete (Finanzkrise bedroht das weltweite Finanzsystem) Sogar der IWF kam schon zu dem Ergebnis, dass diese Agenturen mit ihrer Arbeit die Instabilität fördern. Das hatten sie unter anderem auch dadurch deutlich gemacht, als sie für ihre Kunden die toxischen "Wertpapiere" mit Bestnoten bewerteten, die letztlich die Finanzkrise ausgelöst haben.