Verfassungsrecht auf sexuelle Befriedigung

In der Verfassungsgebenden Versammlung in Ecuador wird das Recht auf sexuelle Befriedigung von Frauen diskutiert

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Anders als weltweit berichtet wird, ging es María Soledad Vela bei ihrem Vorschlag nicht darum, das "Recht auf einen Orgasmus" für Frauen zum Verfassungsrecht in Ecuador zu erheben. Sexuell unbefriedigte Frauen sollen auch nicht die Möglichkeit erhalten, ihre Gatten für schlappen Sex anzuzeigen. Das Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung will den Machismus angreifen, der Frauen zu einem Reproduktionsapparat reduziert, ihnen den sexuellen Genuss als Teil des sexuellen Lebens negiert.

Vor gut einem Jahr sprach sich die Bevölkerung in Ecuador in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit dafür aus, eine neue Verfassung für den Andenstaat auszuarbeiten. Das war ein klarer Sieg für den Präsidenten Rafael Correa, der damit eines seiner zentralen Wahlversprechen einlöste, mit denen er im November 2006 die Wahlen gewann. Bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung erreichten die Kandidaten von Correas Wahlbündnis Alianza País mit 79 von 130 Sitzen eine deutliche Mehrheit.

Zu ihnen gehört auch María Soledad Vela, die in der Provinz Manabi gewählt wurde. Die Juristin, Linguistin und Journalistin arbeitet nun in der Kommission für fundamentale Rechte an der Ausarbeitung des neuen Textes mit. Anders als im befreundeten Bolivien (Konflikte in Bolivien gehen nach Verabschiedung der Verfassung weiter lief der Prozess in Ecuador bisher ohne größere Verwerfungen ab, auch wenn Ecuador an der Seite von Bolivien und Venezuela den Weg zu einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts beschreiten will. Aufgefallen waren hier bisher vor allem Link auf Bestechungsversuche:27141, mit der die konservative Opposition um Ex-Präsident Lucio Gutiérrez versuchte, Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung mit viel Geld dazu zu bringen, die Ausarbeitung der Verfassung zu torpedieren.

Aufregung kam nun von einer ganz anderen Seite, als die Feministin das Recht auf den Genuss von Sexualität für Frauen zum Thema machte. Wie die Zeitung Mercurio aus ihrer Heimatregion berichtete, habe der Vorstoß in der Kommission für großen Wirbel gesorgt. Seither gehen dubiose Meldungen um den Erdball, wonach die Blondine das "Recht auf einen Orgasmus" für Frauen Verfassungsrang einräumen und unbefriedigte Frauen das Recht geben will, ihre Gatten anzuzeigen. Einige Machos hätten schon eine lebenslängliche Haft befürchtet, wurde berichtet.

Doch hat wohl kaum jemand auch nur den Ursprungsartikel über die ersten Linien hinaus gelesen, denn schon er liefert ein ganz anderes Bild. Vela ging es darum, die Debatte um die Sexualität zu führen. Im Bereich der sexuellen Rechte, wonach jede Person das Recht auf freie, verantwortliche und aufgeklärte sexuelle Beziehungen habe, "schlug ich vor, darin auch den sexuellen Genuss einzufügen, als Teil des sexuellen Lebens und der Sexualität".

Sie unterstrich dabei, dass in einer machistischen Gesellschaft wie in Ecuador die Frauen oft zu Reproduktionsapparaten reduziert würden und es der Mann ist, dem dabei die Befriedigung und der Genuss zugeschrieben würde. Das gehe in anderen Ländern sogar soweit, dass Frauen mit Klitorisbeschneidungen verstümmelt würden, um ihnen diesen Genuss zu nehmen. Das gebe es zwar in Ecuador nicht, doch kommen Vergewaltigungen in der Ehe vor, was bis heute in 53 Ländern nicht einmal verboten sei, erinnerte sie.

Vela kratzt an einem Tabu und fordert eine bessere sexuelle Aufklärung, um das gesellschaftliche Bewusstsein zu ändern und die Frauen zu stärken. Sie tritt für einen verantwortlichen Umgang und für eine sichere und gesunde Sexualität ein. "Man kann niemand zum Genuss zwingen", ist auch Vela klar. "Es handelt sich um einen Akt der Bewusstseinsbildung und weniger darauf gerichtet, denen ein Recht zu geben, die es schon haben, sondern die aufzuwecken, denen es negiert wird."

Nach teilweise heftigen Angriffen vor allem von Männern aus der konservativen Opposition, die den Vorstoß auch als "Schwachsinn" betitelten, wurde Correa aufgefordert, er solle Ordnung unter seinen Leuten schaffen. Es sei eine "Katastrophe", wenn er dazu bereit sei, so etwas Intimes in die Verfassung aufzunehmen. Man solle ernsthafte Fragen diskutieren, sagte Francisco Cisneros von der größten Oppositionspartei Partido Sociedad Patriótica (PSP).

Auch Leonardo Viteri von der kleineren Christlich-Soziale Partei (PSC) war entsetzt. Für seine Ablehnung hatte ereine eigentümliche Erklärung parat. Die sexuellen und reproduktiven Rechte seien von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) längst anerkannt, weshalb es nicht notwendig sei, sie in die neue Verfassung aufzunehmen, meinte er. Nach der Logik darf man sich fragen, wieso in der Verfassung überhaupt allgemeine Menschenrechte angesprochen werden, die ja längst in internationalen Abkommen definiert sind. Zuspruch erhielt Vela, die sich seit langem für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt, von Frauenorganisationen. Auch aus dem Büro des Ombudsmanns erhält sie Unterstützung. Für Rosario Utreras zeigt allein schon die Aufregung um das Thema die Notwendigkeit des Vorstoßes an: "Es ist ein Thema, das eigentlich zu keiner Polemik führen dürfte, weil nur deutlich gemacht wird, dass wir Frauen ein Recht nicht vollständig ausüben können." Inzwischen ist klar, dass der Vorstoß von Vela nicht in den Artikel 8 über die sexuellen Rechte in die Verfassung aufgenommen wird.