Emil und der Liebestod

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Warum Nationalsozialismus Krieg bedeutet - Geschichte einer Verstrickung, Teil 10

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Zu Teil 9: Emil und der Tuberkelbazillus

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die große Männer in Rage bringen. Bei Robert Koch sind es die 18 Mark für Ratten und Meerschweinchen, die er aus der eigenen Tasche bezahlt hat und deren Rückerstattung der Rechnungsrat im Kaiserlichen Gesundheitsamt wegen Formfehlern verweigert. Das bringt das Fass zum Überlaufen. Koch will sich bei Geheimrat Virchow beschweren. Der ist gar nicht zuständig. Trotzdem ist es eine gute Idee, zu Virchow in die Charité zu gehen. Der Film wurde mit der Ankündigung beworben, dass zwei der größten Schauspieler der Gegenwart, Emil Jannings und Werner Krauß, ihre Kräfte messen würden. Mittlerweile nähern wir uns dem letzten Drittel der Handlung, ohne dass sie sich begegnet wären. Es wird also höchste Zeit.

"Reinster Idealismus deckt sich unbewußt mit tiefster Erkenntnis. […] Der gleiche Junge, der den Tiraden eines ‚idealen’ Pazifisten verständnislos und ablehnend gegenübersteht, ist bereit, für das Ideal seines Volkstums das junge Leben hinzuwerfen. Unbewußt gehorcht hier der Instinkt der Erkenntnis der tieferen Notwendigkeit der Erhaltung der Art, wenn nötig auf Kosten des einzelnen, und protestiert gegen die Phantasterei des pazifistischen Schwätzers […]."

Adolf Hitler, Mein Kampf

Der Bekämpfer des Todes ist von Anfang bis Ende sehr präzise konstruiert. Die Filmemacher haben Kochs Gegenspieler nicht etwa vergessen. Durch das Hinauszögern der ersten Begegnung steigern sie die Spannung, und sie verschaffen dem Helden einen Vorteil. Virchow gibt es zunächst nur im Dialog, wo er auf das Podest des "Medizinpapstes" gestellt wird. Ein Medizinpapst als Gegner muss etwas Besonderes sein. Umgekehrt ist die Enttäuschung vorprogrammiert, falls der Mann die Erwartungen nicht erfüllen kann. Virchow, einer der großen Liberalen des 19. Jahrhunderts, ist völlig chancenlos, weil der Film es so haben will. Nach allen Regeln der Kunst wird er geschrumpft. Das ging sogar dem "Arbeitsausschuß" der FSK zu weit, der das Werk 1950 mit Schnittauflagen freigab (seit der zweiten FSK-Prüfung von 1983 darf es wieder ungekürzt gezeigt werden).

Tierchen und alte Knochen

Der mir vorliegende "Jugendentscheid" von 1983 besteht aus einer Inhaltsangabe mit 28, auf zwei Sätze verteilten Wörtern ("Begründung der Beurteilung") und dem "Ergebnis", dass der Film nach einmütiger Meinung der Ausschussmitglieder für Kinder ab 6 Jahren freigegeben werden kann. Die fünf Vertreter der Filmwirtschaft und der öffentlichen Hand, die 1950 darüber zu befinden hatten, bemühten sich noch um etwas, das den Namen "Begründung" auch verdient. Die Kommission störte sich daran, dass die Auseinandersetzung zwischen zwei Wissenschaftlern absichtlich vergröbere und entstelle, um "die Demokratie und einen ihrer prominentesten Vertreter in abträglichem Licht erscheinen zu lassen". Das sei "indirekt antidemokratisch". Um Abhilfe zu schaffen mussten alle Szenen im Reichstag herausgeschnitten werden. Dadurch entfernte man die augenscheinliche Verbindung zwischen Medizin und Politik, nicht aber die Aufladung der vom Film präsentierten medizinischen Wissenschaft mit NS-Ideologie. Ich würde gern wissen, was Goebbels davon gehalten hätte, der Verfechter der verdeckten Propaganda.

Koch, steht im Protokoll der Prüfungssitzung, würden "Züge und Handlungen unterstellt", die "zum mindesten auch Virchow eigentümlich" gewesen seien, und zwar: "Virchows Eintreten für das öffentliche Gesundheitswesen, sein Verlangen, daß der Staat eine Gesundheitsfürsorge ausübe und ähnliche fortschrittliche Ideen". Zu Virchows Ehrenrettung sei hier gesagt, dass die vom Robert Koch des Films vertretenen "fortschrittlichen Ideen" sehr viel mit der Gesundheitspolitik der Nazis zu tun haben und sehr wenig mit dem, wofür Rudolf Virchow eintrat. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die fünf Herren im Prüfungsausschuss (Damen waren damals eher nicht dabei) das nicht bemerkten, weil ihnen 1950, nach 12-jähriger Gehirnwäsche im Dritten Reich, die Distanz fehlte, aus der man vieles klarer sieht.

Virchow, so die Kommission, sei "ein durchaus sozialer Typ" gewesen. "Um auch in dieser Richtung hin ausgleichend zu wirken" wurde dem Antragsteller zur Auflage gemacht (mit 3:2 Stimmen), im Vorspann einen Text einzufügen, "in dem darauf hingewiesen wird, daß Virchow auch im politischen Leben erfolgreich und durchaus fortschrittlich eingestellt war". Dr. med. Hellmuth Unger, früher mal der Propagandist der Euthanasie und der Rassereinheit des deutschen Volkskörpers, hatte das schon vorexerziert. In der entnazifizierten, erstmals 1948 erschienen Fassung von Robert Koch. Roman eines großen Lebens bleibt Virchows "Feindseligkeit" Koch gegenüber weiter unbegreiflich, aber dann folgt ein neuer Satz: "Trotzdem sollte man sich davor hüten, diesen so überragenden Forscher und Charakter irgendwie klein und verzerrt zu sehen, nur weil die gewinnenden Seiten seines Wesens im Alter hinter seiner Unnahbarkeit, seiner Schroffheit und seinem ‚Papsttum’ zurücktraten."

Als alter Skeptiker möchte ich bezweifeln, dass man einen Charakter, den der Film genüsslich in die Pfanne haut, rehabilitieren kann, indem man in den Vorspann schreibt, dass er eigentlich doch ganz okay gewesen sei. Schauen wir uns das genauer an. Koch ist noch Kreisphysikus in Wollstein, wenn er Fritz erklärt, dass die Tuberkulose durch von außen in den Körper eindringende Erreger hervorgerufen wird. Ein Schnitt bringt uns nach Berlin, in die Vorlesung von Geheimrat Virchow. Dort lernen die Studenten etwas völlig anderes (so wie die Schüler in Wollstein dummes Zeug lernen, wenn sie auf den Lehrer hören). Virchow hat aus einer Leiche ein Stück Gewebe entnommen und resümiert: "Auch dieser Fall bestätigt wieder einmal meine Theorie. Krankheit, meine Herren, ist nichts anderes als eine Verfallserscheinung der Zellen. Also: Nicht von außen dringt die Krankheit in den Körper, sondern sie bildet sich durch eine Organänderung im Körper selbst." Dann macht er sich über Zuschriften "von kunstbeflissenen Kollegen aus der Provinz" lustig, die behaupten, dass die Krankheit "auf die Tätigkeit kleiner Tierchen" zurückzuführen sei. "Tierchen", wiederholt er unter dem Gelächter der Studierenden und zeigt sich dabei an die Stirn.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Damit ist ein Grundkonflikt benannt: Gibt es einen von außen kommenden Erreger, der den (Volks-)Körper krank macht oder nicht? Lange, bevor der Streit auf der Handlungsebene entschieden ist, bezieht der Film durch die Inszenierung Position. Jannings füllt schon durch seine Statur und seine Präsenz die Leinwand. Steinhoff verstärkt das (statt es abzuschwächen), indem er ihn häufig im Vordergrund des Bildausschnitts agieren lässt und Nahaufnahmen für ihn reserviert, bei denen die Kamera auf ihn zufährt, damit er noch dominanter wirkt. Krauß, ohnehin deutlich kleiner als Jannings, spielt Virchow als gebücktes altes Männlein. Steinhoff zeigt ihn gern von oben, was ihn noch gnomenhafter erscheinen lässt. Wer wird das Publikum mehr beeindrucken? Der große, energische, raumgreifend agierende Dr. Koch, der jubiliert, weil er beim Blick in sein Mikroskop eine ganz neue Welt entdeckt (die mit den Bazillen, die Hitler in Mein Kampf und in seinen Hassreden mit den Juden gleichsetzte)? Oder ein weißhaariger Zwerg, der die Vorlesung mit Gemeinheiten über jenes Mikroskop beschließt, in das Jannings beim vorbereitenden Besuch des Robert-Koch-Instituts ehrfurchtsvoll geblickt hatte, damit die Presse darüber berichten konnte?

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Diesen Unfug mit der Jagd auf die "Tierchen", sagt Virchow den Studenten, mache er nicht mit: "Wenn jemand unter ihnen anderer Meinung ist wäre es besser, er kaufte sich ein Mikroskop, zöge sich auf sein Zimmer zurück und betrachtete den menschlichen Körper einfach als zoologischen Garten." Virchow meint das abfällig, der Film weniger. Wenn man den menschlichen durch den Volkskörper ersetzt ist man mitten drin in der Rassenideologie der Nazis und in der völkischen Denkungsart, mit dem deutschen Volk als einer erbbiologischen Blutsgemeinschaft. Vom Hörsaal folgen wir Werner Krauß in sein Arbeitszimmer, wo er von Schädeln und Skeletten aus Virchows Privatsammlung umgeben ist, die Ferdinand Sauerbruch zur Verfügung stellte. Dem Film gibt das die Gelegenheit, sich mit seiner Authentizität zu brüsten, aber es geht doch eigentlich nur darum, Virchow als Mann von gestern einzuführen. Kochs Versuchstiere sind das Symbol von Fortschritt und Modernität. Virchows alte Knochen verweisen darauf, dass er selbst schon ein Fossil ist.

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