Gehört zur "Totalisierung des Leistungssports" die "brauchbare Ineffektivität" des Kontrollsystems?

Bild: Psychonaught/public domain

Ein Symposium des BMI zum Anti-Doping-Gesetz, ein knappes Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes

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Das Bundesministerium des Inneren hat ein Symposium zum Anti-Dopingkampf veranstaltet. Als Referenten und Podiumsteilnehmer waren führenden Köpfe des Anti-Dopingkampfes in Deutschland geladen. Anlass war laut BMI die Berichterstattung vor und während der Olympischen und Paraolympischen Spiele sowie die Ermittlungsberichte der Welt-Anti-Doping-Agentur, die verdeutlicht hätten, dass das effektive Vorgehen gegen Doping für die Zukunft des Spitzensports mitentscheidend ist. Außerdem trat am 1. Januar 2016 das Anti-Doping-Gesetz in Kraft, so dass es auch so etwas wie eine erste Bestandsaufnahme dazu war.

Die Vorträge beleuchteten diese Aspekte, die Podien, jeweils besetzt mit Experten, diskutierten das Für und Wider einzelner Maßnahmen. Teilnehmer waren u.a. der Leiter des Dopinglabors in Köln, Prof. Dr. Werner Schänzer, Dagmar Freitag, Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Sportausschusses. Sie ist gleichzeitig auch Mitglied im Aufsichtsrat der Nationalen Anti-Doping-Agentur sowie Vize-Präsidentin des Deutschen Leichtathletikverbandes, woran weder sie selbst, noch später Andrea Gotzmann, Vorstandsvorsitzende der NADA, etwas problematisch finden konnten oder sich entsprechend äußern wollten. Weiterhin sprachen der Leiter der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Doping in Freiburg, Christoph Frank, der Mediziner Perikles Simon, Professor an der Universität Mainz sowie der Sportsoziologie Karl-Heinrich Bette, Sportsoziologe an der Technischen Universität Darmstadt. Die letzten beiden steuerten die eher kritischen Beiträge zu dieser Tagung bei.

Insbesondere Bette betonte, dass der Dopingkampf gar nicht gewonnen werden könnte, denn die Struktur des Systems Sport auf der einen Seite und die Antidopingmaßnahmen stecken in einem gegenseitigen Dilemma: Sport will Leistung und Erfolge, da würden allzu genaue Kontrollen eigentlich nur stören. Er nannte es die "brauchbare Ineffektivität" des Kontrollsystems, die bestehe, damit die "Totalisierung des Leistungssports" weitergehen könne.

Präventive Maßnahmen, wie sie auch die NADA bei jungen Sportlern durchführt, seien da nicht genug. Der Sportler sei in dem System immer das schwächste Glied. Als wenn es diese Feststellung zu bestätigen galt, war auch nur ein aktiver Sportler auf den Podien, der Athletenvertreter und Ruderer Christian Schreiber. Dafür, dass den ganzen Tag vom Wohl der Sportler und Sportlerinnen gesprochen wurde, war das zu wenig. Insgesamt wurde auch eher über, als mit ihnen geredet.

Nach einem langen Tag mit interessanten Vorträgen und Wortbeiträgen, bleibt aber von dieser Veranstaltung nicht viel zurück. Die Vertreter des organisierten Sports sehen sich auf dem richtigen Weg. Ein Weg, der vor allem das bestehende System mit all seinen Widersprüchen erhalten will - allen offenkundigen Mängeln der Dopingkontrollen und strukturellen Lücken zum Trotz.

Das Anti-Doping-Gesetz wurde als Errungenschaft im Kampf gegen den Dopingbetrug gesehen, die latent bis offene Missachtung der Athletenstimmen wurde wenig thematisiert, noch weniger zeichnet sich ab, dass sich daran etwas substantiell ändern wird, wenn sie und ihre Vertreter es nicht selbst in die Hand nehmen. Das ist nicht immer leicht, denn noch sind die Athleten und Athletinnen abhängig von den Verbänden und da kommt Kritik nicht unbedingt immer gut an.

Das gegenwärtige Modell des Leistungssports soll um jeden Preis erhalten bleiben

Als Fazit lässt sich festhalten, dass eine offene und kritische Diskussion zum Thema Doping mit den Verantwortlichen in der deutschen Sportpolitik möglich ist, aber dann über viele Themen auch nicht oder nur sehr kurz gesprochen wird. Christian Schreiber erhebt den Einwand, dass Doping und die damit verbundenen Grenzwerte jede Menge Ambivalenzen erzeugen, etwa wenn einzelne Sportler sich an diese Grenzwerte "rantesten", diese erlaubte Leistungssteigerung aber bereits ein Hinweis auf möglicherweise kriminelles Verhalten gedeutet wird. Der Sportler werde hier bloß durch den Verdacht bereits kriminalisiert und damit werde zusätzlicher Druck aufgebaut. Darauf wurde in der Diskussion nicht weiter eingegangen - das hätte auch bedeutet, vom Modell absoluter Unterscheidbarkeit von moralisch gut und moralisch schlecht abzurücken. Allein Perikles Simon und der Staatsanwalt verwiesen auf mögliche Widersprüche - es bleibt fraglich, ob sie sich letztlich durchsetzen können.

Das gegenwärtige Modell des Leistungssports muss um jeden Preis erhalten bleiben, so scheint es. Bessere Kontrollen würden letztendlich den Kampf zugunsten eines "sauberen" Sports gewinnen, wobei niemand genau sagen kann, was sauber bedeutet. Und letztlich auch nicht, ob es immer nötig ist, wenn die Bundesregierung und der DOSB in ihrer Spitzensportreform den Gewinn von Medaillen als oberstes Ziel formulieren, gleichzeitig aber damit drohen, nicht erfolgreiche Sportarten weniger zu fördern. Man könnte es leicht als kaum verdeckte Aufforderung zum Doping verstehen.

Diese Widersprüche wurden in Berlin nur am Rande thematisiert, dabei wird sich genau daran der Erfolg des Anti-Doping-Kampfes abarbeiten müssen, denn der Ehrlichkeit seiner Akteure steht die Unehrlichkeit der Förderer des Sportes gegenüber. Leidtragende werden die Sportler und Sportlerinnen in diesem Lande sein, die bisher zu wenig mitreden durften.