Brutal und aufklärend, misanthropisch und burlesk

Bild: Neue Visionen Filmverleih

Traurige Tropen: Ulrich Seidls Großwildjägerdoku "Safari" zeigt Europäer auf der Jagd

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Sie werden in unseren Breiten gern als "Steinzeitmenschen in der Gegenwart" bezeichnet, was einer Verurteilung und Diffamierung gleichkommt oder als seltsame, irgendwie gestrige Geschöpfe beschrieben: die Jäger. Nicht extreme sexuelle oder religiöse Praktiken oder nackter Unsinn sind offenkundig das wahre Tabu unserer Gegenwart, sondern das Töten von Tieren.

Obwohl es dann doch auch wieder etwas Wehleidiges hat, wenn ein Jäger auf seiner Homepage jammert:

Wenige Dinge sind im Europa des 21sten Jahrhundert so aus der Zeit gefallen, wie die Jagd. In weiten Teilen der Öffentlichkeit ist es ratsamer sich zu abnormen Sexualpraktiken, Drogenkonsum oder als Fan des Dschungelcamps zu bekennen, als sich als Jäger zu outen.

Ein Jäger

Aber falsch ist es nicht. Von diesem "Abnormen" zehrt der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl. Indem er uns bei etwas zugucken lässt, was wir nicht sehen wollen, es aber doch sehen wollen, liefert Seidl der Spektakelgesellschaft ein großes Spektakel.

Man disputiere und streite, soviel man wolle, aber man behaupte nicht, das Quadrat sei rund und die Jagd sei kein Privileg.

José Ortega y Gasset, Meditationen über die Jagd

"Safari" heißt "Reise" auf Kisuaheli. Die Reise, von der hier die Rede ist, ist erst einmal ganz wörtlich diejenige des österreichischen Filmemachers Ulrich Seidl und die seiner Protagonisten, eines knappen Dutzend wohlhabender - oder "reicher"; das kann man nur vermuten - Österreicher ins südwestliche Afrika.

Dort in Namibia leben sie ein paar Wochen lang in Lodges, die mit den Accessoires des Kolonialismus wie der Jagdromantik, mit Trophäen getöteter wilder Tiere wie mit farbenprächtigen Teppichen, afrikanischen Holzmöbeln und europäischen Ventilatoren ausgestattet sind. Sie ziehen sich khakifarbene Kleidung an und einen Hut über den Kopf. In britischen Jeeps, chauffiert von schwarzen Bediensteten und angeleitet von weißen Jagdführern, werden sie zu Plätzen geführt, wo sich Gelegenheiten bieten, Großwild zu schießen.

Das System der Großwildjagd

Die Safari, von der hier die Rede ist, ist also die Großwildjagd - Seidls neuer Film verzichtet auf gespielte oder inszenierte Handlung. Er ist in diesem Sinn eindeutiger dokumentarisch als seine "Passions-Trilogie" (siehe Rassismus für die Gebildeten unter seinen Verächtern).

Aber um Passionen geht es auch hier. Denn so sehr Seidl das System der Großwildjägerei beschreibt - man kann bestimmte Tiere regelrecht zum Abschuss bestellen; nichts ist zwar garantiert, aber vieles wahrscheinlich, der Preis variiert mit der Seltenheit des Tiers: Giraffen sind teuer, Zebras billig - so sehr geht es ihm zuallererst um psychologische Dispositionen des Jagens, der Bereitschaft zum Töten oder der Lust daran. Und er hat die reichhaltigen kulturhistorischen Implikationen im Auge, die damit einher gehen. Zudem ist all das, dies wird sofort klar, gar nicht voneinander zu trennen.

Die verlorene Erfahrung, Herr über Leben und Tod zu sein

Der Film setzt bereits ein mit einer Szene, die einen einzelnen Jäger mit seinem Jagd-Führer zeigt. Gelassen gibt der Film uns Zuschauern zunächst einmal ein Gefühl für die Zeit, die Dauer und Mühe des Heranpirschens ans Tier. Man sieht Blicke durchs Fernglas, man hört den Atem des Jägers, und mit seiner Erregung wächst auch die Spannung des Zuschauers.

Bild: Neue Visionen Filmverleih

Als der Schuss fällt, fehlt der Jäger, erst der zweite Versuch gelingt, und auch dann ist das Tier nicht sofort tot - gerade dies Unperfekte lässt diese Exposition brachial wirken. Und zugleich gelingt es Seidl, im Portrait des Schützen und seiner Erleichterung durch das Erfolgserlebnis auch etwas spüren zu lassen von einer, vom durchschnittlichen Europäer der Gegenwart (aber nur von diesem) vollkommen verlernten, früheren Alltagserfahrung: der Erfahrung, Herr über Leben und Tod zu sein, mindestens über Leben und Tod von Tieren.

Es muss eine Sehnsucht nach dieser Erfahrung geben, die universal menschlich ist. Sie mag moralisch verdammenswert erscheinen, und im Prozess der Zivilisation ein retardierendes, archaisches Element verkörpern - aber sie ist da, sie hat etwas mit uns allen zu tun, und dieser Rekurs auf das Publikum, dem der Filmemacher unangenehme, gleichwohl faszinierende, seltene Bilder präsentiert, ist es, der offenkundig im Zentrum des Interesses von Seidl liegt.

Wie immer bei Ulrich Seidl ist auch in diesem Film das Interessanteste, was er einfach zeigt. Und er zeigt viel: Wie gejagt und geschossen wird; wie offen erotisch erregt die Jäger auf das Heranschleichen, den Schuss selbst und das Glückerlebnis des Tötens reagieren; wie die toten Tiere danach zum Foto drapiert werden; wie diese in die Lodge transportiert werden - und vor allem, wie man sie danach ausweidet.

Bild: Neue Visionen Filmverleih

In diesem blutigen Geschäft, in dem die Eingeweide beseitigt werden, das Blut weggespült, das zur Trophäe Taugliche gereinigt und gesichert und das Fleisch an die Knechte verteilt wird, findet Seidl so etwas wie die Substanz der Jagd.