Von der "Lügenpresse" zum Kampf gegen Fake-News

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Zum erklärten "postfaktischen Zeitalter" passend fürchten traditionelle Instanzen der Wahrheit die neue Medienöffentlichkeit

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Die Verbreitung von Fake-News und Social Bots, die solche massenhaft posten, scheint allmählich zu einem Politikum zu werden, das oben auf der Agenda steht. War zuvor eher das ungeahndete Posten von Hassbotschaften das Problem, so wird nun von verschiedenen Seiten behauptet, dass Falschinformationen die Präsidentschaftswahl beeinflusst hätten, die wieder einmal ziemlich knapp ausgefallen ist. Gerne nehmen die traditionellen Medien, die zwar auch das Internet und Soziale Netzwerke nutzen, das Thema auf, um auf die ungeordnete und wilde Cyberwelt aufmerksam zu machen, wo bislang unkontrolliert Propaganda, Falschinformationen oder Gerüchte fabriziert werden.

Letztlich geht es darum, die wilde Welt im Internet zu zähmen, wozu das Bild aufgebaut wird, dass die neuen digitalen Medien erst die Unwahrheit eingeführt haben, während zuvor weder Fake-News noch Gerüchte verbreitet wurden. Und zudem wird die Vorstellung genährt, dass die Menschen urteilsunfähige Trottel sind, die sich schnell von Falschinformationen verführen lassen und zu den die Infektion weiter verbreitenden Wirten der Meme werden. Die bringen vornehmlich die Bösen in den Umlauf, gegenwärtig die russische Regierung allen voran, die mit Trollen und Propagandamedien die vom Westen gepachtete Wahrheit unterminiert. Die Sorge vor den Falschinformations- und Gerüchtefluten passt zur Ausrufung des "postfaktischen Zeitalters" (Postfaktisches Zeitalter - Darauf einen Bommerlunder). Es könnte freilich sein, dass es auch um einen Kampf darum geht, welche Instanzen und Medien in der Gesellschaft "das Sagen" haben. Die "Lügenpresse" der einen werden die Fake-Medien der anderen gegenübergestellt.

Da gibt es Aktivisten, die ebenso schwindeln, wie das Trump und Clinton gemacht haben, oder Medien, die betont einseitig sind wie Breitbart.com oder Foxnews.com, aber im Wahlkampf waren auch Leitmedien wie Washington Post oder New York Times einseitig, nämlich gegen Trump. Wo in einem Wahlkampf Milliarden für Werbung, Propaganda und Manipulation verprasst werden, ist es kein Wunder, dass nüchterne Einschätzungen und differenzierte Berichterstattung besonders in einem gespaltenen Land mit einem fixierten Zwei-Parteien-System auch ganz ohne Russen keine Chance haben. Zur Verbreitung der "interessanten" Nachrichten für ein bestimmtes Publikum, das jetzt wie schon früher in einer Nachrichtenblase gefangen ist, tragen sicherlich die gut demokratischen und kapitalistischen Mechanismen der Sozialen Medien und der Suchmaschinen bei, die nach dem erfolgreichen Google-Prinzip das bevorzugen, was am meisten gesucht, geklickt oder weitergeleitet wird.

Bei den Fake-News-Produzenten sind allerdings durchaus auch geldgierige, gut kapitalistische Unternehmer und Firmen, die mit der Verbreitung von attraktiven Fake News die Menschen anlocken, um ihre Werbeeinahmen zu steigern (Die Falschnachrichten-Erfinder, How Fake News Goes Viral: A Case Study). Sie haben mit dem Kreml wenig zu tun, passen aber nicht ins Bild der Systemfeinde, weil sie das System gewissermaßen von innen heraus ohne politische Absichten zerstören oder weitertreiben. Welche Variante man wählt, ist wahrscheinlich Ansichtssache.

Jetzt also sollen Soziale Netzwerke wie Facebook oder die Suchmaschine Google angehalten werden, Wahrheit von Unwahrheit zu unterscheiden - mit dem Ziel, die leicht verführbaren Menschen nicht dem Falschen auszusetzen. Das kann man auch Zensur nennen, weswegen offenbar Facebook Algorithmen zur Selektion entwickelt, die auch in China eingesetzt werden können, wo ebenfalls verlangt wird, das nicht Erwünschte gar nicht erst den Menschen zur Kenntnis zu bringen - alles natürlich zugunsten der Menschen, die für sich nicht entscheiden können.

"Algorithmen-TÜV"

Die Tagesschau, die für sich in Anspruch nimmt, wahrheitsgemäß und nicht einseitig zu berichten (s.a.: Tagesschau: Unseriöse Berichterstattung und Dünkel), macht einen Artikel zu einem Gespräch mit dem Bundesjustizminister Heiko Maas so auf: "Im bevorstehenden Bundestagswahlkampf könnten erstmals soziale Netzwerke und die dort verbreiteten Meinungen und Positionen eine entscheidende Rolle spielen. Aber was wahr ist und was Lüge, ist oft auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Nachrichten, die jeder faktischen Grundlage entbehren, verbreiten sich binnen kürzester Zeit." Die Bekämpfung von Gerüchten war freilich schon immer eine wichtige Angelegenheit von jeweils Herrschenden, um Unruhen und Revolten zu vermeiden. Auch die Französische Revolution war davon getrieben, das Soziale Netzwerk der "Grande Peur" waren schlicht die Menschen auf den Straßen.

Maas, das muss man konzedieren, argumentiert zurückhaltend, wenn man berücksichtigt, was an Zensurforderungen und Propaganda-Bekämpfungsmaßnahmen so alles gewünscht wird, um den Informations- und Kommunikationsfluss hygienisch zu säubern. Er tritt allerdings in die aufgemachte Falle, mit dem Finger nur auf das Internet zu verweisen: "Mit Manipulation im Wahlkampf müssen wir rechnen. Das ist bedauerlicherweise eine dunkle Seite des Netzes, eine Seite, mit der wir uns intensiver auseinandersetzen müssen." Allerdings ist die Argumentation höchst schräg, als würden die Parteien die lautere Wahrheit verkünden, als gäbe es keine Lobby-Organisationen wie INSM oder Medien/Journalisten, die keinen Hang haben.

Bei der Frage, was man gegen die Verbreitung von Un- oder Falschwahrheit machen soll, blieb Maas im Ungefähren. "Gegenpropaganda hilft nicht", sagte er, besser sei mehr Transparenz und die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit, um gezielten Fehlinformationen entgegenzutreten. Die müsste dann aber auch für Parteien und Politiker im Wahlkampf geschaffen werden. Und der "Algorithmen-TÜV", der für Soziale Netzwerke oder Google gedacht ist, müsste dann auch für alle Medien gelten, die nicht mit Algorithmen, sondern redaktionell selektieren.

Letztlich ist in der Tat Medienkompetenz angesagt, man könnte auch sagen, die Förderung der neutralen Urteilskraft. Aber auch das dürfte nicht wirklich helfen, wenn Menschen eine Meinung haben, die sie verstärkt sehen wollen, weil sie sich in einer politischen Stimmung befinden, nach welcher Seite diese auch immer neigt. Auf der anderen, aber gleichen Seite stehen diejenigen, die gerne von der "Lügenpresse" schwafeln und dann Medien wie Compact, Kopp Online oder RT konsumieren, die betont einseitig sind. Vielleicht wirkt das transparenter als Medien, die vorgeben, objektiv und neutral zu berichten, was kaum möglich ist, sondern nur ein Idealzustand.

Man gewinnt den Eindruck, dass mit den wachsenden Möglichkeiten der Zensur und Manipulation der Meinungsäußerung auch der Drang wächst, diese zu kontrollieren. Früher wäre niemand auf die Idee gekommen, die Gespräche am Stammtisch oder wo auch immer zu zensieren oder zu normieren, weil es schlicht nicht möglich war, wenn man nicht einen aufgeblähten Geheimdienstapparat einsetzt. Jetzt, wo die private Meinungsäußerung wahrhaft öffentlich wird, soll die Normierung auch ausgebaut werden.

Wir können uns entweder ein demokratisches System leisten, in dem Menschen auch falschen Informationen anhängen oder diese verbreiten, oder müssen ein Wahrheits- und Zensurministerium schaffen, das alles unterbindet, was bestimmte Gruppen als falsch oder schädlich erachten. Dazwischen gäbe es die Möglichkeit, die Verbreiter von beleidigenden, völkerverhetzenden oder falschen Behauptungen anzuzeigen, juristisch zu verfolgen und zu bestrafen, wozu allerdings Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte aufgestockt werden müssten. Dass man Gerichte über Fälle entscheiden lässt, hat einen Grund, Algorithmen dürften vorerst nicht in der Lage sein, Streitfälle zweifelsfrei zu beurteilen. Und Propaganda vom Ausland mitsamt einem hybriden Krieg, bei dem nur das Adjektiv neueren Datums ist, ist auch nichts Neues, wie dies uns die Propaganda von Nato und Co. suggeriert (EU-Parlament fordert strategische Kommunikation gegen russische Propaganda).