Pilgerfahrt durch die Welt des islamischen Mittelalters

Foto: Imre Solt. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Erich Follath über Ibn Battuta, den "König aller Reisenden"

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Ibn Battuta wird als der "Marco Polo des Orients" gehandelt. Der Mann aus Tanger bereiste im 14. Jahrhundert weite Teile der damals bekannten Welt, seine 30-jährige Odyssee führte ihn von Marokko über Mekka, Konstantinopel und die Krim bis nach Samarkand, Indien, Indonesien und China. Das einigende Band der von ihm bereisten Länder war der Islam, den Ibn Battuta in seinen Schriften als Religion des Fortschritts und der Toleranz schildert.

700 Jahre nach Ibn Battuta hat sich Erich Follath auf die Spuren des "Königs aller Reisenden" begeben und begegnet einer fundamental veränderten islamischen Welt: An zwölf Orten, die Ibn Battuta wichtig waren und die immer noch einen besonderen Klang haben, zeigt Follath eindrucksvoll, wo die islamische Welt heute steht, mit welchen Problemen sie kämpft und welche Herausforderungen sie zu bewältigen hat. Sein Buch ist eine Spurensuche nach einer der geheimnisvollsten Persönlichkeiten des Mittelalters, eine Nachforschung, die alte Stätten und aktuelle Brandherde der Politik erklärt und dem Leser faszinierende Einblicke in Geschichte und Gegenwart der islamischen Welt eröffnet.

Herr Follath, der aus dem marokkanischen Tanger stammende Ibn Battuta brach im Alter von 21 Jahren zu einer Pilgerfahrt nach Mekka auf. Statt zurückzukehren, reiste er immer weiter - bis nach Indien und über die Malediven auf dem Seeweg nach China. Ca.120.000 Kilometer legte er dabei zurück, zu Fuß, auf Schiffen, er durchquerte Wüsten und Gebirge. Eine Leistung, die selbst die Expeditionen des Marco Polo übertraf. Sie haben innerhalb eines Jahres die wichtigsten Stationen des Ibn Battuta besucht und in Ihrem neuen Buch "Jenseits aller Grenzen" darüber berichtet. Was hatte Sie bewogen, rund sieben Jahrhunderte nach dem Tode Battutas auf dessen Spuren zu wandeln?

Erich Follath: Während meiner jahrzehntelangen Reisen um die Welt stieß ich immer wieder auf eine Figur, von der - vor allem im arabischen Raum - erzählt wurde: Es handelte sich um Ibn Battuta. Dann hatte mein langjähriger Freund und Kollege Peter Scholl-Latour immer Ibn Battutas Werk "Rihla" bei sich auf Reisen. "Rihla" bedeutet auf Deutsch "Die Reise", es handelt sich um seine Lebenserinnerungen und Reiseberichte. Dadurch wurde ich neugierig, besorgte mir das Werk und war begeistert.

Ende 2014 entschied ich mich dafür, mich für ein Jahr auf die Spuren Battutas zu begeben. Die gesamte Reiseroute wäre in einem Jahr nicht zu bewältigen gewesen, schon aufgrund der aktuellen politischen Lage in einigen der Länder. So entschied ich mich für 12 Reiseziele in zwölf Ländern für zwölf Monate im Jahr 2015. Von Marokko bis China.

Umma vs. Nationalstaaten

Battuta bereiste die damalige islamische Welt in ihrer extremsten geographischen Ausdehnung. Sind Sie auf Ihrer Reise noch der Welt Battutas begegnet, wie er sie zu seiner Zeit beschrieben hatte. Gab es noch Spuren dieser Epoche - oder ist sie restlos untergegangen?

Erich Follath: Die Lebenszeit Ibn Battutas war eine aufregende Epoche, in der alles in Bewegung war, gesellschaftliche Strukturen, ebenso wie Politik, Waren und Menschen. Eine globalisierte Welt, die durch die Vorherrschaft einer Religion so entstanden war, des Islam. Die Welt Battutas gibt es noch - besonders die Städte die er bereiste, von denen er fasziniert war, viel größer als damals natürlich.

Ich hatte es heute natürlich aufgrund des technischen Fortschritts wesentlich leichter, die Reise zu absolvieren.

Gleichwohl benötigte ich für den Besuch meiner zwölf Städte in zwölf Staaten elf Visa, während Battuta eine Welt vorfand, die islamische Welt, die Umma, die grenzenlos war, im wahrsten Sinne dieses Wortes.

Um aber auf Ihre Frage zurückzukommen: Natürlich bin ich der Welt Battutas begegnet, in Form des grandiosen architektonischen Erbes, der uralten Überlieferungen, der ethnischen und sozialen Vielfalt. Ich reiste durch eine globalisierte islamische Welt, ebenso wie Ibn Battuta zu seiner Zeit.

In unserer globalisierten Welt von heute, die sie gerade erwähnten, werden gerade bei uns im Westen, teilweise sogar innerhalb der EU, wieder neue Grenzzäune errichtet. Grenzzäune, die Sie auch bei Ihrer Reise durch die islamische Welt überwinden mussten. Ist unser Zeitalter, der digitalisierten und globalisierten Welt möglicherweise nicht so fortschrittlich, wie wir gerne glauben möchten - auch gerade im Vergleich zur Zeit Ibn Battutas?

Erich Follath: Wir stellen fest, dass heute fast täglich irgendwelche Drahtzäune aufgestellt werden. Das Mittelalter, also das Zeitalter Battutas (welches wir aus europäischer Perspektive - nicht zu Unrecht - als düstere Epoche betrachten), war damals in der Welt des Islams eine nahezu grenzenlose Welt - und das Gefühl einer Gemeinschaft herrschte vor. Battuta hätte sich wahrscheinlich nicht als Bürger Tangers definiert, sondern als Weltbürger, als Bürger der islamischen Gemeinschaft, was in etwas das Gleiche für ihn bedeutet hätte.

Inwieweit unterscheidet sich die Welt des Islam von heute von der Welt des Islam zur Zeit, als Ibn Battuta zu seiner Reise aufbrach?

Erich Follath: Wenn man sich die islamische Welt heute anschaut, so ist diese in sehr viele verschiedene Bestandteile zerfallen ist.

Gerade in der arabischen Welt gibt es viele Militärdiktaturen, die den Islam bekämpfen - neben religiösen Diktaturen, sogenannten Gottesstaaten, die ebenfalls ihre Bürger unterdrücken. Das gemeinsame Band des Islam, wie es Battuta vorfand, scheint zerrissen.

Im nichtarabischen schiitischen Iran halten viele Bürgen ihren "Gottesstaat" für gescheitert.

Dann Saudi-Arabien, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

Sie haben also nicht nur "eine Welt des Islam" vorgefunden?

Erich Follath: Nein. Von Marokko über Ägypten, von der arabischen Halbinsel zum Iran, von Indien, über Indonesien nach China, fand ich nicht "eine" Welt des Islam vor, wie noch zu Zeiten Battutas, sondern Welten. Bunte, vielschichtige, aber auch problematische Welten. Die weltweite Glaubensgemeinschaft der Muslime - die Umma, wie sie Battuta vorfand - existiert zwar noch, aber sie hat sich über die Jahrhunderte diversifiziert, sie hat auch an Bedeutung verloren. Persönlich betrachte ich diese geschilderte Vielfalt als Chance.

Fundamentalistisch, puristisch, antipluralistisch

Sie erwähnten gerade Saudi-Arabien. Salman Rushdie äußerte einmal in einem Interview: "Mithilfe des enormen Wohlstands, den unsere Petro-Dollars brachten, haben die Saudis ihre sehr fundamentalistische Version des Islam verbreitet, die zuvor innerhalb der islamischen Welt nur den Status einer Art Sekte besaß. Dadurch - durch die Verbreitung der saudischen Form - hat sich die ganze Natur des Islam zum Nachteil verändert!" Haben Sie das auch festgestellt und teilen Sie Rushdies Einschätzung, was die Mitverantwortung des Westens angeht?

Erich Follath: Die Ausbreitung der saudischen Form des Islam, des Wahhabismus, war nicht zu übersehen. Die fundamentalistische, puristische, antipluralistische Hauptströmung des Islam in Saudi-Arabien hat die Natur des Islam in der Tat zum Nachteil verwandelt. Und natürlich trägt der Westen eine Mitverantwortung daran, durch seine Bündnispolitik. Allerdings habe ich auch in der islamischen Welt zahlreiche Bemühungen festgestellt - gerade im volkstümlichen, ländlichen Islam Ägyptens oder auch anderswo - diese Tendenzen zu verhindern.

Sie traten Ihre Reise auf den Spuren Ibn Battutas zu einer Zeit an, in der im Westen die Ablehnung gegenüber Muslimen und dem Islam wächst. Zu einer Zeit, wo Terror, Bürgerkriege und Staatszerfall den Alltag des Nahen und Mittleren Ostens prägen. Gibt es etwas im Vermächtnis Ibn Battutas, das für die aktuelle Diskussion von Nutzen wäre?

Erich Follath: Eine interessante Frage. Im Herbst vergangenen Jahres waren fast zwei Drittel aller deutschen Nichtmuslime einer Umfrage nach der Meinung, der Islam passe nicht in die westliche Welt. Gleichzeitig erkennen 90% der Muslime in Deutschland die Demokratie als beste aller Regierungsform an.

Viele Europäer scheinen im Zeitalter von islamistischen Terror nicht mehr zwischen Islam und Islamismus unterscheiden zu wollen.

Somit teilen diese Europäer unbewusst die Auffassung der Islamisten, die diesen Unterschied ebenso wenig anerkennen.

Nicht die Stärke des Islam, sondern die Schwäche des Abendlandes

Ihr Freund und Kollege Peter Scholl-Latour sagte einmal "Ich fürchte nicht die Stärke des Islam, sondern die Schwäche des Abendlandes."

Erich Follath: Das ist richtig, dieser Trend wird verstärkt von Pauschalurteilen und Verdächtigungen, womit die notwendige kritische Auseinandersetzung mit dem Islam mancherorts zu einem Amoklauf gegen diese Religion wird. Aber selbst wer im Westen den Islam für den Feind hält, kommt nicht um die Tatsache herum, dass irgendwann Mitte dieses Jahrhunderts der Islam die zahlenmäßig stärkste Religionsgemeinschaft sein wird.

Das wird kein monolithischer Block sein, wie Islamfeinde fürchten und Islamisten erhoffen, sondern, wie heute auch schon, eine Welt der ausgeprägten Verschiedenheit, der Vielfalt der Traditionen und Glaubensformen. Diese islamische Welt steht in diesen Tagen an einem Scheideweg. Der Kampf um die Deutungshoheit zwischen Reformern und Fundamentalisten eskaliert. Dieser Kampf ist bisher noch nicht entschieden.

Der britische Schriftsteller V.S. Naipaul bereiste 1981 die vier größeren nicht arabischen Staaten der islamischen Welt: Iran, Pakistan, Malaysia und Indonesien. In seinem Buch "Among the Believers" veröffentlichte er anschließend einen politischen Reisebericht. Auch Ibn Battuta reiste über die arabische Welt hinaus - wie auch Sie, auf seinen Spuren. Denken Sie, dass sich das Zentrum der islamischen Welt von den arabischen Staaten entfernen wird, aufgrund deren aktueller Wirren und Probleme, hin nach Indonesien beispielsweise?

Erich Follath: Das ist gut möglich. Indonesien ist das Land mit der größten Bevölkerung in der islamischen Welt. Ich habe dort sehr hoffnungsvolle Ansätze beobachtet, politische Systeme zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Bevölkerung nach Freiheit und Sicherheit entgegenkommen, aber auch nach freier Ausübung der Religion. Möglicherweise kommen die Impulse zur Erneuerung und zu Reformen von außerhalb der arabischen Welt. Dort besteht das Hauptproblem darin, dass man häufig der Meinung ist, der Koran dürfe auf keinen Fall interpretiert werden.

In Indonesien finden freie und faire Wahlen statt, eine demokratische Ordnung behauptet sich gegen islamistische Tendenzen.

Indien sei auch erwähnt, wo die Muslime nur eine Minderheit stellen, aber doch weit über 100 Millionen Menschen zählen.

Wäre Ibn Battuta heute eine Zielscheibe von Islamisten und Islamfeinden?

Erich Follath: Mit Sicherheit. Islamfeinde im Westen und Islamisten hätten sowohl seine differenzierte Betrachtungsweise als auch seine Bildung und Weltgewandtheit als Provokation empfunden.

Was ist das Vermächtnis dieses Mannes - und könnte sein Werk heute zum Verständnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen beitragen?

Erich Follath: Ibn Battuta wurde zum Prototyp eines Reisenden, wie er in den darauf folgenden Jahrhunderten immer wieder auftauchte, bis in die heutige Zeit. Er machte einen Pilgerfahrt durch die Welt, inspirierte künftige Globetrotter, brachte seine Leser zum Staunen, seine Feinde zum Schäumen. Noch nicht im Westen (aber doch in der Welt der Muslime) ist er inzwischen zu einem literarischen und historischen Fixstern geworden. Eine Inspiration für Forscher, Reisende, Sinnsuchende. Das ist das wahre Vermächtnis des Ibn Battuta.

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