Vorsitzender der Innenministerkonferenz will WhatsApp überwachen

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BND fordert 150 Millionen Euro zum Knacken von Messenger-Verschlüsselungen

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Der aus Fernsehtalkshows bekannte saarländische CDU-Politiker Klaus Bouillon sitzt derzeit der Innenministerkonferenz der deutschen Bundesländer vor. Deshalb haben seine Forderungen über die 995.000 Einwohner seines Bundeslandes hinaus Auswirkungen. Die jüngste dieser Forderungen lautet, dass WhatsApp und andere Messengerdienste zur "Mitarbeit" im "Kampf" Straftäter gezwungen werden sollen. Zur Beantwortung der Frage, welche Straftaten er damit konkret meint und ob seine Forderung auch auf Äußerungsdelikte abzielt, war Boullion nicht erreichbar

Klaus Bouillon, der saarländische Minister für Inneres und Sport. Foto: Michael Schönberger. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Für den Fall, dass die "Verpflichtung zur Zusammenarbeit" nicht klappt, setzt der Innenministerkonferenzvorsitzende auf einen Ausbau der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich. Die "Zitis" abgekürzte Behörde soll die Verschlüsselung von Messenger-Diensten knacken und anschließend die Kommunikation dort auswerten.

ANISKI wird teuer

Das will auch der deutsche Auslandsgeheimdienst BND, der geleakten Dokumenten zufolge 150 Millionen Euro mehr Steuergeld für sein Projekt "Aufklärung nicht-standardisierter Kommunikation im Internet" (abgekürzt "ANISKI") fordert. Dass der BND vorhat, die Verschlüsselung von Messenger-Diensten zu knacken, ist bereits seit gut zwei Monaten bekannt. Bislang ging man allerdings von einer Mehrforderung in Höhe von lediglich 21 Millionen Euro aus, von denen aktuell 5 bewilligt sind.

Nachdem im Zuge der Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden aus ehemaligen "Verschwörungstheorien" und "Fake News" Tatsachen wurden, statteten viele Anbieter ihre elektronischen Kommunikationsangebote mit einer End-to-End-Verschlüsselung aus, um den Nutzern wieder ein Gefühl von Privatsphäre zu geben. Das führte dazu, dass sich der BND inzwischen darüber beklagt, verschlüsselte Kommunikation werde "nicht mehr nur noch von 'nachrichtendienstlich relevanten Nutzern' eingesetzt".

Verschlüsselte Kommunikation wird dem BND zufolge “nicht mehr nur noch von ‘nachrichtendienstlich relevanten Nutzern’ eingesetzt”. Screenshot: TP

In dem geleakten Papier gesteht der Bundesnachrichtendienst außerdem ein, dass er derzeit die Inhalte von weniger als zehn der insgesamt 70 für ihn relevanten Kommunikationsdienste einsehen kann. Um das zu ändern, setzt er nicht nur auf neue Hard- und Software, sondern auch auf Maßnahmen wie sie die NSA einsetzt, um an Schlüssel oder Zertifikate zu kommen.

Die Behörde selbst antwortet bislang nicht auf Fragen zu dem geleakten Dokument. Dafür warnte Frank Rieger vom Chaos Computer Clubs, dass der Staat seine Bürger "mit solchen Angriffen auf Kommunikationsdienste unkalkulierbaren Risiken aussetzt".

"Ausbau" der Vorratsdatenspeicherung

Außer einer Verpflichtung von Messenger-Anbietern zur “Zusammenarbeit” und einer Erweiterung der Fähigkeiten von Behörden zum Knacken verschlüsselter Kommunikation schwebt Boullion auch ein Ausbau der Vorratsdatenspeicherung vor, die in einem guten halben Jahr Kommunikationsanbieter erneut verpflichten soll, IP-Adressen und andere Daten für Zugriffe durch Behörden zu speichern.

Solch eine Vorratsdatenspeicherung war 2010 vom Bundesverfassungsgericht und 2014 vom Europäischen Gerichtshof als grundrechtswidrig gebrandmarkt worden. Ob diese neue Form den Anforderungen des Grundgesetzes standhält, soll nun das Bundesverfassungsgericht prüfen. Dazu haben über 30.000 Bürger eine Verfassungsbeschwerde unterzeichnet, die Vertreter des Vereins Digitalcourage, des Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung und mehrere Einzelpersonen am Montag in Karlsruhe offiziell einreichten.

Rechtlich stützen sie sich unter anderem auf die Erforderlichkeitsmaßstäbe, die der EuGH bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung angelegt hat, und auf eine so genannte Überwachungsgesamtrechnung, die die seit der letzten Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vor sechs Jahren erfolgte "Zunahme an Datenerhebungsgesetzen mit Überwachungstendenz" sowie "das drastische Wachstum der tatsächlichen Nutzung von Überwachungstechnik" in die Verhältnismäßigkeitsbeurteilung mit einbezieht (vgl. Karlsruhe soll Vorratsdatenspeicherung erneut prüfen).