Fall Peggy-Böhnhardt: Angeklagte Zschäpe verneint ein Wissen

Grafik: TP

Im NSU-Prozess beantwortet ihr Verteidiger nach sechs Wochen die Fragen des Gerichts

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Die Angeklagte Beate Zschäpe hat am Donnerstag verneint, über Informationen zum Fall Peggy zu verfügen. Am 13. Oktober war bekannt geworden, dass bei dem toten neunjährigen Mädchen DNA-Material des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt gesichert wurde. Böhnhardt war der Partner von Zschäpe gewesen. Sie habe ihn "geliebt", hatte sie vor einem Jahr in ihrer Erklärung vor Gericht bekundet. Zusammen mit Uwe Mundlos bildeten die drei das NSU-Kerntrio, das für zehn Morde verantwortlich gemacht wird. Die beiden Männer starben Anfang November 2011.

Die mögliche Verbindung zwischen dem im Mai 2001 verschleppten und ermordeten Kind und dem mutmaßlichen Terroristen Böhnhardt mittels dessen DNA ist damit aber keineswegs vom Tisch. Die DNA-Spur hat nach wie vor ihre Gültigkeit. Unaufgeklärt sind die möglichen Umstände ihres Zustandekommens. Bis zum Oktober 2016 hatte niemand diese Verbindung auch nur geahnt.

Im Juli 2016 wurden die sterblichen Überreste von Peggy in einem Wald in Südthüringen gefunden, 15 Jahre nach ihrem Verschwinden und nur wenige Kilometer von ihrem Zuhause in Nordbayern entfernt. Bei der Spurensicherung stellte die Kriminalpolizei dann das DNA-Material von Zschäpes ehemaligem Freund und Komplizen fest.

Der Mörder von Peggy ist bisher nicht gefunden. Jahrelang saß ein zu Unrecht beschuldigter Deutschtürke unschuldig im Gefängnis. Die Nachricht, es könnte eine Verbindung zwischen dem NSU und dem Peggy-Mord bestehen, sorgte für riesiges Erstaunen. Sollte sie tatsächlich bestehen, könnte sich ein ganz neues Feld im NSU-Komplex öffnen: das der organisierten Kriminalität (OK) mit möglicherweise geschäftsmäßigem Kindermissbrauchs (Fall Peggy-Böhnhardt: Eher Vertuschungsversuch als Panne).

Auch den Senat des Oberlandesgerichtes München, vor dem Zschäpe zusammen mit vier Männern angeklagt ist, interessierte der Sachverhalt. Der vorsitzende Richter Manfred Götzl fragte am 26. Oktober die Angeklagte Zschäpe explizit nach dem Fall Peggy. Er wollte wissen, ob sie dazu über Informationen verfüge, die sie nicht aus den Medien habe. Deren Anwalt Hermann Borchert kündigte eine schriftliche Beantwortung der Frage an.

Prüfung einer möglichen Verunreinigung bislang ohne Ergebnis

Bemerkenswert war, was nur einen Tag später geschah. Verschiedene Leitmedien verbreiteten die Spekulation, bei der DNA-Spur handele es sich um eine Verunreinigung. Zustande gekommen möglicherweise durch einen Zollstock, den die Polizei bei der Spurensicherung verwende. Mit verantwortlich für diese Spekulation, die schnell zur tatsächlichen "x-ten Polizeipanne" mutierte, war ein "ARD-Terrorismusexperte". Er behauptete, er sei sicher, habe Informationen, dass es sich um eine Verunreinigung handle, und bezog sich dabei auf oberste Ermittlerkreise.

Seinem Auftritt war es geschuldet, dass die Meldung ihren Weg in die Hauptnachrichtensendungen der ARD und damit der großen Medien fand. Quelle der Verunreinigungsspekulation und konstruierten "Polizeipanne" könnte ausgerechnet die Bundesanwaltschaft (BAW) gewesen sein, zu der der ARD-Reporter exklusive Kontakte hat.

Das Bundeskriminalamt hatte schon kurz nach Sicherstellung der Spur erklärt, es gehe nicht von einer Verunreinigung oder Spurverschleppung aus. Nichtsdestotrotz lässt die Staatsanwaltschaft Bayreuth, die für die Ermittlungen zuständig ist, die Frage der möglichen Verunreinigung überprüfen. Bislang ohne Ergebnis. Zusätzlich hat das LKA Thüringen eine Sonderkommission eingerichtet, um einen möglichen Zusammenhang des NSU mit dem Verschwinden und der Ermordung von Kindern in jenen Jahren zu untersuchen.

Die Möglichkeit, dass die Spekulation aus der Bundesanwaltschaft kommt, wirft die Frage auf, warum diese das Interesse haben könnte, eine Verbindung Peggy-Böhnhardt vom Tisch zu haben. Fürchtet man einen noch viel größeren Hintergrund des NSU?

Angeblich gebrauchte Festplatten eingebaut

Beate Zschäpe beantwortete noch eine weitere offene Frage des Gerichtes abschlägig. Sie betraf den Computer, der in der Wohnung des Trios in Zwickau stand und auf dem kinder- und jugendpornografische Bilder entdeckt wurden. Den PC hätten alle drei benutzt, ließ sie ihren Anwalt Hermann Borchert antworten, die beiden Uwes und sie. Jeder habe Zugriff gehabt.

Von den Bildern von Kindern und Jugendlichen habe sie nichts gewusst, sondern erst bei der Einsichtnahme in die Ermittlungsakten davon erfahren. Den Computer habe Mundlos einst zusammengebaut. Er habe im Handel unter anderem gebrauchte Festplatten gekauft und eingebaut.

Ob Zschäpes Erklärung, sie wisse nichts zum Fall Peggy, wahrhaftig ist, lässt sich zur Zeit nicht sagen. Immerhin hat sie sechs Wochen für ein einfaches "Nein" gebraucht. Die Frage muss angesichts ihres Aussageverhaltens vor einem Jahr aber gestellt werden. Damals hat sie Sachverhalte benannt, die als widerlegt gelten können. Beispielsweise, dass der erste Raubüberfall auf einen Edeka-Supermarkt nur von ihren Komplizen Böhnhardt und Mundlos verübt wurde. Ein Zeuge nahm drei Täter wahr.

Auch die angebliche Alleintäterschaft der beiden Männer bei allen insgesamt 28 Verbrechen, darunter zehn Morde, wird von NSU-Aufklärern, wie beispielsweise dem Untersuchungsausschuss des Bundestages, in Zweifel gezogen. Stattdessen ist die Frage ihrer Mittäterschaft aufgeworfen. Es gibt Zeugen, die bestätigen können, dass sie im Mai 2000 zusammen mit Böhnhardt und Mundlos in Berlin eine Synagoge als mögliches Anschlagsziel ausgespäht haben könnte. Dazu wird kommende Woche eine Zeugin vor Gericht vernommen.