Vorratsdatenspeicherungsverbot gilt auch für nationale Gesetze

Grafik: TP

Der EuGH stellt auf Vorlagen aus England und Schweden hin klar, dass nicht nur die 2014 für ungültig erklärte EU-Richtlinie Grundrechte verletzt

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Vor über zwei Jahren erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine damals mittels einer Richtlinie geltende EU-Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung für grundrechtswidrig und deshalb ungültig. Die Regierungen einiger Mitgliedsstaaten stellten sich nach diesem Urteil auf den Standpunkt, die Luxemburger Richter hätten sich damit nur auf die EU-Richtlinie und nicht auf nationale Vorratsdatenspeicherungsgesetze bezogen, weshalb diese weiter gelten würden.

Nun stellte der EuGH in einem weiteren Urteil auf zwei Gerichtsvorlagen aus dem Vereinigten Königreich und aus Schweden hin klar, dass auch solche nationalen Verpflichtungen zur "allgemeinen und unterschiedslosen Speicherung von Daten" nicht mit europaweit geschützten Grundrechten vereinbar sind.

Speicherung nur bei konkreter Gefährdung oder konkretem Verdacht auf schwere Straftaten erlaubt

Eine Verpflichtung, Kommunikationsdaten anlass- und verdachtsunabhängig zu speichern, ist nach Meinung der Luxemburger Richter immer unverhältnismäßig, weil sie sich weder auf einen bestimmten Ort noch auf eine bestimmte Person oder eng abgegrenzte Personengruppe beschränkt, bei der ein konkreter Verdacht auf eine schwere Straftat vorliegt - und weil die gespeicherten Daten "sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben" aller Bürger zulassen.

Eine verfassungsgemäße Pflicht zur Kommunikationsdatenspeicherung müsste dem Urteil zufolge einen konkreten Anlass haben, sich auf das für das Erreichen eines konkreten Ziels "absolut Notwendige" beschränken und (außer bei Gefahr im Verzug) von einem Richter genehmigt werden. Außerdem müsste ein gültiges Datenspeicherungsgesetz sicherstellen, dass die gespeicherten Einzelfalldaten nicht missbraucht werden.

Obwohl nur der konservative britische Politiker David Davis (dem im Juli die Führung des neuen Ministeriums für den Austritt aus der EU übertragen wurde) und der schwedische Telekommunikationsprovider Tele Sverige geklagt hatten, könnte das Urteil auch Auswirkungen auf Deutschland haben, wo das Kabinett Merkel 2015 (trotz des EuGH-Urteils von 2014 und einer vier Jahre davor gefällten Ungültigkeitsentscheidung eines ersten Vorratsdatenspeicherungsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht) erneut eine Vorschrift verabschiedete, die die anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten für zehn und die von Standortdaten für vier Wochen vorsieht.

Breyer fordert EU-Kommission zu Vertragsverletzungsverfahren auf

Ende November legten der Verein Digitalcourage und etwa 33.000 Mitunterzeichner Verfassungsgeschwerde gegen diese neue Vorratsdatenspeicherung ein (vgl. Karlsruhe soll Vorratsdatenspeicherung erneut prüfen). Volker Tripp, der politische Geschäftsführer des Vereins meinte heute in einer Stellungnahme zum neuen EuGH-Urteil, die Bundesregierung müsse nun das "entgegen aller Proteste und Mahnungen verabschiedete Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung [...] unverzüglich aufheben und von weiteren Anläufe für anlasslose Datensammlungen endgültig Abstand nehmen."

Auch der an der Verfassungsbeschwerde beteiligte schleswig-holsteinische Piratenparteiabgeordnete Patrick Breyer sieht "Gesetze zur verdachts- und wahllosen Vorratsspeicherung der Kommunikations- und Bewegungsdaten der gesamten Bevölkerung [...] mit dem heutigen Urteil vom Tisch" und verlangt "von der Merkel-Regierung die sofortige Rücknahme des deutschen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung" und von der EU-Kommission die Einleitung von "Vertragsverletzungsverfahren gegen alle EU-Staaten mit solchen Gesetzen".

In Sozialen Medien wird außerdem massenhaft der Rücktritt von Justizminister Heiko Maas gefordert, der für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland verantwortlich zeichnet und in den letzten Tagen mit Bestrebungen zum Aufbau einer "Wahrheitskommission" gegen Fake News auf sich aufmerksam machte.

Internetwirtschaftsverband warnt davor, "Gelder in Millionenhöhe in den Sand zu setzen"

Oliver Süme, der Vorstand Politik und Recht des deutschen Internetwirtschaftsverbandes eco, befindet in seiner Stellungnahme zum Urteil, der EuGH habe seine "wiederholt geäußerten Bedenken bestätigt" und lobt besonders die Klarstellung des Höchstgerichts, "dass eine Verwendung von Vorratsdaten nur zur Bekämpfung schwerer, nicht aber bereits zur Bekämpfung einfacher Kriminalität legitim ist". Das dürfte Politiker enttäuschen, die auf eine Nutzung zur massenhaften Abmahnung von Immaterialgüterrechtsverletzungen oder zur Verfolgung als illegitim angesehener Meinungsäußerungen gehofft hatten.

Auch Süme meint, es sei "äußerst zweifelhaft, ob das deutsche Gesetz zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung in seiner konkreten Ausgestaltung den strengen materiellen und prozeduralen Anforderungen des Gerichtshofs genügt". Nun brauche man "dringend ein Moratorium, um die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zu stoppen", weil die Telekommunikationsunternehmen andernfalls Gefahr liefen, "ein europa- und verfassungsrechtswidriges Gesetz umsetzen zu müssen und damit Gelder in Millionenhöhe in den Sand zu setzen".

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