Kaum mehr Chancen auf Einblick in Geheimdienstakten

Verfassungsschutz wehrt Klage gegen Freigabe von Material aus den 1970er und 1980er Jahren ab: Arbeitsaufwand sei zu groß. Revision angekündigt

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Journalisten und Wissenschaftler haben nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln kaum mehr Möglichkeiten, an historische Akten der deutschen Geheimdienste zu gelangen.

In dem Streitfall wehrte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine Klage auf Freigabe von Dokumenten aus den 1970er und 1980er Jahren erfolgreich mit dem Argument ab, der Aufwand bei der Suche der erbetenen Unterlagen stehe in keinem Verhältnis zu dem Auskunftsanspruch. Zudem seien Akten außerhalb der 30-jährigen Sperrfrist vernichtet worden oder befänden sich nicht mehr im Hause. Der Streitfall wird nun in die nächste Instanz gehen.

Geklagt hatte die deutsch-argentinische Journalistin und Buchautorin Gaby Weber. Sie hatte im Juli 2014 beim BfV den Zugang zu sämtlichen Schriftstücke von Mitarbeitern des westdeutschen Inlandsgeheimdienstes verlangt, die zwischen den Jahren 1975 und 1983 in der westdeutschen Botschaft in Argentinien eingesetzt waren. Weber will so herausfinden, ob sich der Verdacht weiter erhärten lässt, dass deutsche Geheimdienstmitarbeiter während der Militärdiktatur in dem südamerikanischen Land (1976-1983) bei der Verfolgung von Demokratieaktivisten mit argentinischen Diensten zusammengearbeitet haben.

Weber, die sich seit Jahren mit dem Schicksal ermordeter Deutscher während der Herrschaft der argentinischen Militärjunta befasst, hatte die Informationen zunächst beim Verfassungsschutz beantragt. Das Amt teilte ihr aber mit, dass in den Altbeständen keine Akten haben ermittelt werden können. Sie könne sich aber mit einer konkretren Anfrage wieder melden. Für Weber ein klarer Widerspruch: Wenn es keine Akten gebe, weshalb fordere sie der Inlandsgeheimdienst dann zur erneuten Anfrage auf?

Vor dem Kölner Verwaltungsgericht stellte es die BfV-Vertreter so dar: Von alten Akten würden lediglich Schlagworte in Excel-Tabellen erfasst. Die Suche in dieser Datenbank habe keine Treffer ergeben. Es sei nun nötig gewesen, "Tausende von kleinen Registrierkärtchen" durchzusuchen. Dies wäre ein unzumutbarer Aufwand gewesen. Im Übrigen würden Akten regelmäßig vernichtet, "wenn (sie) nicht von bleibendem Wert und damit kassabel" seien.

Das Kölner Verwaltungsgericht folgte dieser Argumentation nach einer weniger als zweistündigen Sitzung. Grund ist auch eine bedeutende Ausnahme, die Weber klären will: Das deutsche Informationsfreiheitsgesetz nimmt, anders als etwa eine entsprechende Regelung in den USA, die Geheimdienste von Auskunftspflichten grundsätzlich aus. Der Argumentation Webers, das Bundesarchivgesetz umfasse auch den Zugang zu den Findmitteln einer Behörde, zu denen auch interne Dateien zählten, folgte das Gericht nicht. Die Richter gaben dem Verfassungsschutz Recht, der einen zu hohen Aufwand geltend machte.

Bliebe das Kölner Urteil bestehen, gäbe es praktisch keine Chancen mehr, für Forschung oder Berichterstattung an Akten der deutschen Geheimdienste zu gelangen. Schließlich können sich die Dienste zunächst auf die 30-jährige Sperrfrist berufen. Vor allem aber können Akten binnen dieser Frist nach eigenem Gutdünken geschreddert werden. Und das Kölner Urteil bedeutet in letzter Konsequenz auch: Wenn eine Behörde die spätere Einsicht in unbequeme Akten verhindern will, kann sie diese Dokumente einfach unarchiviert in einer Abstellkammer stapeln, um zu einem späteres Zeitpunkt im Zweifelsfall einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bei der Durchsicht geltend zu machen.

Das Verhalten des Inlandsgeheimdienstes steht damit im Widerspruch zu Willensbekundungen (Bundesregierung hält Akten zur Diktatur in Argentinien unter Verschluss) des Ex-Außenministers und wahrscheinlichen nächsten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Dieser hatte, zumindest in Bezug auf das Auswärtige Amt, eine Öffnung der Archive zu Argentinien versprochen.

Auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag erklärte die Bundesregierung wenig später allerdings: "Alle Akten (in den Archiven des Außenamtes) sind offen und zugänglich bis auf drei Vorgänge, die als Verschlusssachen eingestuft sind, um grundlegende Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu schützen." Weitere Geheimakten zur argentinischen Militärdiktatur liegen demnach in den Archiven des Bundeskanzleramtes und des BND. Beim Auslandsgeheimdienst seien es alleine 40 Aktenbände.