"Leichte" Märchen, "leichte" Weltpolitik und "leichte" Unterhaltung

Bild: Carl Offterdinger

Wie öffentlich-rechtliche Sender Rundfunkgebühren verwenden

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Im ARD-Sender NDR hatte man eine neue Idee, wie die (für alle Sender zusammengerechnet) jährlich etwa acht Milliarden Euro Rundfunkgebühren ausgegeben werden könnten: Märchen in so genannter "Leichter Sprache". Die sieht man als "Erweiterung" des "barrierefreien Angebots des NDR, bei dem es um Inklusion und Integration geht". "Durch Leichte Sprache", so der Gebührensender in seiner Presseaussendung dazu, "können Menschen mit Behinderung, aber auch solche mit Lese- und Schreibschwäche, Migranten oder ältere Menschen Texte besser verstehen."

Dazu, inwieweit das Angebot angenommen wird, sagt der NDR ebenso wenig etwas wie zur Entscheidung, ausgerechnet Märchen umzutexten: Ältere Menschen dürften sie bereits kennen und Migranten könnten sich durch das, was dabei herausgekommen ist, ähnlich beleidigt fühlen wie kleine Kinder, die die Originalversionen mit Nebensätzen möglicherweise auch deshalb vorziehen, weil sie damit lernen, wie Sprache funktioniert.

"Leichte" Weltpolitik

In den Nachrichten gibt es Märchen in leichter Sprache im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schon länger. Da werden zum Beispiel aus den al-Qaida-Islamisten in Aleppo, die sich erst schwierig in al-Nusra-Front und dann noch schwieriger in Dschabhat Fatah asch-Scham umbenannten, einfach "Rebellen". Auch sonst gibt man sich die Mühe, die Weltpolitik möglichst zu vereinfachen:

Bei der Berichterstattung über komplexe Konflikte lässt man Faktoren wie Geschichte, Sprache, Wirtschaft und regionale Akteure gern beiseite und formuliert lieber "barrierefrei", der russische Staatspräsident Wladimir Putin sei schuld, weil er so böse ist. Ebenso wie Serben, Chinesen und Tabuskeptiker (vgl. Die Verlindenstraßung der Weltpolitik). So wird bei ARD und ZDF die ganze Welt aufgeteilt, als ob man Jacques-Demy-Filme zur "Inklusion" von Farbenblinden in Schwarzweiß ausstrahlen oder Wagner-Opern in einer Zweiton-Inszenierung aufführen würde.

Menschen ohne entsprechende Inklusionsbedürfnisse schreckt so eine Reduktion oft ab. Sie wenden sich von öffentlich-rechtlichen Gebührenmedien ab und anderen Angeboten zu. Das erklärt, warum die Einschaltquoten der Sendungen zum Weichnachtsmarkt-Terroranschlag in Berlin verhältnismäßig schlecht waren, während gleichzeitig Soziale Medien heiß liefen.

"Leichte" Unterhaltung

Ähnlich "leicht" wie die Nachrichten gestalten die Gebührensender ihre Verbrauchershows (in denen man "belegt", wie böse Aluminium ist, indem man ahnungslose Passanten fragt) und ihr Unterhaltungsprogramm, in dem Degeto- und Herzkino-Produktionen häufig wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Schauspieler, Drehbuchschreiber und Produzenten wirken. Auch dieses Unterhaltungsprogramm kommt nicht mehr so gut an, seit man in Deutschland international vergleichen kann und Zugriff auf Angebote wie Netflix hat, wie es Klaus-Jürgen Gadamer in folgendem Märchen-Mashup ohne "leichte Sprache" auf den Punkt bringt:

Jeden Tag schaut der dank GEZ Gewaltige in den Spiegel und fragt:
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Schönste im ganzen Land?
Und das Spieglein antwortet:
Ihr seid der Schönste hier,
aber Netflix ist tausend mal schöner als ihr.

Weil heute (anders als in der Vergangenheit) statt eines Informationsmangels ein Informationsüberfluss herrscht, wird sich möglicherweise auch das Bundesverfassungsgericht einmal mit der Frage beschäftigen, inwieweit technologische Neuerungen das verändern, was "Grundversorgung" ist. Und, ob das Vorhalten von Anstalten, die sich zu Verteilungsnetzwerken entwickelt haben, tatsächlich geeignet, erforderlich und angemessen zur Sicherung solch einer Grundversorgung ist.

Teuer und teilobsolet

Bereits vor zwei Jahren kam ein vom Bundesfinanzministerium in Auftrag gegebenes Expertengutachten zum Ergebnis, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland im internationalen Vergleich extrem teuer und im Internetzeitalter zumindest teilobsolet ist. Deshalb empfahlen die Experten eine Abschaffung des wie eine Wohnungssteuer gestalteten Rundfunkbeitrags und eine Finanzierung aus dem allgemeinen Haushalt oder durch eine "moderne Nutzungsgebühr", die Sender wie Sky, Netflix oder HBO inzwischen etabliert haben. Außerdem sollten öffentlich-rechtliche Anstalten diesem Gutachten nach nur mehr in Bereichen aktiv werden, in denen "das privatwirtschaftliche Angebot klare Defizite aufweist" und "Lücken im Programmspektrum füllen" (vgl. Gutachten empfiehlt Abschaffung des Rundfunkbeitrags).

Rechnet man großzügige 400 Millionen für einen öffentlich-rechtlichen Bildungskanal, der nur diese Aufgaben wahrnimmt, dann wäre eine stattliche Grundversorgung mit einem Fernseh- und drei Radiokanälen schon für deutlich weniger als eine Milliarde Euro zu haben - wodurch die Gebühr von 17,50 monatlich auf 2,20 Euro sinken könnte.

In solch einem Modell müssten die Hauptsender nicht unbedingt abgewickelt, sondern sie könnten privatisiert werden. Doch mit der Privatisierung ist es eine seltsame Sache: In den großen Privatisierungswellen der 1990er und 2000er Jahren wurden zwar reihenweise natürliche Monopole oder andere dafür völlig ungeeignete Objekte wie die Rentenversicherung (teil)privatisiert - aber nicht der Fernsehsender ZDF oder das Programm Das Erste, deren schadlose Privatisierung sich geradezu aufdrängte. Ein Schelm, wer denkt, dies könnte eventuell mit einer mangelnden "Staatsferne" der Angebote zu tun haben.

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