Das neue kapitalistische Mittelalter

Palazzo Salimbeni in Siena, Hauptsitz der Bank Monte dei Paschi di Siena. Bild: Tango7174 / CC-BY-SA-4.0

Das mittelalterliche Ideal der Universalität der christlichen Religion kehrt als Ideologie der Globalisierung des Finanzmarktes zurück

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Die neue Weltordnung nach dem Jahr 1989 hat sich in Form einer Refeudalisierung der kapitalistischen sozialen Beziehung im Rahmen eines einheitlichen globalen Raums strukturiert, der als die Verwirklichung des "neuen Mittelalters" bezeichnet werden könnte, das Alain Minc 1993 in seiner Studie Le nouveau Moyen Âge vorausgesehen hat.

Im neuen historischen Kontext weist die soziale Form des Klassismus in der Tat starke und beschämende Analogien mit der feudalen Struktur auf: Die von den Beherrschten passiv erlittene Unterdrückung erreicht mit der Wiedereinführung der Corvée (Praktika, vermeintliche Freiwilligenarbeit nach dem Modell der Mailänder Expo, angebliche Part Time Jobs, Mini-Jobs, etc.), mit der Neupositionierung des Knechtes als flehendes ("prekär", von Prex, das "Gebet") und nicht als forderndes Individuum und mit der Neudefinierung des Herrn als Dominus absolutus, als losgelöster Lehnsherr und autokratischer Entscheider, eine außerordentliche Intensität.

Über den herkömmlichen politischen Kräften, die letztendlich von deren Willen abhängen, verwalten die globalen Finanzeliten souverän die neue refeudalisierte Weltordnung der entpolitisierten Wirtschaft und des Heiligen Römischen Reiches der Finanzmärkte.

Das mittelalterliche Ideal der Universalität der christlichen Religion taucht, mutatis mutandis, wieder als Ideologie der Globalisierung des Finanzmarktes auf.

Außerdem weist auch das heutige Heilige Römische Reich wie das Mittelalter eine dreigeteilte soziale Struktur auf. Die neuen Oratores sind der journalistische Regelklerus, der Medienzirkus und die akademische und intellektuelle Weltgeistlichkeit. Sie liefern den ideologischen Rahmen für die Verherrlichung des Absoluten, das nicht mehr mit dem himmlischen Gott übereinstimmt, sondern mit dem immanenten Monotheismus der Produktion, des Tausches und des Umlaufs, den die neoliberistischen Moralpredigten als die beste aller möglichen Welten oder auf jeden Fall als die einzig mögliche.

Die neuen postmodernen Bellatores (Adel) werden hingegen von den Finanzoligarchien und der postbürgerliche Klasse der glücklich verallgemeinerten Gewissenlosigkeit dargestellt. Zu Recht können sie als postmoderne Bellatores bezeichnet werden, da sie zum einen jenen Finanzterrorismus und jene wirtschaftliche Gewalt fördern, die "Wirtschaftsmorde", regelrechte Massaker von Arbeitern, Kleinunternehmern und Mitgliedern der ehemaligen Mittelklasse verursachen; und zum anderen die militärische Aggression jeder Region der Welt begünstigen, die dem Wirtschaftsintegralismus noch standhält (ethische Bombardierungen, humanitärer Interventionismus, therapeutische Embargos, etc.).

Schließlich entsprechen die neuen Laboratores (Bauern/Bürger) den Massen von migrierenden Arbeitern und Leiharbeitern, die nicht nur gezwungen werden, immer erbärmlichere Bedingungen und eine immer schamlosere Unterwürfigkeit zu akzeptieren, sondern auch eine Abhängigkeit dulden müssen, die sich täglich verschlimmert und immer mehr der einstigen feudalen Knechtschaft gleicht.

Die Flexibilisierung der Massen, die heute im Gange ist, bringt eine gewaltige, postmoderne und migrierende Plebs hervor, die aus Telefonisten und Forschern, Arbeitern und Pflegern, Praktikanten und Lohnarbeitern besteht, sprich aus Figuren, zwischen denen zwar Welten liegen, die aber trotzdem in der Erpressung von Mehrwert und der Erbringung von abrufbarer, flexibler und befristeter Mehrarbeit geeint sind. Also willkommen im Mittelalter!

Übersetzung Jenny Perelli

Diego Fusaro, 1983 in Turin geboren, lehrt Philosophie an der Mailänder Universität. Als unabhängiger Freidenker, intellektueller Dissident, der politisch weder rechts noch links anzusetzen ist, verblüfft er seit geraumer Zeit ganz Italien mit seiner eigenwilligen, neoidealistischen Auslegung des Marxschen Gedanken. In seinen Büchern beschreibt er die Widersprüche des Systems und des Lebens des postmodernen Menschen. Fusaro betreibt die Website filosofico.net.