Deir ez-Zor: Über 100.000 Bewohner und syrische Armee vom IS eingekesselt

Zerstörtes syrisches Flugzeug bei Deir ez-Zor. IS-Propaganda-Material, Amaq

Auch russische Luftangriffe führen bisher nicht zu einer Wende der militärischen Lage

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Es dauert, bis der IS in das Schicksal einwilligt, das ihm viele zu Beginn der Mosul-Offensive - die mit der Ankündigung verbunden war, dass auch Rakka demnächst eingenommen würde - voraussagten: Das Ende des Kalifats lässt auf sich warten. Die Gegenwehr des IS ist beträchtlich.

Im Osten Syriens, in Deir ez-Zor, bereiten IS-Milizen der syrischen Armee ernsthafte Schwierigkeiten. Am Wochenende begannen sie mit Angriffen, die dazu führten, dass der Militärflughafen umzingelt ist, die Versorgungsstraße zwischen dem Flughafen und der Stadt vom IS kontrolliert wird und damit die Stadt wie auch eine Armeebasis abgeschnitten ist (siehe Karte). Eine strategisch wichtige Erhöhung, der Jebel Tharda, ist ebenfalls von IS-Milizen besetzt.

Versorgung ausgesetzt; Befürchtungen eines Massakers

Trotz der russischen Luftangriffe sieht die Situation nicht gut aus für die syrischen Truppen und vor allem nicht für 100.000 bis 150.000 Einwohner der Stadt. Seit etwa drei Jahren (April 2014) bildet sie eine Enklave in einem Gebiet, das vom IS beherrscht wird. Ihre Versorgung hing seit langem vom Militärflughafen ab.

Nun droht der Bevölkerung eine Versorgungsnot und die Eroberung durch IS-Milizen. Was die syrische Armee betrifft, so taucht auf den Twitter-Accounts von Beobachtern das Schreckenswort vom "Speicher-Massaker" auf. Dieses ereignete sich im Juni 2014, als der IS in Tikrit bis zu 1.700 schiitische Rekruten mit unglaublicher Brutalität niedermetzelte.

Das World Food Programme teilte am Dienstag, den 17. Januar, mit, dass es wegen der schweren Kämpfe die Abwürfe von Versorgungspaketen aus der Luft einstweilen aussetze. Seit April habe man in 177 Abwürfen die Versorgung von 110.000 Bewohnern unterstützt. Seit Sonntag sei die Operation eingestellt.

Ein Haus und eine Frau für die IS-Kämpfer

Angeblich kämpfen rund 14.000 Milizen auf der Seite des IS, berichtet al-Masdar-News. Nach Informationen der regierungsnahen Publikation soll der IS jedem Kämpfer, der an der "Schlacht von Uhud" teilnimmt, ein Haus und eine Frau versprochen haben.

Der Name "Schlacht von Uhud", den der IS der Militäroperation angeblich gegeben hat, geht auf einen Angriff des Stammes der Quraisch aus Mekka auf Medina im Jahr 625 zurück. Dort hielten sich die Muslime unter Führung des Propheten Muhammed auf. Laut Wikipedia wird mit der Schlacht gegen die feindlichen Mekkaner "Heimsuchung, Unglück und Prüfung" verbunden.

Gegenwärtig liegt das Interesse des IS darin, seine Stellung in Syrien zu konsolidieren, um sich auf die ausstehende Niederlage im Irak vorzubereiten und um grenznah einen Stützpunkt in Syrien zu haben, wohin IS-Mitglieder aus dem Irak flüchten können. Kolportiert wird, dass sich wichtige IS-Führungsmitglieder im Irak aufhalten. Deir ez-Zor stellt eine wichtige Verbindung zum Irak und nach Rakka dar.

Bereits im Dezember 2014 versuchte der IS den wichtigen Militärflughafen bei Deir ez-Zor einzunehmen. Die Stadt, von denen größere Teile durch die syrische Armee geschützt werden, wurde schon länger umzingelt. 2014 sollen noch 300.000 dort gelebt haben. Viele flüchteten in sicherere Zonen mithilfe der syrischen Armee.

US-Fehler im Kampf gegen den IS in Deir ez-Zor

Die breite Öffentlichkeit hierzulande nahm während der von großer Medienaufmerksamkeit begleiteten Kämpfen um Aleppo im vergangenen Jahr kurz Kenntnis von Deir ez-Zor, als ein Angriff der USA auf syrische Truppen auf der Tharda-Erhebung im September erheblich mit dazu beitrug, dass der Waffenstillstand beendet wurde und die angekündigte Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA scheiterte.

Die USA sprachen damals offiziell von einem Versehen (vgl. USA scheinen sich in Syrien gefährlich zu verheddern). Russland und Syrien waren hier ganz anderer Auffassung, da der IS dadurch erhebliche militärische Vorteile erlangte. Sie warfen den US-Militärs Absicht vor, zumal diese behaupteten, dass sie das Gebiet vor dem Angriff genau beobachtet hätten. Während des Angriffes waren sie trotz einer Telefonverbindung zwischen US-Militärvertretern und russischen Militärvertretern nicht erreichbar.

Zum Abschied der US-Regierung unter Obama häufen sich in amerikanischen Publikationen Berichte, die bestätigen, dass die scheidende Regierung den IS lange gewähren ließ, um damit Assad zu schwächen und letztlich zum Rücktritt zu treiben.

Auch Außenminister Kerry bestätigt dies mit dezidierten Aussagen. Gut möglich, dass zumindest Teile des US-Militärkommandos diese Strategie bis zuletzt verfolgten. Anfang Januar wurde durch Luft-Angriffe der US geführten Koalition ein Kraftwerk zerstört, das für die Energieversorgung in der Provinz Deir ez-Zor zuständig war.