Die "unglaubliche Fischwert-Maschine"

Helga Maria, 2013 vom Froster zum Frischfischfänger umgebaut. Diese Entwicklung ist ein Trend auf Island. Die Verarbeitung des frischen Fischs findet nun zunehmend an Land statt. Die Boote haben jetzt mehr Platz an Bord, um Fischreste sachgemäß gekühlt lagern und an Land bringen zu können. Der Trawler gehört zu HB Grandi, dem größten Fischereiunternehmen Islands. Bild: Bernd Schröder

Der Iceland Ocean Cluster will Fische restlos auswerten und entwickelt dafür Neues von Biotechnologie bis zum innovativen Schiffbau

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Auf Island will man mehr aus dem Kabeljau herausholen - pro durchschnittlichem 5-kg-Fisch 80 statt der bisher üblichen 18 US-Dollar. Dafür soll das Tier restlos genutzt werden. Startups sollen Ideen entwickeln, die die ganze Palette abdecken: vom Fischöl über marines Kollagen bis hin zu Enzymen und darüber hinaus. Anfallende Abfälle der Fischverarbeitung sollen künftig zu innovativen und möglichst werthaltigen Produkten veredelt werden. "Wert aus Abfall" ist dabei nur ein Programm-Segment des 2011 gegründeten Gründerzentrums Iceland Ocean Cluster. Von der Biotechnologie bis zum innovativen Schiffbau - Industrien, die der Fischerei zuarbeiten, vernetzen sich und gedeihen im Umfeld des Clusters. Der knüpft an den Erfolg bereits etablierter Nischenprodukte an.

Obwohl die Fischerei als wichtigste Devisenquelle Islands 2013 vom Tourismus abgelöst wurde, ist sie nach wie vor tief im gesellschaftlichen Leben der Insel verwurzelt. Diese Verankerung macht auch nicht vor der isländischen Subkultur halt. Kaum ein Videoclip kommt ohne Accessoires aus dem nächstgelegenen Fischereihafen aus, wie hier beispielsweise bei Steindinn Okkar oder Sturla Atlas.

Doch die Anzahl der Arbeitsplätze in der unmittelbaren isländischen Fischerei und Fischverarbeitung ist rückläufig. Die Industrie befindet sich in einer Phase der Konsolidierung und versucht, die Krisenerscheinungen der vergangenen Jahre zu überwinden. Vor kurzem wurde ein Streik der isländischen Fischer kurz nach Beginn beigelegt. Und es gibt andere Beeinträchtigungen der Branche.

Im August 2015 hatte Russland isländische Fischereiprodukte auf die Sanktionsliste gesetzt. 2014 lieferte Island noch Waren im Wert für 255.6 Millionen US-Dollar nach Russland. Von diesem Handelsvolumen waren nun 91% sanktioniert - 10% der isländischen Fischausfuhren. In der isländischen Bevölkerung machte sich daraufhin Unmut breit, so mancher Isländer fragte sich, weshalb sich die Regierung in der Frage des Ukraine-Konflikts auf die Seite der EU geschlagen hat, ausgerechnet jenes Konstrukts, das ihnen selber nicht einmal eine ausreichende Makrelenquote zubilligen will.

Im Fischereihafen von Reykjavik liegt ein ehemaliges, äußerlich unscheinbares Lagerhaus. Draußen am nahen Kai legen die Trawler an und löschen ihre Ladung. Drinnen begreift sich eine kreative Keimzelle als Speerspitze der Entwicklung einer Fischereiindustrie der Zukunft.

Mehr als 60 Startups arbeiten hier an einer nachhaltigen Fischerei und an neuen Wegen im maritimen Geschäft. Denn im Moment sind es die eher peripheren Unternehmen mit einem Bezug zur Fischerei, die für neue Arbeitsplätze in der Branche sorgen können.

Die "unglaubliche Fischwert-Maschine

Der Ansatz: in den Fischereien des Nordatlantiks werden oftmals bis zu 50% des Kabeljaus verworfen - soviel bleibt nach dem Filetieren übrig. Die Isländer nutzen hingegen bisher mehr als 80% eines Fischs. Auch hier nehmen die Exporte von ausgeflogenem Frischfisch zu, da viele Märkte zunehmend haut- und grätenfreie Frischfischfilets verlangen.

Doch es gibt auch noch die traditionelle Stammkundschaft, wie die treuen Bacalhau-Abnehmer aus Portugal und Spanien, die ihren Salzfisch traditionell mit Kopf und Skelett importieren. Dort essen zumindest manche Älteren im Übrigen auch heute noch gern "Gesicht" und Schwimmblase des Kabeljaus - ein zum kulinarischen Brauchtum gewordenes Relikt aus den Kabeljaukampagnen vor Neufundland und Grönland, in denen der werthaltige Fisch für den Verkauf reserviert war, und die Schlachtabfälle für die Fischer, die ihn gefangen hatten.

Marketing-Gimmick: "The Incredible Fish Value Machine". Bild: Iceland Ocean Cluster

Þór Sigfússon, Gründer des Iceland Ocean Cluster, schätzt, dass die Isländer drei US-Dollar pro Kabeljau mehr einnehmen als die verschwenderischeren Fischereinationen. Die nun angepeilte Wertsteigerung erscheint illusorisch. Doch die Isländer setzen auf eine weitere rasche Erhöhung des Mehrwerts, den sie aus dem Fisch holen können. Ihre Kabeljaufänge lagen 1981 noch bei 460.000 Tonnen, mit einem Exportwert von 340 Millionen US-Dollar.

2011 hatte sich der Fang mehr als halbiert, auf 180.000 Tonnen, doch der Exportwert verdoppelte sich auf 680 Millionen US-Dollar. 1981 stammten 75% des Exportwerts noch von tiefgefrorenen Filets und ganzen Fischen, während diese Kategorie 2011 nur noch 23% der Wertschöpfung ausmachte. Der Anteil des Werts, der durch neue Produkte aufgrund neuer Verarbeitungsprozesse und Technologien erzielt wurde, stieg im gleichen Zeitraum von 25% auf 77% - eine Folge von Modernisierungen, die auf Produktdiversifizierung und Innovation setzten.