Folter und Massen-Hinrichtungen: Vorwürfe gegen den Amnesty-Bericht

Bild: Amnesty

"In der Dimension unglaubwürdig." Auch ein ehemaliger Gefangener meldet sich zu Wort. Manche sprechen von propagandistischer Fabrikation

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Das syrische Justizministerium hat die Vorwürfe von Amnesty International (siehe Folter und Hinrichtungen: AI erhebt schwere Vorwürfe gegen syrische Regierung) zurückgewiesen. Dies geht aus mehreren Berichten hervor, die sich auf eine Meldung der Nachrichtenagentur Sana beziehen. Diese ist allerdings mittlerweile nicht mehr erreichbar. Auf der englisch-sprachigen Webseite der syrischen Nachrichtenagentur findet sich nur mehr eine Meldung zu einem älteren AI-Bericht, der dem Gegner, den bewaffneten Milizen, welche die Regierung bekämpfen, Folter und Massenmorde vorwirft.

Laut Tagessschau, die wie Reuters von der Reaktion des syrischen Justizministeriums berichtet, werden die aktuellen AI-Vorwürfe als "völlig unwahr" und als Teil einer "Hetzkampagne" eingestuft. Zudem würden Urteile zu Exekutionen in Syrien "nach einer ordnungsgemäßen Bearbeitung und verschiedenen Phasen von Rechtsverfahren gefällt".

Skeptische, bissige Kritik und Propagandavorwürfe

Nun ist es nicht weiter überraschend, dass die syrische Regierung die Vorwürfe, die an sie gerichtet sind, als völlig unwahr zurückweist. Der Amnesty-Bericht war gestern in der weltweiten Öffentlichkeit eine Topnachricht, in den Foren, so sie noch als offene zugelassen werden (siehe dazu Konzentriertes Gejammer: NZZ schließt Kommentarspalte), gab es ähnlich wie bei Telepolis eine Menge skeptischer, wie auch bissiger Anmerkungen, die den Wahrheitsgehalt des Amnesty-International-Berichts starken Zweifel unterzogen, bis hin zu Propaganda-Vorwürfen.

Dies ist der Mischung aus reißerischen Schlagzeilen und einer Bequemlichkeit für gängige Schablonen geschuldet, die den Journalismus von Leitmedien im Fall Syrien auszeichnen, exemplarisch im deutschsprachigen Raum zu sehen etwa am Spiegel-Bericht Todeslager "Mercedes-Stern", der in der Unterzeile aus dem AI-Bericht die naheliegende Botschaft münzt, dass "offenbar ein Teil des Volkes gezielt vernichtet werden soll". Anzumerken wäre, dass der Spiegel immerhin auch die Gegendarstellung der syrischen Regierung referiert.

In der SZ wurde die Weltgemeinschaft ob des Berichts, der ohne jede Spur von Zweifel gegenüber Quellen und Methodik als Tatsache genommen wurde, dafür verantwortlich gemacht, dass in Syrien nichts gegen den Sicherheitsapparat von Assad unternommen werde.

Dubiose Methodik

Anders bei kritischen Kommentatoren des syrischen Krieges. Dort werden Zweifel an der kinohaften Zuspitzung des Berichts geäußert. Wie etwa bei EHSANI2 - hinter dem Pseudonym verbirgt sich angeblich ein syrisch-amerikanischer Banker -, der darauf verweist, dass viele Beobachter von katastrophal überfüllten syrische Gefängnissen wissen, dass Amnesty seit den 1980er Jahren Berichte darüber schreibe und niemand an den beklagenswerten und widerlichen Zustände zweifle.

Allerdings geben die Zahlen, mit denen der Bericht in der internationalen Öffentlichkeit für Furore sorgte, Anlass für Zweifel, die Methode, die zu den hohen Zahlen führe, erscheine dubios, die Hochrechnung problematisch. Dem folgt ein kommentierender Tweet, wonach sich Propagandisten der Demokratie anscheinend an den schlimmsten Praktiken des Schreibgeräte-Terrorismus ("pen terrorism") erfreuten.

Nizar Nayyouf: Teile des Berichts sind "dümmer als dumm"

Aus der Reihe fällt, dass sich auch ein syrischer Oppositioneller, der vor dem Krieg im "Todeslager 'Mercedes-Stern", also im Sidnaya-Gefängnis, interniert war, zu Wort meldete und vieles am AI-Bericht als völlig unglaubwürdig einstuft, manches als "silly beyond silly". Der Mann heißt Nizar Nayyouf und wurde 1991 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er war Mitglied in einer verbotenen Menschenrechtsorganisation und Chefredakteur einer regierungskritischen Zeitung.

Seine langen und ausführlichen Bemerkungen zum AI-Bericht sind auf der Webseite des Angry Arab zu lesen. Es ist eine ganze Reihe von Richtigstellungen und erheblichen Zweifeln an den Schilderungen der Zeugen von Amnesty. Sie fangen an mit der Größe der Gefängnisgebäude, die übertrieben dargestellt würden, und enden mit einer sehr detaillierten Beschreibung der Abwicklung von Prozessen im Gefängnis und den Ungereimtheiten, die sich in der AI-Darstellung zeigen.

Teile des Berichts kommen Nizar Nayyouf wie eine pure Fabrikation vor, konkret etwa, dass Gefangene andere Gefangene auf Geheiß der Wärter vergewaltigen. Solche Vergewaltigungen seien nach seinen Erfahrungen nie vorgekommen (höchstens mit dem Stock) und seien psychologisch unmöglich ("Is it possible for any person in the world to get an erection to rape another person who is tied and is under torture?"). Auch die Gerichts-Zertifikate, von denen im Bericht die Rede ist, seien unglaubwürdig.

Dass AI lediglich von 365 Namen der vielen tausenden Gehängten berichtet, ist ihm ein Hinweis für die Unglaubwürdigkeit des ganzen Berichts. Allerdings fügt er an, dass die Behauptung über Folter und Misshandlungen in syrischen Gefängnissen "generell wahr" sei.

The world has not seen more savage prisons than the 18 prisons of the Iraqi (Saddamist) and Syrian prisons since the times of Nazism and Fascism in WWII. And anything which is reported in this context can be simply believed. We have seen it with our own eyes and lived it personally, although there were orders to--to be fair--that the torture of leftists and nationalists be less severe than the savage torture of Islamists.

Nizar Nayyouf

Die These, dass der AI-Bericht fabriziert ist, wird im Blog "Moon of Alabama" mit der größten Akribie ausgeführt. Dort wird nicht nur die Methodik der Hochrechnung demontiert, sondern auf mehrere Schwierigkeiten mit dem Bericht eingegangen.

Seltsame Quellen

Problematisch sei die Positionierung der Zeugen, die über Telefon und in der Türkei befragt wurden, dass AI auf Angaben von NGOs rekurriere wie z.B. dem Syrian Network for Human Rights, das alles andere als neutral gegenüber der Regierung und mit Geldgebern wie auch Geheimdiensten im Westen verbunden sei.

"SNHR is known for rather ridiculous claims about casualties caused by various sides of the conflict. It is not know what SNHR qualifies as civilians - do these include armed civil militia? But note that none of the mostly civilians SNHR claims to have died in the prison are said to have been executed. How is it possible that a organization frequently quoted in the media as detailed source of casualties in Syria has no record of the 5,000 to 13,000 Amnesty claims were executed?"

Angemerkt wird auch, dass Details in den prozedurale Abläufen "ungewöhnlich" und unglaubhaft sind, wie zum Beispiel die Einschaltung des Großen Mufti bei Todesurteilen, Das sei unwahrscheinlich. Das große Manko liege schließlich darin, dass viele Stellen im Bericht mit Hörensagen gefüllt wurden, also keinen verlässlichen Aussagen aus eigener Erfahrung und Anschauung.