Griechenland: IWF fordert Besteuerung der Einkommen unter der Armutsgrenze

Finanzminister Euklid Tsakalotos. Bild: W. Aswestopoulos

Das Spiel mit dem Grexit wird zum Wahlkampfthema

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Die Kreditgeber haben in der aktuellen Grexit-Debatte das geschafft, was in der mittlerweile acht Jahre langen Wirtschaftskrise in Griechenland noch nie vorgekommen ist. Vier frühere und aktuelle Finanzminister aus der Zeit der Krise des Landes aus unterschiedlichen politischen Lagern und mit verschiedenen politischen Motiven und Ideologien sind in der Ablehnung des Taktierens und der Forderungen der Troika einig. Ein vierter, dessen aktive Zeit bereits abgeschlossen ist, hat einen radikalen Lösungsvorschlag kontra zur Troikapolitik präsentiert.

Die Wirtschaft Griechenlands hofft dagegen, dass eine vom Chef der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, gestartete Initiative eines eilig anberaumten Treffens der Euroworkinggroup am Donnerstag Früchte trägt. Die untereinander zerstrittenen Kreditgeber sind sich in einem einig, sie fordern neue Maßnahmen von den Griechen. Tsipras hingegen beschwört, dass er "keinen Euro Maßnahmen" beschließen würde, während sein Finanzminister Euklid Tsakalotos täglich neue Zugeständnisse gegenüber den Kreditgebern macht.

Der IWF verlangt neue Maßnahmen - lehnt diese aber gleichzeitig ab

Die Fragen sind, inwieweit sich die verhärteten Fronten noch aufeinander zubewegen können, aber auch, ob die griechische Wirtschaft sich von den Folgen des Zanks noch erholen kann. Offenbar ist es für viele der Verhandlungspartner sekundär, ob die griechische Bevölkerung noch in der Lage und willens ist, zum wiederholten Mal mit zusätzlichen Steuern, Gebühren und Einkommenskürzungen konfrontiert zu werden.

In den Statistiken der Kreditgeber, aber offensichtlich auch bei der griechischen Regierung sind Lebenshaltungskosten in Griechenland kein Faktor der Verhandlungen. 1999 lag der offizielle Mindestlohn im Land bei Netto 170.000 Drachmen, was 500 Euro entspricht. Aktuell ist der Mindestlohn auf knapp 400 Euro taxiert. 1999 kostete ein halbes Kilo Brot 60 Drachmen, also 0,17 Euro, heute ist das gleiche Grundnahrungsprodukt für knapp einen Euro erhältlich. Ein Kilo Tomaten, das heute mit 1,30 Euro taxiert wird, war 1999 für 100 Drachmen, also ungefähr 30 Eurocent erhältlich. Für eine Busfahrt in Athen waren vor 18 Jahren 75 Drachmen (22 Eurocent) fällig, heute sind es 1,40 Euro.

Dementsprechend ist bei einer heute verglichen mit damals mehr als dreifach erhöhten Arbeitslosenquote im Bereich von 23 Prozent der Spielraum für das Abschöpfen neuer Steuern mehr als begrenzt. Sie können zwar im Parlament von der Regierungsmehrheit gesetzlich beschlossen werden, ob sie dann jedoch eintreibbar sind, kann durchaus bezweifelt werden.

Es gehört zur Ironie der Rettungsprogramme, dass der IWF in seiner jüngsten Statistik genau dies anprangert, aber die offensichtlich falschen Schlüsse zieht. Der Währungsfonds moniert, dass die Schulden der griechischen Steuerzahler gegenüber dem Fiskus immer weiter steigen. Das läge, so der IWF, an einer zu laschen Haltung der Steuereintreiber. Gleichzeitig beklagt der IWF, dass die Summe der faulen Kredite immer größer wird, was die Banken bei der Vergabe neuer Kredite einschränkt.

IWF: Kürzung der Renten und Erweiterung der Steuerpflicht

Seitens des IWF wird als Lösungsvorschlag die Erweiterung der Steuerpflicht für einen größeren Bevölkerungskreis gefordert. Das soll über eine Absenkung des Steuerfreibetrags geschehen, so dass künftig bereits die Einkommen unterhalb der Armutsgrenze besteuert werden sollen. Hierbei soll jedoch ein niedrigerer Einstiegsteuersatz gelten, statt 22 Prozent wie bisher sollen es für die niedrigeren Einkommen nur sieben Prozent sein. Darüber hinaus fordert der IWF eine Erleichterung von Massenentlassungen, was als Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit präsentiert wird.

Schließlich besteht der Währungsfonds auf eine weitere Kürzung der Renten, obwohl die jüngste Minderung der Ruhegelder erst mit der Rente des Januars 2017 vollständig umgesetzt wurde. Hier setzt die Kritik von Stefanos Manos, dem Finanzminister der Regierung Konstantinos Mitsotakis in den frühen Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts an.

Manos befindet, dass das gesamte System der Sozialversicherungen in Griechenland nicht mehr lebensfähig ist und die ständigen Kürzungen für mehr Chaos als Nutzen sorgen. Er schlägt vor, sämtliche Rentenkassen aufzulösen und die Pflichtbeiträge abzuschaffen. Stattdessen sollten alle Rentner eine von Steuergeldern finanzierte Grundrente von 700 Euro monatlich erhalten. Wer mehr möchte, solle sich privat versichern, so Manos. Mit den gestrichenen Pflichtbeiträgen und den privaten Zusatzversicherungen würde dann ein Wachstumsschock generiert werden, glaubt der liberalkonservative Politikrentner.

Finanzminister Euklid Tsakalotos empfindet die Forderungen des IWF als überzogen und falsch. Ihm zur Seite steht Tsakalotos früherer politischer Gegner, der ehemalige Finanzminister und jetzige Zentralbankchef Yannis Stournaras. Stournaras und Tsakalotos bemängeln zudem, dass der IWF eine ihrer Ansicht nach durch nichts zu begründende Rücklage von zehn Milliarden Euro für eine Rekapitalisierung der Banken fordert. Für Stournaras und Tsakalotos ist der IWF einer der Hauptschuldigen der neuerlichen Krise. Beide bezichtigen den Währungsfonds der Lüge.

Ohne genaue Kenntnis der Zahlen, die beiden konträren Meinungen zu Grunde liegen, muss jedoch bemerkt werden, dass die systemischen griechischen Banken zumindest im Medienbereich ihr Engagement bei der Werbung sowohl vom Volumen als auch von der Zahlungsmoral her erheblich zurückgefahren haben. Zudem sind sie bei der Kreditvergabe sehr zurückhaltend. Es ist also offensichtlich, dass es den Geldhäusern an Geld fehlt.

Der IWF begründet seine Strenge bei der Forderung nach neuen Maßnahmen mit der von den europäischen Kreditgebern, die ein über Jahre festzuschreibendes Primärplus von 3,5 Prozent des BIPs für den Staatshaushalt fordern. Ein Wert, der seit der weltweiten Finanzkrise von keinem Staat der Eurozone auch nur annähernd erreicht wurde.

Auch Jereon Dijsselbloem spart nicht an der Kritik an den Standpunkten des IWF, die er als überholt bezeichnet. Er schließt sich jedoch der Meinung seines deutschen Amtskollegen, des Bundesfinanzministers Schäuble, an und sieht ohne den IWF keine Möglichkeit das dritte Programm fortzusetzen. Auch Dijsselbloem muss sich, ebenso wie die Bundesregierung, allerdings bereits schon im März Wahlen stellen. Eine Nachgiebigkeit gegenüber den Griechen könnte die niederländische Regierung in der Wählergunst gegenüber dem Rechtspopulisten Geert Wilders weiter verlieren. Die Griechen erhielten daher die Botschaft "Ohne den IWF im Programm - vergesst die Niederlande". Die Positionen des IWF werden durch zahlreiche Kommentare von internationalen Wirtschaftsjournalisten wie zum Beispiel bei Bloomberg gestützt.