Innere Sicherheit: Gabriel sucht die Meinungsführerschaft

Bank der Bundesregierung im Deutschen Bundestag, 2014. Foto : Tobias Koch / CC BY-SA 3.0 DE

Der SPD-Chef will Sicherheitspolitik als "ursozialdemokratisches Thema" prägen. Er fordert einen stärkeren Staat, Gesetzesänderungen und eine umfassendere Bekämpfung der islamistischen Propaganda

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Winterpause, die Amtsgeschäfte ruhen. Über die Hintergründe des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt herrscht Schweigen, konstatierte der Spiegel am Montagmorgen - zu Recht: Es gibt keine Auseinandersetzung der Regierung zu ganz konkreten Fragen, die sich im Fall Amri stellen. Zum Beispiel darüber, wie es dem vorbestraften, als gefährlich eingestuften Gefährder mit Kontakt zu Islamisten gelang, durch so viele Netze zu schlüpfen.

Die Linke zumindest klopft am Iglu der Regierung. Sie beantragt nun eine erneute Sondersitzung des Innenausschusses zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt, nachdem bei der ersten Sondersitzung "nur kalter Kaffee serviert wurde".

Die Bundesregierung solle endlich ihr Wissen über die Hintergründe dieses schrecklichen Anschlages und die Versäumnisse der Sicherheitsbehörden im Umgang mit dem Attentäter auf den Tisch legen, fordert die Innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke.

Innere Sicherheit als Top-Thema in den Parteizentralen

In den Parteizentralen herrscht schon etwas mehr Betriebsamkeit. Sicherheit ist nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt das Top-Thema, das nun in überzeugende Rhetorik gemünzt werden soll, der Wahlkampf geht in die nächste Phase.

Die CSU hat als erste Partei mit einem Papier auf den Berliner Anschlag in der Vorweihnachtswoche reagiert (siehe CSU fordert einen neuen Haftgrund für Gefährder). Nun zieht SPD-Chef Sigmar Gabriel nach. Dem ARD-Hauptstadtstudio liegt ein Papier zur inneren Sicherheit vor mit dem Titel "Zeit für mehr Sicherheit in Zeiten wachsender Unsicherheit". Die Tagesschau veröffentlicht konzeptionelle Eckpunkte und Ideen sowie den Anspruch Gabriels, damit "die Meinungsführerschaft zu übernehmen".

Ob er das schafft, ist nach den Kostproben im genannten Tagesschau-Bericht und einigen wörtlichen Auszügen im ARD-Hauptstadtstudio-Blog nicht einzuschätzen. Die konkreten Vorschläge sind Konsenspolitik: Gabriel schließt sich den Forderungen nach mehr Videoüberwachung an und auch die Abschiebehaft für ausreisepflichtige sogenannte Gefährder gehört zum Katalog. "Auch die SPD sieht gesetzlichen Handlungsbedarf", ist im ARD-Hauptstadt-Blog zu lesen.

Vorgeschlagen wird im Weiteren die Vereinheitlichung aller Daten der Sicherheitsbehörden, eine "neue Definition" der Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz - und eine Reform des Datenschutzes, "damit z.B. die Polizei zur Gefahrenabwehr Lichtbilder aus den Einwohnermeldeämtern schnell und unkompliziert nutzen darf (…)". Auch elektronische Fußfesseln gehörten in die sicherheitspolitische Debatte, zitiert die Tagesschau den SPD-Chef.

Deutlich wird: Die SPD will sich keinen Fall den Schuh anziehen, dass sie sich aus Laxheit gegen Gesetzesänderungen sträubt, die nötig seien, "um auf die neue Sicherheitslage zu reagieren". Danach kommt das Interessantere, die Abgrenzung gegen die anderen, die ganz Ähnliches fordern.

Sicherheit: eine genuin sozialdemokratische Angelegenheit

Gesetzesänderungen reichen nicht, lautet Gabriels Überzeugung und aus dem, was jenseits der Verschärfung von Gesetzen zu tun ist, will der Partei-Chef das Profil des SPD-Wahlkampfes bauen. Er präsentiert Sicherheit als genuin sozialdemokratisches Thema, das mit Verteilungsgerechtigkeit zusammenhängt:

Sicherheit ist ein ursozialdemokratisches Thema. Soziale Sicherheit und Gerechtigkeit kann nur in einer friedfertigen und sicheren Gesellschaft entstehen. (…) Nicht nur in der sozialen Sicherheit, in der Bildungspolitik oder im Wohnungsbau gilt: Nur sehr reiche Menschen können sich einen schwachen Staat leisten. Sie ziehen sich in "gated communities" zurück, wie sie in den Vereinigten Staaten bereits existieren, und finanzieren ihre Sicherheitsdienste ebenso privat wie die Schulen ihrer Kinder, die medizinische Versorgung oder großzügige Villen.

Sigmar Gabriel

Mit einem Ansatz, der ins Soziale investieren will, "die Verteidigung einer Idee vom Zusammenleben in unserer Gesellschaft", sucht er den größeren Maßstab als die Vorschläge aus der Union. Er spricht davon, dass die SPD "gute und lebendige Städte und Gemeinden" schaffen will, "die Beschäftigung sichern, Kultur fördern, soziale Sicherheit gewährleisten und in Bildung investieren".

Das sind ein bisschen platte oder zumindest unausgefüllte Zitate aus einem Wahlplakatarchiv, deren Aufgabe darin besteht, den Unterschied zur Union herauszustellen: Nicht nur für die Sicherheitsarchitektur sollen Finanzmittel mobilisiert werden, sondern auch für die Stärkung des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft.

Sicherheitspolitik im engeren Sinn reicht nicht, lautet die Botschaft. Im größeren Konzept werden zu eng konzipierte Scheinlösungen kenntlich, lautet die Hoffnung. Als Beispiel für eine "Scheinlösung" nennt Gabriel die Forderung nach Transitzonen. Diese "Scheinlösungen" würden den Eindruck staatlichen Kontrollverlustes nur verstärkten, lautet Gabriels Argument.

Null Toleranz gegen Hassprediger

Konkret seien Transitzonen im Kampf gegen den islamistischen Terror nämlich "nahezu wirkungslos". Alle Täter des Jahres 2016 haben sich laut Gabriel "erst nach der Einreise nach Deutschland radikalisiert". Damit sei das Problem "eher ein Terrorismus, der seine Wurzel auch in Deutschland habe".

Zu dessen Bekämpfung will Gabriel stärker gegen radikale Islamisten vorgehen, er spricht von "Null Toleranz gegen Hassprediger" und von der Schließung radikal-islamistischer und salafistischer Moscheen. Da es aber um die Bekämpfung einer Ideologie gehe, reichen polizeiliche und nachrichtendienstliche Mittel nicht aus, es gehe auch um eine kulturelle Dimension.

Deshalb müssen wir der Propaganda und der Ideologisierung der islamistischen Kommunikationszentralen ("Dschihad Valley") endlich etwas entgegensetzen. Es braucht es neben allen gesetzlichen Maßnahmen auch eine große deutsche und europäische Initiative zum Aufbau eines "Free Europe Network", der in den sozialen Medien und Netzwerken gegen diese Propaganda arbeitet und die Informationen, die dort zu finden sind, umfassend nutzt.

Sigmar Gabriel

Das macht wie das weiter oben erwähnte Bild von den "guten und lebendigen Städten und Gemeinden, der Beschäftigungssicherung und der Kulturförderung etc." den Anschein, dass hier vor allem vom Reißbrett gearbeitet wurde. Für Überzeugungsarbeit gegen medial sehr versierte Dschihadisten braucht es mehr als brav geäußerte Absichten.