Trumps Muslim Ban und Europas Scheinheiligkeit

Massimo Sestini/Italienische Küstenwache

Auch in Europa wird eine "Flüchtlingspolitik" verfolgt, die Trumps ausgrenzender Politik gefährlich nahe kommt

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Bundesinnenminister de Maizière propagiert schon seit Monaten, man könne Geflüchtete doch in sogenannte "sichere Herkunftsorte" zurückweisen - angeblich sichere Regionen in unsicheren Ländern. Damit meint er beispielsweise Regionen in Afghanistan, in die er sich selbst nur mit schusssicherer Weste trauen würde.

Am Rande eines informellen Ministertreffens in Malta wiederholte er ähnliche Forderungen. So müsse man darüber nachdenken, dass man alle, die sich "auf Schlepper eingelassen haben", an einen "sicheren Ort außerhalb Europas" bringe. Diese "Zurückweisungen" (Refoulement) widersprechen nicht nur dem Völkerrecht. Sie widersprechen auch jeglichen menschenrechtlichen Standards. Denn die "sicheren Orte außerhalb Europas", die de Maizière sich erträumt, sind eine krasse Umdeutung der Realität. So schlägt Deutschland beispielsweise Ägypten für eine EU-Migrationspartnerschaft vor und berät dort Grenzpolizisten für eine "menschenrechtsgerechte Praxis". Gleichzeitig betreibt Ägypten 64 Migrantenknäste. Die Flüchtlinge werden dort eingesperrt und kriminalisiert, damit sie nicht in Europa ankomme können. Deutschland will also mit einem Staat kooperieren, der die Menschenrechte von Geflüchteten auf krasse Weise missachtet.

Und um in Libyen, einem der Haupt-Transitländer für Geflüchtete, für "sichere Orte" zu sorgen, müsste de Maizière gut bewachte Lager aufbauen, da das Land nach dem Bürgerkrieg noch immer im Chaos versinkt (EU-Flüchtlingspolitik). Geflüchtete Afrikaner werden dort von lokalen Banden und staatlichen Sicherheitskräften misshandelt und ausgeraubt. Auch stellt sich die dringende Frage, was mit in den EU-Flüchtlingslagern abgelehnten Asylsuchenden passiert. Sie würden vermutlich weiterhin probieren, nach Europa zu kommen, sagt Gerald Knaus vom Thinktank Europäische Stabilitätsinitiative: "Die EU schlittert in immer radikalere Positionen hinein."

Wenn die Menschen weiterhin versuchen, nach Europa zu kommen, treibt man sie erneut in die Arme von Schleppern, die sie bis zur Überfahrt in Privatgefängnissen unterbringen. Deutsche Diplomaten berichten, dass in diesen Privatgefängnissen KZ-ähnliche Verhältnisse herrschten. "Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort [in Libyen] an der Tagesordnung", so die Diplomaten.

Dass Europa mit brutalen Regimen kooperiert und diesen für ein "besseres Grenzmanagement" (Orwells Neusprech - übersetzt: für die Verhinderung der Auswanderung bzw. des Transits von Geflüchteten) politische Unterstützung zusagt - unter anderen in Eritrea, dem Sudan und Südsudan -, darüber wurde schon berichtet.

Menschenrechtsverletzungen an bulgarischer Grenze - mit deutschem Steuergeld

Doch auch innerhalb Europas werden die Menschenrechte der Geflüchteten mit Füßen getreten. So werden Geflüchtete an der bulgarischen Grenze erniedrigt und misshandelt. Der Kirchenasyl-Koordinator der evangelischen Landeskirche in Bayern, Stefan Reichel, hat die Berichte von über Bulgarien Geflüchteten zusammengefasst. Sie berichten immer wieder dasselbe: überfüllte, dreckige Schlafräume; Krätze und Wanzen; Tritte und Schläge durch Gefängniswärter oder Polizisten; Trinkwasser aus der Toilette; beißende Hunde; Erniedrigungen, wenn sich Flüchtlinge vor Fremden nackt ausziehen müssen; schlechte medizinische Versorgung. Viele seien durch das in Bulgarien Erlebte stärker traumatisiert als durch das im Heimatland.

Recherchen von Oxfam und Human Rights Watch beschreiben, dass Polizisten Geflüchtete mitunter mit gezogener Waffe bedrohen und ihnen dabei sogar die Pistole an die Stirn drücken. Immer wieder kommt es zu Gewalt gegen Geflüchtete und in mindestens einem Fall wurde ein Flüchtling erschossen.

Human Rights Watch hat für eine Recherche 45 Asylsuchende befragt und 26 von ihnen berichteten von Polizeigewalt und Bissen von Polizeihunden. 44 von den 45 Befragten berichten davon, von Sicherheitskräften bestohlen worden zu sein. Diese Menschenrechtsverletzungen halten schon seit vier Jahren an, obwohl Human Rights Watch und andere darüber wiederholt berichtet haben.

Sinisha, 22 Jahre, aus Afghanistan, berichtet über einen Vorfall im November 2015:

We saw the police car and started running. We heard a kid screaming behind, turned around, and saw the dog biting him. We stopped and saw how the dog dragged him about 15 meters, viciously biting him, he wouldn’t let go. Then, about eight police officers came and one started beating the kid while the dog continued biting him…Then the police told the dog to stop biting but grabbed my friend and had the dog bite his arm. Then another police hit me on the head with the butt of his gun. It bled badly. I asked the police for a napkin to wipe the blood from my face but instead he kicked me on the leg…They took two mobiles, my money and new shoes…They brought us by police cars to the border and took wooden sticks and started hitting all of us and made us cross the border to Turkey.

Sinisha

Bulgarien ist ein EU-Staat, somit sind diese Missachtungen der Menschenrechte von Geflüchteten auch ein EU-Problem. Höchst problematisch ist auch die jahrelange finanzielle Unterstützung des bulgarischen Grenzsystems von Seiten der EU. So erhielt Bulgarien zwischen 2007 und 2013 38 Millionen Euro (auch aus deutschen Steuergeldern), um die Außengrenze zu überwachen. Darin enthalten waren unter anderem Kameras und Bewegungssensoren. Die ganze Grenze wurde durch diese Investitionen so umgestaltet, dass sie überwachbar ist. Gerätschaften wurden installiert, die es den Grenzbeamten erst ermöglichen, Geflüchtete aufzuspüren und dann zu misshandeln. Da mit den Geldern auch bulgarische Grenzsoldaten ausgebildet wurden, muss die Frage erlaubt sein, warum dabei solch gravierende Menschenrechtsverletzungen zustande kommen.

Am Fall Bulgarien zeigt sich zudem die Willkür der europäischen Flüchtlingspolitik. Die Zustände dort sind schlimmer als in Griechenland. Nach Griechenland wird seit Jahren kein Geflüchteter mehr zurückgeschickt, weil das Land völlig überfordert ist. Doch während die Lage in Bulgarien wesentlich gravierender ist, finden weiterhin Abschiebungen dorthin statt.

Unsichtbare Leichen am Grund des Mittelmeers

2016 starben über 5.000 Geflüchtete beim Versuch das Mittelmeer zu überqueren. Das waren so viele Menschen wie in keinem Jahr zuvor. 13 ertrunkene Menschen an jedem Tag des Jahres - Kinder, Frauen und Männer. Während in 2015 jeder 276. Geflüchtete bei der Bootsüberfahrt starb, war es 2016 jeder 41. Und weil Europas Militäroperation EUNAVFOR Med einen Fokus auf die Zerstörung von Schlepperbooten legt, ersetzen die Schlepper ihre zerstörten Holzboote bei der nächsten Überfahrt durch billige, aufblasbare Boote.

Doch die Leichen am Grund des Mittelmeers sind unsichtbar. Ein Präsident Trump, der laut und populistisch auftritt, ist sichtbar. Deswegen wird er in den Medien und sozialen Netzwerken mit Spott überschüttet und ihm wird mit Abscheu begegnet. Wer aber mit dem Finger - richtigerweise - auf Trump zeigt, muss bei den Zuständen in Nordafrika und Bulgarien, bei dem massenhaften Ertrinken im Mittelmeer mit dem Finger der anderen Hand auf die europäischen Politiker zeigen, die eine ebenso menschenverachtende Flüchtlingspolitik betreiben.