Österreich first: Regierungskoalition stellt neues "Arbeitsprogramm" vor

Bundeskanzler Christian Kern (l.) und Vizekanzler und Bundesminister Reinhold Mitterlehner bei der Verkündung des Arbeitsprogramms. Bild: BKA/Andy Wenzel

Mindestlohn von 1500 Euro, mehr Jobs, weniger Einwanderer, mehr Überwachung und keine neuen Schulden sollen die FPÖ ausbremsen

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Deutsche Parteien werden sich genauer anschauen, wie die SPÖ und die ÖVP, die in Österreich noch die Regierungskoalition stellen, die sich im Aufwind sehende Konkurrenz von Rechts ausrangieren wollen. Die FPÖ ist für die deutsche AfD nach der Abspaltung der bedeutungslos gewordenen Alfa-Partei von Luke, ein Vorbild. Erst kürzlich feierte man in Koblenz nach dem Wahlsieg von Trump die große Gemeinschaft der rechten europäischen Parteien der "Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF) und strebte ein "alternatives Europa" an (ENF-Treffen: Patrioten mit viel Feind, aber ohne gemeinsamen Plan).

Um ihre Wiederwahl zu sichern, haben sich die beiden Regierungsparteien nun ein Arbeitsprogramm verordnet, das in den nächsten eineinhalb Jahren abgearbeitet werden soll. Kosten soll es vier Milliarden Euro, wovon 2,8 Milliarden durch Einsparungen und der Rest durch den erhofften Aufschwung finanziert werden sollen. Das dürfte schon mal den investierten Optimismus deutlich machen.

Sich selbst auf die Schnelle finanzierende Investitionen sind wohl immer mit Skepsis zu begegnen, offenbar soll mit allen Mitteln vermieden werden, Steuern zu erhöhen oder neue Kredite aufzunehmen: "Die Projekte stehen unter der Prämisse einer Senkung der Steuer- und Abgabenquote sowie einer Reduktion der Schuldenquote. Die Gegenfinanzierung der Maßnahmen wird gesichert", heißt es im Programm.

Die SPÖ sieht in dem Programm vor allem ihre Inhalte durchschlagen, die ÖVP stellte "klare bürgerliche Inhalte", also ihre Themen in den Vordergrund. Während die ÖVP die Eindämmung der Einwanderung, den Ausbau der Überwachung und Sicherheit und Integration als Themen anpreist, steht für die SPÖ Arbeit und Soziales an der Spitze. Beide preisen den Abbau der kalten Progression an, die Förderung von Startups und die "Kultur des Scheiterns". Eine Asylobergrenze wurde nicht beschlossen, dafür sollen die Grenzkontrollen ausgebaut werden, die Einwanderung soll "massiv" begrenzt, die Abschiebung beschleunigt werden.

Vieles wird versprochen, kaum vorstellbar, dass dies alles auf die Schnelle umgesetzt werden kann, ohne dass ein Präsident wie Trump einen Erlass nach dem anderen unterschreibt. Angestrebt wird ein Mindestlohn von mindesten 1.500 Euro bis Ende Juni 2017. 70.000 neue Jobs sollen geschaffen werden, u.a. durch die Senkung der Lohnnebenkosten um 50 Prozent für jeden neu Angestellten, d.h. die Kosten werden vom Staat den Unternehmen erstattet. 200 Millionen Euro fließen in eine Beschäftigungsgarantie für Langzeitarbeitslose über 50, deren Kündigungsschutz gleichzeitig gelockert werden soll.

In der Digitalisierung soll Österreich trumpfen und "5G-Vorreiter" werden: ultraschnelles Internet für alle Schulen und KMU bis 2020, Gratis-Tablets und Laptops ab 2018; in den Schulen sowie digitale Grundbildung ab der Volksschule (Schule 4.0). Ab 2018 soll es auch ein zweites verpflichtendes Gratiskindergartenjahr geben. Einiges bleibt sehr vage: Entbürokratisierung, klarere Verantwortungsstrukturen zwischen den Gebietskörperschaften, Vermeidung von Gewinnverschiebungen oder der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus durch "Mobilisierung" von Privatkapital. Die SPÖ sieht auch im "Abbau langer Wartezeiten auf Computertomographie- und Magnetresonanz-Untersuchungen" und in der "Erhöhung der Zahl der Therapieeinrichtungen für psychische Gesundheit" wichtige Errungenschaften.

Massive Reduzierung der Einwanderung

Die ÖVP setzt stark auf Law & Order und Anti-Eiwanderungsmaßnahmen, die sich vornehmlich gegen Muslime richten. Verpflichtende "Deutsch- und Wertekurse", Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum, Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst sollen FPÖ-Anhängern entgegenkommen. Neben den elektronische Fußfesseln für Gefährder wird auf den Ausbau der Überwachung gesetzt: Registrierung von Prepaid-Wertkarten, Ausbau und Vernetzung der Videoüberwachung, elektronische Kennzeichenerfassungssysteme für Fahndung und Grenzkontrollen oder Vorratsdatenspeicherung (Quick freeze). Die Gründung von oder die Betätigung in "staatsfeindlichen Bewegungen" soll bestraft werden können, sexuelle Belästigung in Gruppen sollen ebenso härter bestraft werden wie Angriffe auf öffentlich Bedienstete.

Zwar wurden bei den Staatsanwaltschaften Sonderreferate für "extremistische Strafsachen" eingerichtet, um bei "Hasspostings in sozialen Medien und anderen Straftaten im Internet eine effiziente Strafverfolgung zu gewährleisten", in Österreich scheint die Aufregung über Social Bots und Fake News aber noch nicht angekommen zu sein, die die vor Wahlen stehenden Regierungen in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden umtreibt. Naja, nicht ganz. Muna Duzdar, Staatssekretärin im Bundeskanzleramt (SPÖ), die gegen gegen Desinformationskampagnen vorgehen will, sagt: "Also gegen die Verbreitung von Unwahrheiten und Fake News. Die Politik kann da nicht einfach zuschauen. Spätestens beim Ausgang der US-Wahlen hat man gesehen, welche Rolle Social Media hat."

FPÖ-Chef Strache fordert weiterhin Neuwahlen und bezeichnet das Programm als "schales Kompromisspapier". Allerdings scheint ihm damit schon ein wenig die Luft abgeschnitten worden zu sein, wenn er im Wesentlichen lamentiert: "Ein großes Werk sieht anders aus.“ Die Koalition wolle "mit Absichtserklärungen und Überschriften weiterwursteln".