In der Politik ist Panik vor Desinformation ausgebrochen

Bild: Creator-bz/CC BY-SA-3.0

Juncker fordert gemäß der allseits praktizierten Sündenbockstrategie "Glaubwürdigkeit" von Sozialen Medien durch Kontrolle von Manipulationen ein, als ob die Politik selbst ein Hort der Wahrheit und der Fakten wäre

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Man könnte meinen, die deutsche Regierung sehe dem Untergang durch eine Flutwelle an Fake News entgegen, wenn man ungläubig gelesen hat, dass das Bundesinnenministerium ein "Abwehrzentrum gegen Desinformation" plant. Es ist die Rede von einer Bedrohungslage durch Desinformation, weswegen es neben Bundeswehr nebst Cyberkommando, Polizei, Geheimdiensten, Bundesamt für Sicherheit und anderen Sicherheits- und Schutzkräften nun auch ein solches "Abwehrzentrum" im Bundeskanzleramt geben soll, obgleich man mit den öffentlich-rechtlichen Medien doch über mächtige Kommunikationskanäle zur Verbreitung der Wahrheit verfügt. Aber bekanntlich stehen diese selbst mit den anderen großen Medien seit geraumer Zeit ebenso wie die etablierten Parteien in der Kritik, mitunter einseitig zu berichten ("Lügenpresse").

Dass das martialisch benannte "Abwehrzentrum" im Bundeskanzleramt angesiedelt werden soll, hat symbolische Bedeutung. Schließlich verdankt sich die Aufregung vor allem dem Wahlkampf in den USA, wo sich angeblich Moskau eingemischt haben soll und ansonsten - wie eigentlich auch schon früher - lancierte Gerüchte und Kampagnen dem als Populisten bezeichneten Donald Trump zum Sieg verholfen haben sollen. Jetzt fürchten die etablierten deutschen Parteien, allen voran die CDU, die erneut mit Bundeskanzlerin Angela Merkel antreten, dass sie weiter an Wählereinfluss verlieren, während rechte Parteien wie die AfD gerade wegen Merkels anfänglicher Flüchtlingspolitik und der Großen Koalition weiter zulegen könnten. Auch in Europa geht man davon aus, dass Moskau die rechten Parteien wie die AfD, den Front National oder die niederländische PVV unterstützt, um die EU zu schwächen und mehr Einfluss zu erhalten, während die Rechtspopulisten und deren Anhänger ähnlich wie die Trump-Unterstützer und Trump selbst durch Verbreitung von verzerrenden und zuspitzenden, soziale Konflikte schürenden Meldungen und Äußerungen hervortreten, wozu auch Fake News gehören.

Man weiß aber, dass es die Standardargumentation von Politikern ist, wenn sie nicht mit Projekten und Versprechungen erfolgreich sind, die in aller Regel von "Spin-Doktoren" nicht unbedingt wahrheitsgemäß aufbereitet werden, dass man dann nur falsch kommuniziert habe. Eigentlich war alles richtig, die Menschen haben es nur nicht wirklich verstanden, was die Spirale anschiebt, die eigenen Positionen - und natürlich insbesondere Wahlprogramme - noch besser zu "kommunizieren". Daher wird die Konkurrenz zu nicht kontrollierbaren Äußerungen und Parolen in der Öffentlichkeit, heute im Kern im Internet, bedrohlich für Politiker und Machteliten, die nicht von ungefähr daran zweifeln, dass die von ihnen vertretenen "Fakten" und Positionen bei der Mehrheit der Bevölkerung angenommen werden.

Zuletzt hat sich noch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in die Debatte eingemischt und Konzerne wie Facebook oder Google dazu aufgefordert, stärker gegen Falschmeldungen vorzugehen. Twitter nannte er offenbar nicht. Es sei im eigenen Interesse der sozialen Netzwerke, dabei "einen gewissen Ehrgeiz" zu entwickeln, sagte Juncker der WAZ gestern. "Schließlich ist Glaubwürdigkeit ihr wichtigstes Kapital." Glaubwürdigkeit ist freilich auch das Kapital der übrigen Medien und vor allem der Politiker selbst.

Soziale Medien würden einer Selbstverpflichtung unterliegen, Standards einzuführen, mit denen Manipulationen - etwa in Wahlkämpfen - verhindert werden können: "Wir werden genau prüfen, wie das umgesetzt wird." Nun ist immer die Frage, wer definiert, was Falschmeldungen oder Manipulationen sind - und vor allem, wer wen in die Pflicht nimmt.

Manipulationen nur im Hinblick auf Soziale Medien als Problem für den Wahlkampf zu sehen, lässt sich zumindest als einseitig charakterisieren. Bliebe etwa die Frage, ob Soziale Medien auch Politiker in die Schranken weisen müssten, wenn sie über Facebook, Twitter und Co. ihre Parolen wie exzessiv in den USA Donald Trump verbreiten? Siehe etwa: Sollte der Twitter-Account von Trump gesperrt werden? oder Wenn Fake-News und unbeherrscht twitternde Politiker zusammenkommen. Müssten dann nicht auch Politiker angehalten werden, in Interviews, Reden, Talkshows etc. die "Wahrheit" zu sprechen und Halbwahres bzw. Einseitiges, da manipulativ, zu unterlassen?

Die ganze Debatte ist gespenstisch und entlarvt die in gewissen Kreisen herrschende Panik, die auch autoritäre Systeme kennzeichnet. Die Idee jedoch, die Zensur bzw. den fehlenden Willen der Strafverfolgung von privaten Unternehmen ausführen zu lassen, um sich selbst in Unschuld die Hände zu waschen, ist nicht nur scheinheilig und gefährlich, sondern zeigt selbst das Graufeld von politischen Botschaften auf. Zudem wird mit den Warnungen vor Fake-News, Desinformation und postfaktischer Information eine Bedrohungslage aufgebläht, die selbst mit der altbekannten Sündenbockargumentation postfaktisch ist oder eher einer strategischen Kommunikation gleicht, die einen vermeintlichen Gegner groß macht, um von den eigenen Schwächen abzulenken.