"Postfaktisch" ist Wort des Jahres 2016

Gesellschaft für deutsche Sprache möchte Blick auf "tiefgreifenden politischen Wandel" lenken

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Nun bekommt der Begriff "postfaktisch" (Postfaktisches Zeitalter) auch noch seinen Segen von "hoher Stelle": Die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden hat den Begriff "postfaktisch" zum Wort des Jahres 2016 gewählt.

In einer Pressemitteilung der GfdS heißt es, der Begriff markiere einen "tiefgreifenden politischen Wandel". Bei dem "Kunstwort postfaktisch" handele es sich um eine "Lehnübertragung des amerikanisch-englischen post truth", diese verweise darauf, "dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht."

Die GfdS ist der Ansicht, dass "immer größere Bevölkerungsschichten […] in ihrem Widerwillen gegen 'die da oben' bereit, [seien] Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren". Es gehe im "postfaktischen Zeitalter", von dem die GfdS auch spricht, nicht mehr um einen Anspruch auf Wahrheit. Vielmehr genüge das Aussprechen einer "gefühlten Wahrheit", um zum Erfolg zu gelangen.

Als Beispiele für eine "postfaktische Politik" führt die GfdS den Wahlkampf in Sachen Verbleib Großbritanniens in der EU an: "Mit zum Teil gezielten Fehlinformationen schürten die Befürworter des Austritts den Unmut in der Bevölkerung, die tatsächlich am 23. Juni 2016 mehrheitlich für den Brexit stimmte."

Als weiteres Beispiel für eine Politik, die angeblich auf die Kraft des Postfaktischen setze, nennt die GfdS den Wahlerfolg von Donald Trump bei der Wahl in den USA. Trump sei, "mit Diskriminierungen und wahrheitswidrigen Behauptungen wie der Aussage, Barack Obama habe die Terrororganisation 'Islamischer Staat' gegründet, in den USA zum Präsidenten gewählt" worden.

Die GdfS erklärt, der Begriff "postfaktisch", wirke auf den ersten Blick "befremdlich", da dieser wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt "nach-faktisch" oder "nach, hinter den Fakten" bedeute. Für die GdfS steht der Begriff in seiner Bedeutung aber eher bei den Ausdrücken "kontrafaktisch" oder "antifaktisch".

Dass der Begriff schon seit geraumer Zeit dabei ist, inflationär verwendet zu werden, zeigt auch ein aktueller Artikel eines großen Online-Mediums. Dort wird mittlerweile auch im Zusammenhang von Wrestling von "postfaktisch" gesprochen.

In welcher familiären Beziehung die Wortkombination "Fake News" (man beachte die Richtigstellung der Washington Post zum Anfang des Artikels) zu dem Begriff "postfaktisch" steht, darüber dürften sich demnächst vermutlich die Ahnenforscher ihre Gedanken machen.