Die Natur nach dem Verschwinden des Menschen

Lonchophylla robusta. Bild: Hans Hillewaert/CC BY-SA-3.0

Tiere, die von einem Massenaussterben bedroht sind, bräuchten 8 Millionen Jahre, um sich von Menschheit zu erholen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Weltweit gibt es ein alarmierendes Artensterben. Eine neue Studie zu Fledermäusen zeigt: Selbst wenn die Menschen von der Erde verschwinden, bräuchten die Tiere über 8 Millionen Jahre, um sich in ihrem Bestand vollständig zu regenerieren.

Wenn ich nachts im Sommer auf meinem Balkon stehe, huschen sie blitzschnell an mir vorbei: Fledermäuse. In Berlin leben rund 17 Fledermausarten, darunter die Zwergfledermaus (die tatsächlich in eine Streichholzschachtel passt) und der Große Abendsegler. In der Hauptstadt gibt es zehntausende Fledermäuse, allein in der Zitadelle Spandau leben schätzungsweise 11.000 Exemplare.

Fledermäuse haben einen schlechten Ruf. Manche glauben, dass sie Krankheiten übertragen (was in Deutschland allerdings noch nie dokumentiert wurde), manche haben Angst, dass sie sich beim Fliegen in unseren Haaren verfangen (was nicht passieren wird, da Fledermäuse viel zu geschickt fliegen), andere wiederum finden sie einfach nur eklig (eine Studie von 2016 zeigte, dass sich sogar Naturwissenschaftler seltener mit vermeintlich hässlichen Tieren befassen).

Doch Fledermäuse sind äußerst wichtige Nützlinge im Ökosystem: Die Wasserfledermaus beispielsweise, die auch in unseren Breitengraden lebt, ist durchschnittlich 5 cm groß und bringt lediglich um die 10 Gramm auf die Waage. Dennoch kann eine einzige Wasserfledermaus pro Nacht bis zu 4.000 Stechmücken vertilgen, betonen die Initiatorinnen des Projekts "Giftfreies Gärtnern". Würden die Fledermäuse aussterben, hätten wir vielleicht riesige Mückenschwärme am Hals.

Fledermäuse sind weltweit tatsächlich bedroht: Natürliche Lebensräume werden gerodet und der Einsatz von Pestiziden führt dazu, dass Fledermäuse toxisch belastete Insekten fressen. Obendrein führt der Wahn des Menschen, auch die kleinste Mauerritze zu versiegeln - und spiegelglatte, hermetisch isolierte Neubauten zu errichten - bei den Tieren zu einer immensen Wohnungsnot.

Weltweit nimmt das Artensterben zu: Laut dem "Living Planet Report 2016" haben sich die Bestände von Wirbeltieren in den letzten 40 Jahren mehr als halbiert. Allein in Deutschland sind etwa 30 Prozent der Tier-, Pflanzen- und Pilzarten vom Aussterben bedroht; seit 1970 sind bereits 5,6 Prozent der Arten unwiderruflich ausgestorben. Verantwortlich dafür ist größtenteils die konventionelle Landwirtschaft, die mit toxischen Pestiziden und gigantischen Monokulturen alles killt, was da kreucht und fleucht. Kurzum: Der Erde droht derzeit das sechste Massensterben.

Endzeitszenario: Wiederherstellung der vormenschlichen Artenvielfalt

Doch wie lange bräuchten Flora und Fauna eigentlich, um sich von diesem Kahlschlag zu erholen? Genau dieser Frage sind der Evolutionsbiologe Luis Valente vom Naturkundemuseum Berlin und sein Team in der Studie "Recent extinctions disturb path to equilibrium diversity in Caribbean bats" nachgegangen, die im Fachmagazin "Nature" veröffentlicht wurde.

Die Biologen haben die Entwicklung der Blattnasen und verwandter Fledermausarten untersucht, die vor allem in der Karibik heimisch sind. Mithilfe fossiler und phylogenetischer Daten kamen sie zu folgendem Ergebnis: Die meisten Fledermausarten haben das Massensterben der letzten 20.000 Jahre während des Pleistozäns und Holozäns überlebt, wohingegen über 70 Prozent der anderen Säugetierarten damals ausgestorben sind. Doch auf den Großen Antillen sind seit 1493, also seit der Besiedelung durch spanische Kolonialherren 13 von ursprünglich 37 Fledermausarten ausgestorben - und über die Hälfte der anderen Säugetierarten. Die Bedrohung der Fledermäuse geht also eindeutig auf den Einfluss des Menschen zurück, sprich, auf das Anthropozän.

Auf der Basis ihrer zahlreichen Daten haben die Forscher anschließend mithilfe einer Computersimulation ausgerechnet, wie lange die Blattnasenfledermäuse bräuchten, um sich vom menschlichen Kahlschlag zu erholen. Das Resultat ist eindeutig: Die Fledermäuse bräuchten 8 Millionen Jahre, um sich in ihrer Artenvielfalt zu regenerieren. Ähnlich lange bräuchten den Forschern zufolge auch andere Wirbeltierarten - vorausgesetzt, dass es eine ausreichend große Ausganspopulation gibt, auf deren Grundlage sich die betreffende Tierart wieder vermehren könnte. "Der bemerkenswert lange Zeitraum, den es braucht, um ein vor-menschliches Level wiederherzustellen, offenbart die gigantischen Folgen des Aussterbens. Es braucht mindestens 8 Millionen Jahre, um jene Diversität zurückzugewinnen, die in den letzten paar tausend Jahren in der Karibik verloren gegangen ist", so die Forscher.

Die Berechnungen, für die 5.000 verschiedene Szenarien simuliert wurden, beruhen auf der Voraussetzung, dass die bedrohten Tiere von fast jedwedem menschlichen Einfluss befreit wären. Es handelt sich sozusagen um ein Endzeit-Szenario, wo die Menschen vom Planeten Erde verschwinden und sich die Natur ihre ursprünglichen Räume zurückerobert. Städte und Autobahnen würden vermutlich innerhalb von ein paar hundert Jahren überwuchert sein mit Pflanzen. Doch der Bestand der Wildtierarten - den die Menschheit binnen kürzester Zeit und bis heute massiv dezimiert hat - bräuchte Millionen von Jahren, um sich von diesem Schock zu erholen.

I'll say something politically not very correct but I really believe it. I'm not afraid for nature. We're doing a lot of harm to nature, it's terrible. But nature, one day she's going to get nervous and she's going to … phoooosh! […] And we're all going to get out of this fucking planet in one minute! We'll make a lot of problems for nature. She's going to take one million years to cure herself. One million years for nature is one day for us. When we attack nature we're attacking ourselves. Nature is much more stronger than us … We're not going to win this battle, she's going to win.

Manu Chao

Der Sänger und Aktivist Manu Chao hat recht: Die Menschheit kann zwar die Natur in die Knie zwingen, aber nicht besiegen. Doch momentan ist nicht abzusehen, dass wir auch nur ansatzweise aufhören würden, uns den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen. Das Kapital wird gefüttert, während die Natur verhungert. Ich hoffe, dass ich auch noch in einigen Jahrzehnten die Fledermäuse an mir vorbeihuschen sehe - aber ich habe meine Zweifel.

Patrick Spät lebt als freier Journalist und Buchautor in Berlin.