Atom-Frankreich versucht Blackout abzuwenden

Solarkraft auf dem Balkon statt Atomkraft. Bild: R. Streck

Wegen der herrschenden Kälte fordert der staatliche Atomversorger EDF die Bürger zum Stromsparen auf

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Wenn es so kalt in Europa wird, wie es früher eigentlich üblich war, dann wird es im Atomstromland Frankreich eng bei der Stromversorgung. Schon im Februar 2012 war mit einem Blackout gerechnet und mit Notmaßnahmen reagiert worden. Soweit ist es (noch) nicht, doch der große Atomstromversorger EDF, an dem der Staat mit 85% beteiligt ist, versucht nun schon – anders als 2012 – präventiv zu agieren.

So fanden heute die EDF-Kunden in ihrem Email-Postfach eine Mail, in der der größte Stromanbieter von der "Kältewelle" warnt und die Bürger zu "Energiesparmaßnahmen" auffordert. In dem Schreiben werden die Bürger, die meist mit Strom ihre schlecht gedämmten Wohnungen heizen, aufgefordert, die Wohnung nicht über 19 Grad zu heizen. Gesprochen wird dabei aber von einem "effektiven Heizen".

Zudem werden die Menschen aufgefordert, die Rollläden oder Fensterläden zu schließen, um die Wärme im Inneren zu halten. Das macht natürlich nur Sinn, weil viele in Frankreich noch immer kein Isolierglas in den Fenstern haben. Für die, die gut isolierte Fenster haben, ist der Rat bei dem eitlen Sonnenschein, der auch in Frankreich gerade meist herrscht, tagsüber sogar kontraproduktiv. Denn damit wird die wärmende Sonne ausgesperrt und es muss Licht eingeschaltet werden.

Doch das sollen die Menschen beim Verlassen des Raums ausschalten. Nun werden die Franzosen plötzlich auch angehalten, "Energiesparlampen zu nutzen". Wobei hier als Beispiel keine LED zu sehen sind, sondern die üblichen "Sparlampen". Durch ständiges Ein- und Ausschalten geben die aber gern schnell den Geist auf. Was der EDF sonst hilft, den Franzosen ihren Atomstrom anzudrehen, soll nun abgestellt werden: "Elektrogeräte wie Computer, Fernseher" sollen vom Netz getrennt werden. "Wasch- und Spülmaschinen sollen vorrangig nachts" benutzt werden, wenn die Industrie und die Büros gerade keinen Strom brauchen.

Asier Berra, der in einem Altbau in französisch-baskischen Hendaye wohnt, ist entsetzt, wenn er daran denkt, dass seine Nachbarn diesen Rat befolgen und er um seine Nachtruhe gebracht wird. "Hier hört man alles und in der Nacht besonders stark", erklärt er gegenüber Telepolis.
Er hält nichts von den Ratschlägen und hatte erwartet, dass Präsident Hollande die Energiewende vorantreibt, wie er es versprochen hatte. "Ich werde keine Atompartei mehr wählen", sagt er.

Er hat die Nase ohnehin längst voll, da es öfters im normalen Betrieb schon zu Stromausfällen komme, vor allem bei Unwettern und Stürmen. Deshalb hat auch er vorgesorgt. Seine Wohnung heizt er über einen offenen Kamin und mit Gas. Er hat sich längst über Solarmodule eine eigene Stromversorgung auf dem Balkon aufgebaut. Im normalen Betrieb versorgen die beiden Module üblicherweise sein Büro und deshalb ist ihm auch ein Blackout ziemlich egal. Er weiß, dass er letztlich mit seinem Verhalten sogar dazu beiträgt, den Blackout zu verhindern. "Dabei wäre das vielleicht ein hilfreicher Schock, damit die Bevölkerung das absurde Atomstrom-Modell in Frage stellt." Denn das geschehe bisher noch nicht wirklich, auch wenn die Kritik mit den steigen Preisen und den Problemen stärker werde.

Energiearmut in Frankreich

Dass es zum Blackout kommt, ist nun aber etwas unwahrscheinlicher als noch 2012. Das hat auch damit zu tun, dass inzwischen erneuerbare Energien etwas gefördert wurden, aber es wurden auch Leitungskapazitäten vor allem nach Spanien ausgebaut. Auf einer Stromkarte kann dabei beobachtet werden, wie Frankreich bei solchen Temperaturen oft am Tropf der Nachbarländer hängt. Derzeit ist es vor allem Spanien, das mit überschüssigem Wind- und Solarstrom das französische Netz stützt.

Vorsorglich wurden aber auch vor dem Jahreswechsel wieder Atommeiler ans Netz genommen, die wie Fessenheim wegen "Unregelmäßigkeiten" abgeschaltet waren, da Sicherheitszertifikate gefälscht worden sind. Der Uraltmeiler sollte ohnehin längst definitiv abgeschaltet sein, wie Hollande im Wahlkampf versprochen hatte. Und das hat er sogar noch erneut bekräftigt, nachdem im vergangenen Frühjahr bekannt wurde, dass das Atomkraftwerk sogar schon einmal kurzeitig außer Kontrolle war. Ähnliches gilt auch für andere Meiler, die angesichts eines befürchteten Zusammenbruchs des Stromnetzes betrieben werden, obwohl es massive Zweifel an ihrer Sicherheit gibt. Wegen der Vielzahl von gebrochenen Wahlversprechen, haben es sich die Sozialdemokraten bei den Wählern verscherzt und werden bei den Wahlen in diesem Jahr keine Chance haben.

Allerdings sorgen auch leere Geldbeutel vieler darbender Familien in Frankreich dafür, dass das Netz derzeit noch nicht völlig überlastet ist. Denn unter Hollande hat auch Energiearmut im Nachbarland deutlich zugenommen. Drei Viertel aller Franzosen hatten schon bei der deutlich schwächeren Kältewelle kurz nach dem Jahreswechsel erklärt, bei ihnen zu Hause "sei es schon zu kalt, weil die Wohnung nicht gut isoliert, die Heizung kaputt ist oder sie Angst vor einer zu hohen Stromrechnung haben", schrieb die Zeitung Dernières Nouvelles d'Alsace.

Beschrieben wurden dabei schon Fälle, wo Menschen bei 8 Grad in eiskalten Wohnungen saßen. Man mag sich nicht vorstellen, wie kalt es derzeit bei ihnen sein wird, wenn in Straßburg sogar tagsüber die Temperatur nicht über den Gefrierpunkt steigt und in der Nacht in vielen Bereichen sogar zweistellige Minusgrade erwartet werden. Unter der Energiearmut leiden in Frankreich schon 12 Millionen Menschen. Ein guter Teil davon steht schon vor der Frage: Heizen oder Essen?