Späte Enthüllungen

An der Aufklärung über Arisierungen ist man in Deutschland noch immer nicht sonderlich interessiert

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Auf 10 Milliarden Reichsmark, so eine Schätzung der nationalsozialistischen Behörden kurz nach der Machtübernahme, sei das Vermögen der deutschen Juden zu beziffern. Wenn es gelänge, sich dieser Summe zu bemächtigen, befördere das die deutsche Sache ganz ungemein. Der Raubzug wurde 1936 beschlossen, organisiert aber wurde er nicht etwa von SA- und SS-Horden, sondern vom alten Beamtenapparat in den Finanz- und Devisenbehörden.

Bis heute hat die Geschichtswissenschaft die Schätzung von den 10 Milliarden nicht eindeutig bestätigen können – die Zahl liege eher zu niedrig, lauten die Vermutungen, denn nach 1935, mit den Nürnberger Rassegesetzen, habe das Regime die Definition dessen, was jüdisch sei, erheblich erweitert. Und den Raub des Vermögens der europäischen Juden hatten die Nazis 1933 ja überhaupt noch nicht im Blick.

Dass der Kenntnisstand von den Arisierungen 61 Jahre nach Kriegsende immer noch bruchstückhaft ist, verdankt die Nachwelt dem Umstand, dass dieser Raubzug nahezu mit beiläufiger Selbstverständlichkeit abgewickelt wurde und dass in einem bis heute kaum realisierten Umfang Hunderttausende „Volksgenossen“ davon profitierten. Das Interesse an der Aufdeckung dieses Verbrechens kollidiert mit dem Interesse am Verschweigen – zu viele Deutschen aus allen Schichten und Klassen waren seine Nutznießer.

Wie jüdisches Eigentums in „arische“ Hände übertragen wurde, zeigt eine Ausstellung, die noch bis Mitte Februar in Köln Station macht. Wolfgang Dreßen von der Fachhochschule Düsseldorf hat in den 90er Jahren mit seinem Team die Akten der Oberfinanzdirektionen Düsseldorf und Köln ausgewertet und einige Dutzend von ihnen zu einer Ausstellung zusammengefügt; ihr Titel „Aktion 3 – Wie Deutsche ihre jüdischen Nachbarn verwerteten“. Hinter Glasrahmen legen sie Zeugnis ab von der Schnörkellosigkeit und Beiläufigkeit der Enteignung.

Finanzakten aus NS-Zeit werden nicht zugänglich gemacht – angeblich aus Datenschutzgründen

Ab 1936 zwangen die Devisenbehörden alle Juden, ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen. Wobei alles bis buchstäblich zur letzten Unterhose und dem letzten Sack Kartoffeln aufzuführen war. Dieses Vermögen wurde nach der Flucht oder später der Deportation der jüdischen Eigentümer öffentlich versteigert und an die meistbietenden Deutschen verkauft. Die ausgestellten Dokumente geben nicht nur die Vermögenslisten wider, sie enthalten auch die Namen derer, die Geschirr, Betten, Besteck, Nahrungsmittel, Bilder, Bekleidung, Firmen, Immobilien usw. usf. gekauft haben. Der Geldbetrag für jedes einzeln versteigerte Stück wurde selbstverständlich ebenfalls aufgelistet. Schließlich war die deutsche Bürokratie seit langem für Akribie bekannt.

Mit den Akten der Oberfinanzdirektionen hat es allerdings eine eigenartige Bewandtnis. Entgegen allen Versprechungen, zuletzt auf der internationalen Holocaust-Konferenz in Stockholm 2000, werden sie der Öffentlichkeit und der Forschung gar nicht oder nur sozusagen aus Versehen zur Verfügung gestellt. Wolfgang Dreßen hatte während seiner Forschungen in den 90er Jahren denn auch eher Glück und einige hilfreiche Beamte auf seiner Seite, als er die Arisierungsdokumente aus den Archivkellern der Finanzbehörden ans Licht hob. Und: Nach der Auswertung verschwanden viele Akten wieder in den Katakomben der amtlichen Verdrängung: Finanzakten aus der NS-Zeit, so die häufige behördliche Auskunft seit Ende der 90er Jahre, unterlägen dem Datenschutz und seien nicht zugänglich.

So dürfen sich manche Erben nußbaumerner Wohnzimmerschränke, edler Pelzmäntel und kostbarer Klimt-Gemälde weiterhin als ehrenwerte Eigentümer und Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft fühlen. Und mit dem Finger auf die anderen zeigen, die Täter oder Profiteure wurden „in finsterer Zeit“. Wie zum Beispiel das Verlagshaus Neven DuMont in Köln, das 2003 über das Kölner Leben zwischen 1933 und 1945 Aufklärerisches in einer Serie seines Boulevardblatts „express“ verbreitete. Finster sei es damals zugegangen, von den Arisierungen hätte manch einer profitiert; der eigene Verlag aber – so muss angesichts fehlender Hinweise geschlussfolgert werden – war wohl „sauber“ geblieben. Das wäre angesichts der zahllosen Raubritter aus Wirtschaft, Politik und unter den ganz normalen kleinen Leuten wirklich bemerkenswert.

In der Kölner Volkshochschule fand am vergangenen Freitag ein Kongress zum Thema Arisierung statt. Dort säte der Journalist und Historiker Ingo Niebel Zweifel. Ingo Niebel, der keinen Zugang zu Finanzamtsakten hatte, zitierte in seinem Vortrag aus der Entnazifierungsakte von Kurt Neven DuMont, Herausgeber der Kölnischen Zeitung in der Nazi-Zeit und Vater des jetzigen Herausgebers Alfred Neven DuMont. Darin bekennt der damalige Verleger die Aneignung eines Grundstücks im Jahre 1941, das sich in jüdischem Eigentum befunden hatte und neben seinem Wohnhaus lag.

Ingo Niebel hat sich angesichts dieser gebeichteten Sünde gefragt, ob hinter so viel Bekennermut nicht größere Taten verborgen bleiben sollten. Tatsächlich ist die Familie Neven DuMont 1941 in den Besitz von drei Häusern in der Breite Strasse gelangt, die dem schon länger zum Familienvermögen zählenden Stammsitz des Hauses – Druckerei, Redaktionen und Verlag – zugeschlagen wurden. Heute steht auf dem Areal, zu dem die drei Grundstücke zählen, das DuMont-Carée, ein Einkaufspalast der Sonderklasse.

1941 gehörten die drei Häuser respektive die Grundstücke noch dem jüdischen Wäschereibesitzer Fritz Brantenstein. Er war 1939 mit seiner Frau aus Deutschland geflohen, sein Vermögen beschlagnahmte der NS-Staat. Als Zwischenkäufer der drei Immobilien trat der Gerling-Konzern auf, für 6 Wochen. Dann kaufte Gabriele Neven DuMont, Gattin von Kurt Neven DuMont, die Häuser. Für welchen Betrag, ist nicht bekannt. Dass diese Besitzwechsel stattfanden, hat Ingo Niebel einer öffentlich zugänglichen Quelle entnommen: Grevens Adressbüchern, die damals auch die jeweiligen Grundstückseigentümer vermerkten. Ob die Finanzamtsakten, von denen Wolfgang Dreßen für die Ausstellung eine begrenzte Zahl auswerten konnte, präzisere Auskunft geben, muss künftigen Forschungen vorbehalten sein – wenn denn diese Akten geöffnet werden - oder möglicherweise die Firmenakten des Verlagshauses.

In den 50er Jahren einigte sich das Verlagshaus Neven DuMont mit der Witwe Brantenstein außergerichtlich auf eine Entschädigung, wobei auch hier die Höhe des Betrages bislang unbekannt ist. Das scheint jedoch kein Schuldeingeständnis gewesen zu sein. Ein Ablass eher. Zumindest muss das Haus Neven DuMont das so verstanden haben: denn bis jetzt hat es jede öffentliche Auseinandersetzung mit seiner Teilhabe am Arisierungsraub vermieden.

Auf konkrete Fragen zu den Vorgängen antwortete das Verlagshaus nur mit einer Presseerklärung zu dem Spiegelartikel „Die Kölner Verlegerfamilie Neven DuMont profitierte von ‚Arisierungen’“ (7/2006) über die Verwicklungen des Verlagshauses in die Nazi-Diktatur, die nur einen einzigen konkreten Satz über die Arisierungsvorwürfe enthält:

Bei der Behauptung des „Spiegel“, Verlag und Familie zählten durch den Kauf von drei Grundstücken zu den Profiteuren der Arisierung, schreckt das Magazin vor leichtfertigen Behauptungen nicht zurück. Selbst den "Spiegel" hätte es nachdenklich machen müssen, dass kein jüdischer Veräußerer der von ihm zitierten Grundstücke nach dem Krieg Wiedergutmachung von der Firma oder der Familie forderte oder direkt mit Forderungen an sie herantrat. Lediglich in einer Ausnahme hat es nach dem Krieg eine Zahlung von 10.000 DM gegeben. Der "Spiegel" unterstellt leichtfertig, dass die Erwerber der Grundstücke wussten, dass diese aus jüdischem Besitz stammen. Hier bewegt sich das Magazin in einer verleumderischen Grauzone.