Anthropisches Prinzip und außerirdisches Leben

Wir sind ganz gewiss nicht die Einzigen, die über den "Big Bang" und dessen Ur-Sache mitsamt seinen Folgen sinnieren

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Blicken wir ins Universum hinaus und erkennen wir dabei, wie viele Zufälle in Physik und Astronomie zu unserem Wohle zusammengearbeitet haben, dann scheint es in der Tat fast so, als habe das Universum, wie es Freeman Dyson einmal formulierte, "in gewissem Sinne gewusst, dass wir kommen." Aber das Anthropische Prinzip (AP), das die Bedingungen untersucht, die Kosmos und Naturgesetze erfüllen musste, um eine Lebensform hervorzubringen, die diese Bedingungen auch erkennen kann, muss noch weiter gefasst werden. Eigentlich müsste es in Zukunft in "exobiologisch-kosmisches" Prinzip umgetauft werden, ist doch der Weg vom Urknall zur Ausbildung von Bewusstsein kein kosmisch singuläres Phänomen: Leben - das ist im Universum die Regel.

Bilder: NASA

Wie wundersam ist es doch, dass vieles in dieser Welt so ist oder zu sein scheint, wie wir es mit unseren Sinnen und künstlichem Instrumentarium zu erfahren vermögen, sieht man einmal von den "Dingen" ab, die wir mit unseren Sinnen und künstlichem Instrumentarium noch nicht erfassen können respektive noch nicht erfasst und verstanden haben - wie zum Beispiel die nebulöse Dunkle Materie. Dennoch sollten wir der kosmischen, geologischen und biologischen Evolution dafür geradezu dankbar sein, dass sie seit dem "Big Bang", der nach den neuesten Berechnungen von WMAP vor 13,7 Milliarden Jahren Materie, Raum und Zeit generiert hat, alle Weichen (in der habitablen Zone unserer Galaxis und unseres Sonnensystems) derart exakt justiert hat, dass wir uns just über diesen Punkt hier und heute Gedanken machen können.

Kosmisch-geologisch-biologische Evolutionskette

Denn was wäre wohl geschehen, wenn nur ein einziger zur Ausbildung dieses Universums und unseres Daseins unabdingbarer Parameter um Nuancen anders gewesen wäre, wenn nur ein Dominostein in der kosmischen, geologischen und biologischen Evolutionskette anders oder überhaupt nicht gefallen wäre und die ereignisreiche Kettenreaktion, die vom Urknall zum Menschen führte, nicht in Gang gebracht hätte?

Ausgehend von der Prämisse, dass die Weichen für unsere heutige Existenz auf unserem Planeten schon vor 13,7 Milliarden Jahren in der anfänglichen Urknall-Phase sehr präzise gestellt worden sind, reflektiert und diskutiert das Anthropische Prinzip (AP) die physikalischen Gesetze, die Naturkonstanten und die kosmologischen Anfangsbedingungen. Dabei geht es ihm um die Frage, ob die (von wem oder was auch immer) vorgenommenen kosmischen Feinabstimmungen derart exakt justiert waren, dass sich daraus zwangsläufig Leben, so wie wir es kennen, entwickeln musste oder ob gar der Faktor Zufall - sich im Zuge der Evolution selbst multiplizierend - unser Dasein bedingte.

Dass sich binnen 13,7 Milliarden Jahren quasi aus dem Nichts Bewusstsein bilden konnte, setzte schier unzählige Anfangsbedingungen, Prozesse und Evolutionen voraus, von denen uns allenfalls nur Mosaiksteine bekannt sind. So hängt die Entwicklung des Kosmos entscheidend von den Anfangsbedingungen der Expansion und den Naturkonstanten Lichtgeschwindigkeit c oder dem Planckschen Wirkungsquantum h und den Massen der Elementarteilchen sowie der Kräftehierarchie der Wechselwirkungen ab. Schon geringfügige Unterschiede in den aktuellen Werten der Massen, Ladungen, fundamentalen Konstanten (h, G, c) hätten zum Teil beträchtliche Auswirkungen für die Entwicklung des Kosmos und damit für die Entwicklung der Menschheit gehabt.

Wundersame Zahl 1040

Bereits seit Hermann Weyl (1919) und Arthur Eddington (1923) gibt es das Bemühen, wichtige dimensionslose Konstanten, die das relative Verhältnis von Kräften und Teilchenmassen charakterisieren oder das Alter des Universums mit der Lichtlaufzeit durch ein Wasserstoffatom vergleichen, aus ersten Prinzipien zu verstehen. So ist die Zahl der baryonischen und leptonischen Teilchen im sichtbaren Universum gleich dem Quadrat von 1040, also 1080. Ferner entspricht das Alter des Universums t0 1040 atomaren Zeiteinheiten N1 = t0 / (e2/mec3), wobei unter einer atomaren Zeiteinheit die Laufzeit des Lichtes durch ein Wasserstoffatom zu verstehen ist. Hinzu kommt die Gravitation, die 1040 mal schwächer als die elektrische Kraft: N2 = e2 / (GmNme) ~ 1040 ist.

Zudem ist nach Paul Dirac (1937) die ungefähre Koinzidenz N1 ~ N2 kein Zufall, sondern eine permanente Beziehung. Da N1 die kosmische Zeit involviert, impliziert die Dirac'sche Hypothese eine Zeitabhängigkeit der Gravitationskonstanten, da die Elementarladung e und die Massen der Elementarteilchen (Elektron und Proton) als konstant angenommen werden, um im Einklang mit der Quantentheorie zu bleiben.

Robert Dicke (1961) öffnete eine neue Perspektive zur Erklärung dieser Übereinstimmungen, indem er die Koinzidenz N1 ~ N2 auf notwendige biologische Voraussetzungen für die Existenz von intelligenten Lebewesen zurückführte, die diese Übereinstimmung heute feststellen. Die Relation N1 ~ N2 ist nur in einem bestimmten Intervall der kosmischen Geschichte erfüllt. In einer frühen Epoche war N1 < N2 und die Voraussetzungen für Leben war noch nicht gegeben, weil die Sternentwicklung noch in den Anfängen war. Wenn umgekehrt alle Sterne ausgebrannt sind und die Biosphären von Planeten verlöschen ist, ist vermutlich niemand mehr da, um N1 > N2 wahrzunehmen.

Anzahl der Raumdimensionen war elementar

Aber das AP berücksichtigt noch andere Faktoren. Wäre beispielsweise auch die Materiedichte deutlich größer als die kritische Dichte und wäre die Zeitskala für die Bildung von gebundenen Systemen wie Galaxien und Sternpopulationen zu kurz gewesen, hätte eine zu schnelle Expansion alle beginnenden Materiekondensationen sofort wieder auseinander getrieben. Unser Universum wäre zu einem lebensfeindlichen Gebilde verkommen, hätte nicht mindestens eine Generation von Sternen ausreichend Zeit gehabt, sich zu entwickeln und schwere Elemente zu produzieren, wäre es nicht zu einem minimalen Überschuss von Materie über Antimaterie gekommen.

Aber auch die Anzahl der Raumdimensionen war elementar. So hätten Planeten bei einem Raum mit mehr als drei Dimensionen ihre Heimatsterne nicht in stabilen Bahnen umrunden können. Und bei einem Raum mit weniger als drei Dimensionen wären komplexe neuronale Netzwerke nicht entstanden: Die Biochemie hätte nicht den für die biologische Evolution notwendigen Entfaltungsspielraum gehabt. Hinzu kommt, dass Wellen sich in Räumen mit einer geraden Zahl von Dimensionen (2, 4, ..) anders ausbreiten als in Räumen mit ungeraden Dimensionen (wie etwa in unserem Weltraum). In ungerade dimensionierten Räumen breiten sich Wellen ohne Verzerrung aus, in Räumen mit einer geraden Anzahl von Dimensionen verschwimmen sie: Für den Genuss eines Bach-, Mozart oder John Scofield-Konzertes etwa wäre dies höchst fatal.

Varianten des Anthropischen Prinzips

Wie dem auch sei - beim Studium des APs muss man derweil mit drei Varianten vorlieb nehmen, die darüber hinaus stark voneinander differieren. So lautet etwa die verkürzte "Formel" des "schwachen Anthropischen Prinzips" (Dicke 1957) wie folgt: Weil es in diesem Universum Beobachter gibt, muss die Entwicklung des Universums die Existenz dieser Beobachter zulassen. Die beobachtbaren Werte der Naturkonstanten und die aus ihren Wirkungen erschließbaren kosmischen Anfangsbedingungen "unseres" Universums entsprachen gerade den Erfordernissen, welche für die Vorbedingungen biologischer Evolution intelligenten Lebens notwendig sind.

Etwas deterministischer klingt da schon das starke "Anthropische Prinzip" (Carter 1974), das dem Universum einen eindeutigen Zielrichtungsmechanismus zuschreibt. Danach muss das Universum Eigenschaften haben, die es ermöglichen, dass sich im Laufe der kosmischen Evolution Leben entwickeln kann. Das Universum musste zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Geschichte Bedingungen hervorbringen, die die Entwicklung von Leben gestatten. Die dritte Variante ist das "finale Anthropische Prinzip" (Dirac 1961).

Es besagt, dass intelligente Informationsverarbeitung, auf die in dieser Variante das Leben reduziert wird, irgendwann im Universum in Erscheinung treten muss und, nachdem es in Erscheinung getreten ist, niemals wieder aussterben kann. Dieses "Postulat des ewigen Lebens" ist an eine spezielle kosmologische Entwicklung geknüpft, die von Barrow und Tipler (1986) näher untersucht wurde.

Leben - nur ein Übergangsphänomen?

Sollte es also das Ziel der kosmischen Evolution gewesen sein, Leben hervorzubringen, dann ist dieses angesichts der zeitlichen Endlichkeit der jeweiligen planetaren Biosphären nur befristet überlebensfähig. Auch für unsere Spezies gilt: Will sie überleben, muss sie irgendwann einmal die Erde verlassen und zu anderen lebensfreundlichen Planeten in unserer Galaxis oder Nachbargalaxien reisen - aber auch das wäre angesichts der Zukunft des Kosmos insgesamt nur ein Hinausschieben des Untergangs. Leben in der derzeitigen Form kann die Zukunft nicht (ewig) überdauern. Leben kann zunächst einmal nur so lange existieren wie eine "warme Umgebung" gegeben ist, mit flüssigem Wasser und einer fortgesetzten Versorgung mit freier Energie zur Aufrechterhaltung einer konstanten Stoffwechselrate. In diesem Fall ist aber die Dauer von Leben begrenzt, da ein Stern wie die Sonne oder eine ganze Galaxie nur einen endlichen Vorrat an freier Energie besitzt. Im Zuge der Expansion und Abkühlung werden auch im gesamten Kosmos die Quellen freier Energie, auf die Leben für seinen Metabolismus angewiesen ist, schließlich erschöpft sein.

Anknüpfend an Desmond Bernal, der schon 1929 über neue Existenzformen des Lebens nachgedacht hatte, haben in neuerer Zeit Freeman Dyson, Barrow und Tipler und nochmals Frank Tipler in seinem Buch The Physics of Immortality" (1995) über die endgültige Zukunft des Lebens im Kosmos sinniert. Nach Dyson und Tipler ist die Essenz des Lebens Information. Dafür spricht, dass ganz wesentlich der genetische Code und das neuronale Netzwerk - abstrakt gesehen - Information speichernde und verarbeitende Systeme sind. Ausgangspunkt bei beiden Autoren ist die biokybernetische Definition, nach der Lebewesen informationsverarbeitende Systeme sind.

Dyson nimmt an, dass Leben und Bewusstsein nicht notwendig auf eine Verkörperung durch Zellen und ihre Erbsubstanz in der uns bekannten Form beschränkt sein müssen. Als wesentliche Eigenschaft des Bewusstseins betrachtet er die Komplexität einer Struktur, die auch in anderer Materialisierung auftreten kann als in Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff etc. Allerdings ist jede Form von Materie im Fall der Instabilität des Protons dem Zerfall ausgesetzt. Dyson untersucht wie derartig abstrakte Lebewesen mit einer endlichen Menge an Energie in einem ewig expandierenden, sich immer weiter abkühlenden Kosmos ihren Metabolismus und ihre Kommunikationsfähigkeit und kognitive Aktivität aufrecht erhalten können. Langfristig kommt "Leben" in einem offenen, unendlich ausgedehnten, ewig weiter expandierenden Weltraum asymptotisch zum Erliegen. Denn Informationsaufnahme, Verarbeitung und Weitergabe ist stets an Materie und Energie gekoppelt. Wenn Materie zerfällt, Energiedifferenzen sich ausgeglichen haben, d.h. thermodynamisches Gleichgewicht erreicht ist, dann ist Leben (in welcher Form auch immer) nicht mehr existenzfähig.

Im Gegensatz zu Dyson untersucht Tipler die Zukunft des Lebens in einem geschlossenen Kosmos, um der Problematik nicht mehr verfügbarer Energie zu entgehen. Außerdem knüpft er an die "finale" Variante des "starken Anthropischen Prinzips" an: Leben ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern konstitutiv für den Kosmos, und muss daher ewig existieren können (Barrow, Tipler 1984; Dirac 1961). Das beinhaltet aber, um kosmosweit und insbesondere im Inferno eines wieder kollabierenden Universums überlebensfähig zu sein, die Ablösung des Lebens von jedweder materiellen Grundlage. Leben überlebt als Quantenzustand eines informationsverarbeitenden Systems bzw. als Emulation. Die Vollendung der Kosmogenese und Biogenese findet im "Omega-Punkt" statt, der Zukunftssingularität eines kollabierten, räumlich endlichen Kosmos ohne Ereignishorizont (Tipler 1994, 1995). Die von Tipler aufgestellte Hypothese einer "Physik der Unsterblichkeit" verlässt den Rahmen einer rationalen Physik und ist ein Versuch, die von Teilhard de Chardin entworfene eschatologische Perspektive mit Hilfe der modernen Kosmologie zu interpretieren.

Homo sapiens sapiens - wirklich einzige Lebensform im Kosmos?

So abgehoben und zum Teil auch futuristisch diese im letzten Jahrhundert publizierten Thesen daher kommen - derlei Gedankenexperimente weisen durchaus historische Wurzeln auf. Fakt ist nämlich, dass zu dem Sujet "Leben im All" in dem Zeitraum von der griechischen Antike bis zum Jahr 1917 schätzungsweise 140 Bücher zu Papyrus und Papier gebracht worden sind. Gerade vor dem Hintergrund des starken Anthropischen Prinzips drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob der Homo sapiens sapiens wirklich die einzige intelligente Lebensform in den Tiefen des Kosmos stellt, die im Zuge einer langwährenden Evolution herangereift wurde. Müsste es nicht infolge der Tatsache, dass in unserem isotropen und homogenen Universum alle vorhandenen Randbedingungen, alle Parameter, alle physikalischen Gesetze und daraus resultierenden stellaren, planetaren und geologischen sowie biologischen Körper, die einerseits unser Dasein bedingen, andererseits infolge des kosmologischen Prinzips überall dieselben sein sollten, im Weltall von Leben verschiedenster Art nur so wimmeln? Sind sie nicht allesamt selbst dem Big Bang entsprungen und von daher Kinder ein- und derselben "Ur-Eizelle". Sind wir nicht "die Kinder des Universums, die Söhne und Töchter der Sterne", die die Atome unseres Körpers erzeugt haben?

So sehr die Antworten der Forscher im Einzelnen hierzu auch differieren - eine Tendenz ist dennoch erkennbar, geht doch heutzutage das Gros der Astronomen nicht zuletzt nach der Entdeckung von über 100 extrasolaren Planeten davon aus, dass nach dem Big Bang neben uns auch extraterrestrische intelligente Lebensformen eine planetare Nische im All gefunden haben könnten. Während viele Optimisten wie beispielsweise Carl Sagan vermuten, dass sich in den Tiefen des Kosmos "auf einer Milliarde Planeten irgendwann einmal" technische Zivilisationen herangebildet haben, halten Martin Rees und andere Astrophysiker es indes für durchaus denkbar, dass "in dem für uns beobachtbaren Teil des Universums" nirgendwo Leben entstanden ist.

Gesetzt den Fall, Leben wäre dennoch ein weitverbreitetes kosmisches Phänomen, dann müsste das anthropozentrisch fixierte starke Anthropische Prinzip neu überdacht werden. Vielleicht sollte es in Zukunft besser in "exobiologisch-kosmisches" Prinzip umgetauft werden. Die Prämisse wäre fortan: Der Weg vom Urknall zur Ausbildung von Bewusstsein ist - ob er denn nun zufällig oder intentional erfolgt sein mag - kein kosmisch singuläres Phänomen. Wir sind ganz gewiss nicht die Einzigen, die über den Big Bang und dessen Ur-Sache mitsamt seinen Folgen sinnieren.