US-Geheimdienstchef Clapper: "Russland ist eine existentielle Bedrohung"

James Clapper bei der Anhörung vor dem Verteidigungsausschuss

In einer Senatshörung bekräftigten Geheimdienstchefs die Vorwürfe gegen Russland

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Vor dem Zusammenkommen des designierten Präsidenten Donald Trump mit Geheimdienstchefs fand heute eine Anhörung über "ausländische Cyberbedrohungen" im Verteidigungsausschuss des Senats statt. Einberufen hatte sie der republikanische Senator und Ausschussvorsitzende John McCain, der ein bekannter Trump-Gegner ist und für eine Verschärfung des Konflikts mit Russland eintritt. Thema waren natürlich die angeblichen Cyberangriffe Russlands zur Beeinflussung der Präsidentschaftswahl, die Barack Obama, unter starkem Druck stehend seitens der Demokraten, aber auch von Teilen der Republikaner, zu der Bestrafungsaktion Moskaus mit Sanktionen und der Ausweisung von Diplomaten bewogen. Donald Trump gab sich gegenüber den Beschuldigungen skeptisch, der russische Präsident Putin verzichtete auf Gegenmaßnahmen und setzt auf bessere Beziehungen zu den USA unter der Präsidentschaft des amerikanischen Immobilienoligarchen, der seine genaueren Vermögensverhältnisse immer noch nicht offenlegte.

Geladen war James Clapper, der Chef der obersten Geheimdienstbehörde DNI, jene Behörde, die schon länger unter Druck steht. Trump, so Medienberichte, will diese nach 9/11 eingerichtete Behörde reformieren, weil sie zu sehr "politisiert" sei, er will aber angeblich auch die übrigen Geheimdienste verändern und verschlanken. Allerdings hatte er vor der Anhörung noch schnell erklärt, die Medien würden lügen, dass er die Geheimdienste nicht achte, er sei hingegen ein "großer Fan".

Clapper gab zusammen mit Admiral Michael Rogers, dem NSA-Direktor und Kommandeur des Cyberkommandos, und Marcel Lettre, Unterstaatssekretär für Geheimdienste im Pentagon, eine gemeinsame Erklärung ab. Darin wird versichert, dass die Geheimdienste immer wichtiger würden, vor allem im Hinblick auf Cyberbedrohungen, die ein "wachsendes Risiko für die öffentliche Sicherheit" seien. Zwar würden sich auch die Cyber-Abwehrmaßnehmen verbessern, aber Hacking aus der Ferne werden noch auf Jahre hinaus nahezu alle Systeme bedrohen: "Die Cyberbedrohung kann nicht eliminiert werden", sie müsse gemanagt werden. Clapper wurde allseits bekannt, als er 2013 gegenüber Abgeordneten in einer Anhörung log, die NSA würde keine Amerikaner abhören. Das würde höchstens zufällig, nicht aber absichtlich geschehen. Später räumte er nicht ein, dass er gelogen hatte, sondern versuchte sich damit herauszureden, dass er einen "Fehler" begangen habe.

Gegner der USA hätten die Fähigkeiten, die kritische Infrastruktur sowie das "Internet der Dinge" anzugreifen, auch Fahrzeuge und medizinische Geräte hätten Sicherheitslücken. Verwiesen wird auf die Ukraine, wo Hacker Ende 2015 Teile des Stromnetzes lahmlegten, oder auf Großbritannien, wo durch eine Schadsoftware ein Krankenhaus so betroffen wurde, dass Eingriffe nicht mehr staffinden konnten und Patienten verlegt werden mussten. Gegner würden nicht nur die amerikanische Wirtschaft angreifen, um Daten zu stehlen, sondern würden auch Waffensysteme ausspionieren.

Bedroht sei durch Informationsoperationen und Manipulationen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure auch die Gesellschaft mit "psychologischen Folgen", weil dadurch "Verwirrung und Misstrauen" gestiftet werden könne. Auf die angebliche russische Einflussnahme wird so verwiesen, dass Information, die durch Cyberspionage gewonnen wurde, ganz oder teilweise verändert geleakt werden könne: "Russische Akteure haben gefälschte Informationen in Soziale Medien, News-Feeds und Websites eingebracht, um Zweifel und Verwirrung zu stiften, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben und zu versuchen, westliche Regierungen zu schwächen, indem sie als inhärent korrupt und dysfunktional dargestellt werden."

Mehr als 30 Staaten würden "offensive Cyberangriffskapazitäten" entwickeln. Das würde vornehmlich am Beginn von Konflikten wichtig werden. Wieder wird auf die Russen verwiesen, die öffentlich gesagt hätten, dass in künftigen Kriegen zunächst Angriffe über Informationsnetzwerke gemacht würden, um den Gegner zu schwächen. Cyberwar-Kapazitäten könnten dazu führen, dass Gegner präventiv zuschlagen und sich eine Krise schnell verschärft. Angriffe würden Gegenangriffe von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren provozieren, deren Unterschied in einem Cyberwar verschwimme. Der Schutz der Infrastruktur werde zu einem "zunehmend komplexen Aufgabe der Nationalen Sicherheit". Implizit gesagt, die Geheimdienste bleiben nicht nur unverzichtbar, sie werden wichtiger und dürfen nicht verkleinert werden.

Russland wird als primäre Bedrohung der USA wegen eines "weit fortgeschrittenen offensiven Cyberprogramms und ausgeklügelter Taktiken, Techniken und Verfahren" dargestellt. In den letzten Jahren habe Russland mit Cyberoperationen immer aggressiver alle möglichen Organisationen und Systeme angegriffen. Manchmal würden russische Geheimdienstmitarbeiter sich hinter falschen "Online-Personen" verstecken, um die Zurückverfolgung eines Angriffs zu erschweren. Und dann kommt die klare Ansage:

Wir bekräftigen, dass nur höchste russische Regierungsvertreter die kürzlich erfolgten, mit der Wahl zusammenhängenden Datendiebstähle und Veröffentlichungen aufgrund des Ausmaßes und der Problematik der Ziele befohlen haben können. Russland hat auch Cybertaktiken und -techniken eingesetzt, um die öffentliche Meinung in Europa und Eurasien zu beeinflussen.

Gemeinsames Statement

Russland, so wird gewarnt, werde auch weiterhin mit Cyberoperationen die USA angreifen, um Informationen zu sammeln, die Entscheidungsfindung der Russen zu unterstützen, Beeinflussungsoperationen für militärische und politische Zwecke ausführen und den Cyberraum für künftige Krisen vorzubereiten. Das ist allerdings wenig spezifisch für Russland, sondern das betreiben die Amerikaner ebenso wie andere Staaten mit größeren Geheimdiensten und Cyberkommandos. Gewarnt wird allgemein vor vorhandener "disruptiver Technik", die von vielen Seiten entwickelt und eingesetzt wird. Hervorgehoben wird natürlich, dass die Geheimdienste und das Cyberkommando für "wirksame Optionen für operationelle Cyberreaktionen auf Bedrohungen von US-Interessen" gesorgt haben, weswegen es wichtig sei, die Mittel und die Befugnisse zu haben, um damit erfolgreich zu sein.

Der Ausschussvorsitzende John McCain, der für stärkere militärische Reaktionen gegen Russland wirbt.

McCain wollte die russischen Cyberaktivitäten als kriegerischen Akt darstellen

Im Hearing, das offensichtlich die Front gegen Russland und gegen Trump stärken sollte, erklärte Clapper, es mache einen Unterschied, ob man skeptisch gegenüber Erkenntnissen über die Aktivitäten Moskaus ist oder ob man sich verächtlich über die Geheimdienste äußert. Er versprach, dass der von Obama angeforderte Bericht der CIA, des FBI und der NSA, der Obama am Donnerstag vorgelegt wurde, in seiner öffentlichen Version nächste Woche dem Kongress und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde. Es gebe mehrere offene und geschlossene Anhörungen in beiden Häusern, man werde aber in der öffentlichen Version möglichst weit gehen, ohne allerdings wichtige Quellen und Methoden offenzulegen. Clapper versicherte, sein Standpunkt sei noch fester geworden, dass die Entwendung der Emails und deren Veröffentlichung von höchster Stelle in Moskau angeordnet wurden. Man wird darauf gespannt sein, wie das belegt werden kann. Das Hacken sei nur ein Teil der Aktionen gewesen, meinte er, der andere sei klassische Propaganda und Desinformation gewesen. Dass Russland die Wahlergebnisse manipuliert habe, dafür gebe es keine Hinweise, Russland sei aber eine "existentielle Bedrohung" für die USA.

McCain, der gerade in Ukraine, Georgien und den baltischen Staaten war und weiter den Konflikt gegen Russland schürt, nutzte die Gelegenheit, trotz der späten Entscheidung von Obama noch einmal dessen Regierung wegen deren "Unentschlossenheit und Inaktivität" zu rügen. Das habe es ermöglicht, die USA angreifen zu können, ohne Folgen befürchten zu müssen. Die Gegner seien zur Überzeugung gekommen, "dass der Gewinn eines Angriffs auf Amerika im Cyberspace die Risiken überwiegt". Auch der republikanische Senator Lindsey Graham warf Obama vor, nicht hart genug zurückgeschlagen zu haben.

Zu erwarten war, dass erklärt wurde, man dürfe Assange nicht glauben. Dem schlossen sich nach einer Feststellung von McCain auch Clapper und Rogers an. McCain wollte aus den Geheimdienstchefs herauskitzeln, dass die angeblichen russischen Angriffe ein kriegerischer Akt gewesen seien, diese hielten sich hier jedoch zurück. Clapper meinte, dies zu beurteilen sei nicht die Aufgabe der Geheimdienste.

Trump selbst hat auf die Anhörung noch nicht reagiert. Er wird heute die Geheimdienstchefs empfangen. Dafür wurde bekannt, dass er den früheren Senator Dan Coats als Nachfolger von Clapper nominieren will. Er war unter George W. Bush Botschafter in Deutschland.