Leben im Irrenhaus

Griechenland versinkt in ein Chaos aus Demonstrationen, Skandalen und politischer Misswirtschaft

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Konstantinos Karamanlis, mehrmaliger Premier, Staatspräsident und Gründer der Nea Dimokratia und Onkel des jetzigen Ministerpräsidenten Konstantinos (genannt Kostas) Karamanlis sagte einst: "Griechenland ist ein unendliches Irrenhaus." Damit wollte er den Zustand Griechenlands in den neunziger Jahren beschreiben. Jahre zuvor, 1963 anlässlich der Ermordung des Pazifisten Grigorios Lambrakis durch von staatlichen Stellen gedungene Mörder, hatte er als Premier entsetzt die Frage geäußert "Wer regiert diesen Ort?"

Griechenland versank nach dieser Feststellung in ein machtpolitisches Chaos. In der Folge übernahm Georgios Papandreou mit einem erdrutschartigen Wahlsieg die Regierung. Im heutigen Griechenland stehen sich mit Kostas Karamanlis und George Papandreou erneut gleichnahmige Hauptdarsteller gegenüber. Wieder versinkt Griechenland nach einem staatlich verantworteten Todesschuss in ein Chaos aus Demonstrationen und Revolten (Griechische Regierung in Nöten).

Auch der junge Karamanlis liebt es, mit großen Ankündigungen, Versprechungen und Aussprüchen, sein Publikum zu gewinnen. Er hatte seine Regierung 2003 angetreten mit dem Versprechen des Saubermanns, der sämtliche Fehler der abgelösten PASOK beheben, die unteren Einkommensschichten aufwerten und endlich für wirkliche Staatshaushalte sorgen würde.

Sein Vorgänger, Konstantinos Simitis, einer der wenigen Ministerpräsidenten und Spitzenpolitiker Griechenlands, der nicht aus den Familien Papandreou, Karamanlis oder Mitsotakis stammt, hatte Griechenland in die Eurozone geführt. Karamanlis beschuldigte Simitis, dieser hätte Bilanzen gefälscht und damit erst die wirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen. Angesichts seiner immensen innenpolitischen Probleme sah sich Karamanlis nun genötigt zumindest im Hinblick auf den Skandal um Vatopedi (Griechische Regierung: Skandale und Bauernopfer) zuzugeben: "Ich habe das Problem anfänglich unterschätzt. Das war mein Fehler, und ich schiebe dafür niemandem die Verantwortung zu." In den nächsten Tagen scheint eine Regierungsumbildung allerdings ausgeschlossen. Griechenlands Staatspräsident Karolos Papoulias tritt am Samstag eine Reise zu seiner in Köln lebenden Familie an. Ohne den Staatspräsidenten kann keine neue Regierung vereidigt werden.

In der aktuellen Staatshaushaltsdebatte geben Regierungspolitiker mittlerweile offen zu, sie müssten die Finanzdaten verschönern, denn sonst würde niemand mehr Griechenland Kredit gewähren. Die Bevölkerung indes fragt sich, was wohl ein vor 45 Jahren tief gefrorener Grieche empfinden würde, wenn er heute wegen der Erderwärmung wieder auftauen würde. Er würde eine gleiche Situation wie damals mit den gleichnamigen Hauptdarstellern erleben. Nur der König, Konstantin II,, der damals Griechenland regierte, ist mittlerweile im Exil.

Die Demonstrationen gehen derweil weiter, Jugendliche besetzten am Mittwoch den Staatsender ET und störten das Fernsehprogramm, mehrere bekannte griechische Künstler gaben in Zusammenarbeit mit den Komitees der Schüler und Studenten am Freitag bei den Propylen Athens ein Konzert, das nicht als Abschlusskonzert, sondern als Ankündigung weiterer Aktionen betitelt wurde. Für Januar 2009 werden bereits Demonstrationen und Aktionen angekündigt.

Die griechische Polizei hat am Donnerstag bewiesen, dass sie eine neue Tränengaslieferung erhalten hat (Link auf /tp/blogs/8/120373). Das ganze Zentrum wurde aufgrund des Auftauchens von vermummten Randalierern in Tränengas gehüllt. Das Gas wurde überall dort verteilt, wo keine Randalierer mehr waren. Die Anwohner waren dementsprechend begeistert.

Nicht viel Neues also, außer dass die Touristikunternehmen mittlerweile eine andere Zielgruppe suchen müssen. Nach den USA hat auch die australische Regierung ihre Bürger vor Besuchen im Athener Stadtzentrum gewarnt.

Das Vertrauen in die Polizei wird allerdings nicht nur aufgrund der offensichtlich falschen und unkoordinierten Taktik der Einsatzkräfte erschüttert. Erneut wurde ein Schüler, Sohn eines kommunistischen Gewerkschaftlers, in Athen, diesmal im Vorort Peristeri, von einer Schusswaffe verletzt. Dieses Mal konnte kein Täter ermittelt werden. Gleichzeitig wurden mehrere Polizisten, die im Rahmen der Studentenunruhen 2006/2007 (Studentische Unruhen in Griechenland) einen zypriotischen Studenten schwer verletzt und misshandelt hatten, zu sehr milden Strafen verurteilt. Zwei der äußerst brutalen Beamten müssen eine Strafe von 5.500 Euro zahlen.

Der Todesschütze des 6. Dezember hatte in der Untersuchungshaft einen psychotischen Anfall, bei dem er unter anderem seinen ebenfalls inhaftierten Kollegen malträtierte und wirr als Dämon bezeichnete. Gestern im Parlament äußerte Justizminister Sotiris Hatzidakis, dass die in die Todesschüsse verwickelten Polizisten seiner Ansicht nach mild bestraft werden sollten, denn die Todesschützen von London, die in der Metro einen Brasilianer erschossen hatten, würden ja bereits wieder bewaffnet bei der Polizei arbeiten. Darüber hinaus gehöre das lästige akademische Asyl abgeschafft. Hatzidakis bat die Oppositionsparteien bei diesen Vorhaben um Unterstützung.

Der Rechtsanwalt der Polizisten, Alexis Kougias, der bereits oft durch seine bizarre Verteidigungsstrategie zur Polarisierung der Griechen beigetragen hat, hätte dies nicht besser machen können. Er ist mittlerweile vermehrt damit beschäftigt, Anwaltskollegen anzuklagen, die seine, wie einer der angeklagten Anwälte, Kapernaros meint, "menschenverachtende Verteidigungstaktik" kritisieren. Ein vor mehr als zwanzig Jahren (1985), nach Todesschüssen auf den Studenten Kaltezas in zweiter Instanz frei gesprochener Polizist, wurde derweil selbst Opfer eines Molotowangriffs.