Portugal als Referenz gegen Austeritätswahn

Die Sozialisten regieren seit einem Jahr erfolgreich mit Unterstützung der einst verfeindeten linkradikalen Parteien - Schulden werden vorzeitig zurückgezahlt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Keinen Pfifferling hatten vor einem Jahr viele Beobachter der Linksregierung gegeben. Denn die Beteiligten mussten über große Schatten springen und starke Ressentiments begraben, die zum Teil seit Jahrzehnten gepflegt worden waren. Wie so oft in der Linken, waren lange Jahre die Grabenkämpfe stärker, als die Tatsache, dass es doch auch deutliche Schnittmengen gibt und man einen klaren gemeinsamen Gegner hat.

Die Aussicht aber, dass in Portugal erneut die Konservativen die Vorgaben der EU-Kommission aus Brüssel und des Internationalen Währungsfonds (IWF) ohne Wenn und Aber umsetzen würden, auch wenn damit real kaum gespart werden würde, schweißte einst verbitterte Feinde zusammen. Zwar trat weder die grün-kommunistische CDU noch der marxistische Linksblock (BE) in eine Koalitionsregierung ein, doch gegen die Erwartungen vieler "Experten" im In- und Ausland regieren sie seither stabil das Land und zeigen auf, dass die Austeritätspolitik alles andere als alternativlos ist.

Die leisen Reformschritte, keine offene Konfrontation mit der EU-Kommission wie Griechenland einzugehen, aber trotzdem die massiven Einschnitte der konservativen Vorgänger schrittweise zurückzunehmen, zeitigen immer deutlichere Früchte. Die Politik der Vorgänger zwang dagegen zahllose Menschen zum Auswandern und ließ sogar die Gesundheitsversorgung zum Luxus werden.

Die Linksregierung hilft darbenden Familien, was die nationale Nachfrage und Wirtschaft angekurbelt hat. So lag das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal mit 0,8% gegenüber dem Vorquartal deutlich über dem Durchschnitt der schmalen 0,3% im Euroraum. Das ist zwar nicht "das größte Wirtschaftswachstum der EU im vergangenen Trimester", wie einige Medien behaupten, aber es zeigt sich ein stabiler Aufwärtstrend. Diese Medien haben verwechselt, dass die Wirtschaft nur im Jahresvergleich um 1,6% gewachsen ist. Doch im Jahresvergleich ist sie in Rumänien, Bulgarien, der Slowakei und Spanien sogar mehr als doppelt so stark gewachsen.

Das Wachstum sorgt aber dafür, dass die Arbeitslosigkeit sinkt. Lag die saisonbereinigte Quote nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat im September 2015 bei 12,4%, ist sie ein Jahr später schon auf 10,8% gefallen. Deshalb wachsen insgesamt die Steuereinnahmen und Einnahmen der Sozialkassen, weshalb das Land 2016 das Haushaltsdefizit unter die Grenze von 3% drücken und das Stabilitätskriterium wieder einhalten dürfte.

Portugal konnte deshalb gerade auch zwei Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen, die im Rahmen des nur "bedingt erfolgreichen" Rettungsprogramms, wie der IWF zugibt, in das Land geflossen waren. Sie wären erst in zwei Jahren fällig geworden. Das Land konnte damit schon fast die Hälfte der Schulden beim IWF begleichen und spart so mehr als 80 Millionen Euro an Zinszahlungen ein.

Für viele Linke, ganz besonders im Nachbarland Spanien, ist Portugal zum Vorbild geworden

Vor allem die spanischen Linken schauen in diesen Tagen besonders neidisch mit Artikeln und Beiträgen ins Nachbarland. Da wird von einem "Wunder" gesprochen, angesichts "des Auflebens der Ultrarechten in Europa". Tatsächlich spielt diese, anders wie zum Beispiel in Griechenland, keinerlei Rolle. La Marea, die zu den Bürgerkandidaturen um die Linkspartei Podemos (Wir können es) gehört, spricht von der Linksregierung als "linkes Gegenmittel gegen den Faschismus". Sie streicht heraus, dass das Land die verordneten Defizitziele erfüllt, obwohl oder weil es die Austeritätspolitik aufgekündigt hat. In Spanien wäre eben auch eine Linksregierung möglich gewesen, doch der verweigerten sich die Sozialdemokraten.

Anders als man es in Brüssel erwartet hat, hat nicht Portugal eine instabile Lage, sondern der große Nachbar in Spanien. Spanien ist das krasse Gegenbeispiel zu Portugal. Hier wurden die Rezepte des IWF umgesetzt, die die EU-Kommission Krisenländern aufgezwungen hat. Doch obwohl das tourismusgetriebene Wachstum im zurückliegenden Jahr in Spanien doppelt so hoch als in Portugal war, kommt davon unten nichts an. Die Arbeitslosenquote lag saisonbereinigt Ende September laut Eurostat bei fast 20%. Und sie begann sogar mitten im Tourismussommer wieder deutlich zu steigen. Im August wurden schon wieder 145.000 der prekären Jobs vernichtet.

Seither steigt die Arbeitslosigkeit wieder Monat für Monat. Das Lohndumping und die prekären Arbeitsverhältnisse führen dazu, dass sogar die bessere Beschäftigungssituation keine Entlastung für die Staatskassen bringt. Das Defizit in der Rentenkasse ist 2016 mit 18 Milliarden sogar so groß wie nie zuvor. Die Konservativen haben es in fünf Jahren an der Regierung mit ihrer "Austerität" geschafft, die enormen Rücklagen von fast 67 Milliarden in der Rentenkasse komplett zu verbraten. Das musste die Regierung gerade gegenüber Brüssel einräumen. Im kommenden Jahr müssen Renten gekürzt oder Steuergeld ins System zugeschossen werden, was die Erfüllung der Defizitziele weiter erschwert.