Reich, die CIA und MKULTRA

Klaus Maria Brandauer als Wilhelm Reich in Antonin Svobodas Film "Der Fall Wilhelm Reich". Bild: movienet

"Der Fall Wilhelm Reich" Teil 1

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Der Film des Österreichers Antonin Svoboda kommt Anfang September in die Kinos. Er zeichnet ein emotional anrührendes, aber ungenaues Bild des umstrittenen Pioniers der Psychoanalyse. Auseinandersetzungen Wilhelm Reichs mit Freud, Marx und dem Faschismus werden fast völlig übergangen. Dafür wartet Svoboda mit einer neuen Verschwörungstheorie auf: Reich wäre in MKULTRA, das Gehirnwäsche- und Folterforschungs-Programm der CIA, verstrickt gewesen, "Manchurian Candidate" und "Fletchers Visionen" lassen grüßen.

Svobodas empfehlenswerter Film kreist um die letzten Lebensjahre Wilhelm Reichs in den USA, wo man seine Bücher verbrannte, ihn psychiatrisch untersuchte und vor Gericht stellte. Viele erklärten den unbequemen Vorkämpfer einer sexuellen Befreiung schon zu Lebzeiten für verrückt, noch mehr taten das im Nachhinein. Die immer wieder kolportierte Behauptung, Reich sei "wahnsinnig", "schizophren" oder "paranoid" geworden, basiert ursprünglich auf Diffamierungen aus Kreisen der Freudianer. Reich erlebte dort zunächst als Freuds Liebling einen kometenhaften Aufstieg, was viel Neid in der Jüngerschar weckte.

Die Frage "War Reich ('am Ende') verrückt?" beschäftigt seine Gegner, Interpreten und Anhänger, wobei das "am Ende" jeweils den Punkt in Reichs Entwicklung markiert, den die Kommentatoren nicht mehr tolerieren oder begreifen können: Freudianer seinen Marxismus und seine Sexualpolitik, Marxisten seine Bion- und Orgon-Forschung, Orgon-Anhänger seine Ufo-Beobachtungen. Doch all diese Wendungen, auch die späteren, die heute phantastisch anmuten mögen, lassen sich ohne die diffamierende Annahme erklären, Reich sei wahnsinnig geworden. Umgekehrt lassen sich zahlreiche Belege dafür finden, dass Reich die Stigmatisierung "Wahnsinn" von diversen Gegnern angehängt wurde, um ihn und seine unbequemen Ideen zu diskreditieren.

War Reich ("am Ende") verrückt?

Nach seinem Abfall von Freuds "reiner Lehre" in Ungnade gefallen, wurde Reich in Freudianerkreisen zur Unperson erklärt und pathologisiert. Ähnliches war vor ihm schon den Dissidenten C.G.Jung, Otto Rank und Sandor Ferenczi widerfahren, über die ebenfalls Gerüchte von Unmoral, Irrsinn und Paranoia gestreut wurden - was der Freud-Kritiker Johannes Cremerius historisch belegte (S.155 ff.). Besonders unappetitlich war dabei die Praxis, intimste Details aus der (Lehr-) Analyse der Dissidenten, die unter strengster ärztlicher Schweigepflicht offenbart worden waren, mit Verleumdungen vermischt, gegen den vermeintlichen "Häretiker" einzusetzen.

Gedenktafel der Berliner Wilhelm-Reich-Gesellschaft. Bild: OTFW, Berlin. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Wilhelm Reich

24.03.1897 Dobrzanica, Galizien - 03.11.1957 Lewisburg, Pennsylvania
Arzt, Psychoanalytiker, Begründer der Körperpsychotherapie Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft und Dozent am Berliner Psychoanalytischen Institut.

Gründer der "Sozialistischen Gesellschaft für Sexualberatung und Sexualforschung"

Als Jude und Kommunist von den Nationalsozialisten verfolgt, floh er 1933 nach Skandinavien. Sein Versuch, Marxismus und Psychoanalyse zu verbinden, führte 1934 zu seinem Ausschluss aus der Kommunistischen Partei und der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 1939 emigrierte er in die USA und widmete sich hier vor allem der Erforschung der von ihm als "Orgon" bezeichneten Lebensenergie.

Von der Gedenktafel der Berliner Wilhelm-Reich-Gesellschaft für Wilhelm und Annie Reich an ihrem früheren Wohnsitz in Berlin-Wilmersdorf (23.06.2007)

Auf solches Material greift noch heute eine bestimmte Kategorie von Journalisten zurück, um Reich als "Verrückten" hinzustellen, etwa wenn Träume oder Phantasien angeführt werden, in denen Reich sich in Heldenpose sah - in Wahrheit narzisstische Wünsche, die fast jeder Mensch kennt, die aber keiner in die Öffentlichkeit gezerrt sehen möchte. Als letzten "Beweis" seines angeblichen Wahnsinns werden dann oft seine schulmedizinisch nicht anerkannte Orgon-Lehre oder seine Aussagen zu Ufos in den 1950er-Jahren ins Feld geführt.

Doch sind Orgon-Anwender genausowenig wahnsinnig wie Homöopathie-Nutzer, die jenseits der Schulmedizin Heilung suchen - schlimmstenfalls nutzen sie den Placebo-Effekt. Auch Abertausende von US-Amerikanern erfreuten sich bester geistiger Gesundheit, obwohl sie in der Ufo-Hysterie der 1950er-Jahre entsprechende Sichtungen meldeten: Zeitweise glaubte die Mehrheit der US-Bevölkerung an die Aktivität von Außerirdischen.

Oder tendieren manche Reich-Gegner zum "Autoritären Charakter"?

Svobodas Film ist auch eine Stellungnahme gegen die solcherart oft unreflektiert wiedergekäute "Reich-war-am-Ende-verrückt-Story", von der bei Licht besehen wenig mehr bleibt als der Beißreflex der aufgehetzten Meute gegen einen Außenseiter. Solche Meute-Reflexe sind übrigens, um die Pathologisierung einmal umzudrehen, Kennzeichen des Autoritären Charakters: So festgestellt durch die von Reich mit seinem Buch "Massenpsychologie des Faschismus" eingeleitete und von Adorno et al. fortgesetzte psychologische Faschismusforschung. Vornehmlich aus dieser Ecke kommt jetzt eine Flut von Film-Verrissen, die sich eigentlich - ohne genauere Sachkenntnis - gegen Reichs Ideen richten, sowie an Svobodas Adresse wohlfeile Vorhaltungen, er hätte Reich "mit zuviel Sympathie" inszeniert.

Einem wohlwollenden oder wenigstens neutralen Blick erklärt sich Reichs zuweilen skurriles Denken und Verhalten mühelos aus seiner biographischen und zeitgeschichtlichen Situation. Wer wirklich Opfer von Intrigen, Bespitzelung und Verfolgung wird, verhält sich eben paranoid. Und die Aussagen von Ex-Frauen, auf die sich auch im "Fall Reich" etliche Kolporteure stützen, sind von zweifelhaftem diagnostischem Wert - wie z.B. der "Fall Mollath" belegt. Auch die wohl krasseste Pathologisierung Reichs, das Buch "Freud oder Reich?" des Psychoanalytikerduos Janine Chasseguet-Smirgel und Béla Grunberger hält sich an Reichs Ex-Frau Ilse Ollendorff-Reich und ergänzt deren teilweise diffamierende Darstellung "vor allem durch eigene Spekulationen und Fehldarstellungen", so eine medizinisch-historische Doktorarbeit zur Geschichte der Psychoanalyse (Peglau S.30).

Die Autoren [Grunberger & C.-Smirgel] fragen gar nicht, ob diese Theorie eine klinisch anzutreffende Wirklichkeit beschreibt, sondern deuten sie allein als Ausdruck einer Paranoia, als "wahnhaftes Bild", das Reich "von seinem Körper hat", als Symptom eines "Verfolgungswahns, bei dem jemand Angst davor hat, im Rektum seines Verfolgers gefangen und gelähmt zu werden". Nur so lasse sich das Bild ringförmig um den Körper sich ziehender Muskelblockaden bei Reich erklären. Beobachtungen und Theorien werden auf dem Weg einer Pathologisierung abgetan.

Geuter/Schrauth: Wilhelm Reich, der Körper und die Psychotherapie, S.220

Grunberger und Smirgel wollten 1976 vermutlich der Reich-Renaissance infolge seiner 68er-Wiederentdeckung eine Verteidigung der orthodoxen Psychoanalyse entgegensetzen:

  1. weil reichianische Körpertherapien als Konkurrenz zu den Freudianern mächtig Aufwind bekamen;
  2. weil mit Reich ein seit 1934 totgeschwiegener Dissident Fragen bezüglich der NS-Vergangenheit der Freudianer aufwerfen würde.

So propagierten Grunberger und Smirgel weiterhin den sorgsam gepflegten Mythos, die Psychoanalyse sei ab 1933 vom Nazi-Faschismus verboten, ja ausgerottet worden, ein Mythos, der spätestens mit Andreas Peglaus just erschienener enzyklopädischer Abrechnung "Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus" als widerlegt gelten kann (Peglau S.25). Mit der Diagnose bzw. Bezichtigung der Paranoia durch die Freudianer steht Reich, wie wir in Teil 2 diese Artikels sehen werden, in einer Reihe pathologisierter Freud-Dissidenten, die weitere berühmte Namen wie C.G.Jung, O.Rank und S.Ferenczi aufweist.

Wahrscheinlich ist also: Reich war nicht verrückt, sondern er störte die Wiener Gemütlichkeit einer unpolitischen Psychoanalyse, die sich 1933 in Ruhe mit den Nazis arrangieren wollte. Er kämpfte mit der KPD gegen den Faschismus, später gegen den Stalinismus und am Ende in Amerika gegen die US-Behörden des McCarthy-Regimes. Psychoanalytiker und Kommunisten schlossen ihn aus ihren Vereinigungen aus, die Nazis trieben ihn ins Exil. Von der Presse als "Orgasmus-König" denunziert und von der Justiz als Scharlatan verurteilt, starb der sechzigjährige Wilhelm Reich schließlich 1957 in einem US-Gefängnis.

Großes Gefühlskino gegen eine repressive Gesellschaft

Um diesen letzten Gerichtsprozess kreist Svobodas Film, der nicht den Anspruch einer Filmbiographie erhebt. Der Anfang folgt Mairowitz‘ Sach-Comic "Reich kurz und knapp", wo Reich mit Sohn Peter an der Orgon-Kanone zu einem Rückblick auf seine Anfänge in der Sexualtheorie ausholt. Svoboda aber fokussiert sich dann auf die Gerichtsverhandlungen und die psychiatrische Begutachtung in Reichs letzten Lebensjahren, immer wieder unterbrochen von Rückblenden, die jedoch keinen geschlossenen Überblick über Leben und Werk der Hauptfigur vermitteln.

Reich wird als gütiger Ehemann, Vater und Arzt gezeigt, aber vor allem als Wissenschaftler, der die Entwicklung seiner Ideen und Methoden fast fanatisch vorantreibt und vor Gericht verteidigt. Stark ist die Verkörperung von Reichs widersprüchlichem Charakter durch Karl Maria Brandauer: Warmherzig, aber starrsinnig; wissenschaftlich rational, aber Gefühlen und phantastischen Ideen aufgeschlossen; strenger Moral verpflichtet, aber - vor allem geistig und sexuell - freiheitsliebend; loyal zum McCarthy-Regime, aber unbotmäßig gegenüber der Obrigkeit.

Svobodas Inszenierung eines brillanten Brandauer gelingt es mit verblüffender Überzeugungskraft, jenen Reich zum Leben zu erwecken, den die Leser seiner Werke zu kennen glauben. Gegen düstere Justizszenen stellt der Film atemberaubende Landschaftsaufnahmen aus der Wüste von Arizona und den Wäldern von Maine, wo Reich an einem ruhigen See das Orgonon-Institut gründete. Die Dramaturgie fängt atmosphärisch den Kern von Reichs Lehre ein: Die Harmonie von Natur und Leben wird durch eine repressive Gesellschaft stranguliert - der Mensch steht dazwischen, kämpft um seine Freiheit und seinen Seelenfrieden. Der Darstellung gelingt es dabei, die üblichen Stereotype einer Hollywood-Schnulze zu vermeiden, was ihm freilich von einigen schmalzverwöhnten Filmkritikern den Vorwurf "hölzerner Dialoge" einbrachte.