Podemos-Projekt am Abgrund?

Podemos-Aktivisten (2014). Foto: Podemos Uvieu / CC BY 2.0

Bei der Empörten-Partei fliegen die Fetzen, Schlammschlachten und Machtkämpfe haben sie so geschwächt, das schon von "Selbstmord" gesprochen wird

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Eigentlich soll auf dem Kongress der neuen Linkspartei "Podemos" ("Wir können es") am Wochenende das Werkzeug für den "Wandel" in Spanien entstehen. Doch angesichts der massiven Konfrontationen, die das Projekt erschüttern, auf das viele Hoffnungen in ganz Europa gesetzt wurden, ist nicht einmal auszuschließen, dass sich die neue Partei spaltet. Da sich die linken Parteien in Spanien intern und untereinander zerreiben, können sich die Konservativen freudig die Hände reiben, weil sie weiterregieren können, obwohl sie keine Mehrheit mehr haben.

An diesem Wochenende begeht die Linkspartei mit "Vistalegre II" ihre zweite Nationale Bürgerversammlung. Gut zwei Jahre nach der konstituierenden Versammlung, die im Oktober 2014 ebenfalls in der Stierkampfarena im Madrider Stadtteil Carabanchel stattfand, soll ihr neuer Kurs bestimmt werden. Das Ziel: "unsere politische Orientierung und unser Organisationsmodell an die neue Situation anpassen, um besser die Interessen der breiten Bevölkerung verteidigen zu können".

Eine alternative Regierung schaffen

Gleichberechtigung und die "aktive Beteiligung der Bevölkerung in politischen Prozessen" soll gestärkt und "die Austeritätspolitik beendet" werden. Dafür müsse die rechte Volkspartei (PP) entmachtet und eine "alternative Regierung im Dienst unserer Bevölkerung geschaffen werden".

Das klingt ähnlich wie 2014, als einem dynamischen Projekt, das bei Wahlen schon für Überraschung gesorgt hatte, eine Struktur gegeben wurde. Die Wortwahl war zwar anders, denn im Oktober 2014 wurde noch vom Sturz des "Regimes" oder der "Kaste" gesprochen.

Es wurde auch noch der damalige griechische Oppositionsführer Alexis Tsipras gefeiert, bevor er Ministerpräsident wurde und vor der Troika in die Knie ging. In Vistalegre erklärte er vor den Versammelten: "Gemeinsam können wir die politische Agenda in Europa ändern und für Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen sorgen."

Mit enormer Spannung verfolgte man auch in Spanien die Wahlergebnisse in Griechenland und sicherte der Syriza-Regierung angesichts des massiven Drucks der Troika volle Unterstützung zu.

Von enorm guten Umfrageergebnissen getragen, wurde in Madrid geeint ein Projekt entworfen, das nach den Prognosen sogar die Chance haben sollte, die Parlamentswahlen zu gewinnen. Und so drehte sich, nachdem Syriza umgefallen war, auch der Blick: Nun hoffte der einstige Hoffnungsträger Tsipras darauf, dass Podemos die Macht in Spanien übernehmen würde, damit Griechenland darüber mehr Spielraum erhält.

Doch Tsipras Verhalten hatte schon negative Wirkung auch in Spanien entfaltet. Schwere Fehler von Podemos in einem arroganten Wahlkampf sorgten dann dafür, dass es der Partei nicht einmal gelang, zur zweiten Kraft zu werden.

Wie Wähler vergrault wurden

Obwohl sie im zweiten Wahlgang im vergangenen September dann doch noch gemeinsam mit der kommunistisch dominierten Vereinten Linken (IU) antrat, welcher Podemos-Chef Pablo Iglesias noch vor dem ersten Wahlgang massiv beleidigend vor das Schienbein getreten hatte, gelang es ihr erneut nicht einmal, die Sozialdemokraten (PSOE) vom zweiten Platz zu vertreiben. Dabei waren Bündnisse in den Metropolen Madrid, Barcelona und anderen Städten bei den Kommunalwahlen erfolgreich, doch das Projekt scheiterte bei den Parlamentswahlen.

Der Parteivize Íñigo Errejón sah sich in seiner Kritik an einem Bündnis mit der Vereinten Linken bestätigt. Er will und wollte stets die Breite der Empörten-Bewegung bewahren, aus der Podemos hervorgegangen ist. Er war dagegen, sich klar als Linkspartei zu verorten, weil damit Wähler in der Mitte vergrault würden. Denn in den breit getragenen Kämpfen gegen die Austeritätspolitik war die Bewegung auf der Straße stark.

Tatsächlich gingen sogar gegenüber dem ersten Wahlgang Podemos in der Mitte Stimmen verloren. Zudem haben viele IU-Wähler das Bündnis "Unidos Podemos" (Gemeinsam können wir es) nicht gewählt. Dort haben einige dem Podemos-Chef Pablo Iglesias nicht verziehen, dass er sie noch kurz zuvor als "traurige Linke" bezeichnet hatte, die "im eigenen Saft schmort" und sich in der "Kultur der Verlierer" eingerichtet habe.

Deshalb sollten die "ihre rote Fahne behalten und uns in Ruhe lassen", hatte er die Bündnisversuche der IU vor dem ersten Wahlgang abgekanzelt. Da es Iglesias später auch nicht gelang, mit dem PSOE-Chef als Juniorpartner eine Koalitionsregierung zu bilden, wo sich die Parteirechte sogar gegen eine Duldung gesträubt hat, wurde die leise Kritik am Iglesias-Kurs auch von Seiten seines Parteivizes lauter.

Eine Schlammschlacht

Nun wird seit Wochen in aller Öffentlichkeit eine massive Schlammschlacht ausgetragen. Auch dabei werden die harten und verletzenden Worte benutzt und Töne angestimmt, wie man sie vom Generalsekretär Iglesias kennt. Der Parteimitbegründer Luis Alegre, der lange zum direkten Umfeld des Generalsekretärs gehörte, erklärte zum Beispiel, es gäbe um Iglesias herum eine "Konspirationstruppe", die bereit sei das "alles zu zerstören, um ihre Position in der Hofgesellschaft nicht zu verlieren". Unter ihnen sei nun niemand mehr von denen, "die ihn von Beginn an begleitet haben".

Apelle, in der Öffentlichkeit keine schmutzige Wäsche zu waschen, die schließlich auch von Iglesias kamen, gehen in den Hahnenkämpfen unter, die auch er weiter befeuert. Weil sich nun in der Stierkampfarena in Madrid ein massiver Machtkampf anbahnt, ist zum Beispiel die Nummer Drei der Partei abgesprungen. Die Mitbegründerin Carolina Bescansa und das Führungsmitglied Nacho Álvarez traten zur Seite und kandidieren nicht mehr, weil sie einen "Zusammenstoß von zwei Zügen" sehen.

Ihre Versuche eine gemeinsame Grundlage zu schaffen, seien gescheitert, schreiben Javier Mestre und der Universitätsprofessor Carlos Fernández Liria. Letzterer ist Philosoph und war lange eine ideologische Referenz für Iglesias. Sie sprechen von einem "Selbstmord" und davon, dass viele Sympathisanten längst genervt, wütend und desillusioniert seien und plädierten deshalb für eine gemischte Wahl der Führungsmitglieder über Fraktionsgrenzen hinweg.

Seinen eigenen Beitrag illustriert Liria mit einem Bild, das die Gruppe zeigt, mit der Iglesias aufgestiegen und einst die Partei geführt hat. Er markierte darauf alle, die heute seinen Vize Errejon unterstützen. Das sind bis auf zwei alle. Der Titel des Beitrags lautet: "Umarmungen, aber ohne Lügen."

Der Professor greift darin sogar noch zu schärferen Worten und wirft der neuen Mannschaft um Iglesias vor, den Kongress "als Szenario einer totalen Konfrontation" zu planen, um die "Errejonisten zu vernichten". Er spricht von einem "Klima des Terrors", in dem alle zu Errejonisten erklärt würden, die den Feldzug nicht mitmachen wollten. Einige der Schachzüge würden auch "hinter dem Rücken von Iglesias" durchgezogen.

Errejon stellt die Führerschaft von Iglesias nicht einmal in Frage. Er kandidiert auch nicht für den Posten des Generalsekretärs. Er wirbt sogar dafür, Iglesias erneut zu wählen. Aber er fordert die Basis auf, seine inhaltlichen Vorstellungen zu stützen, um eine breite Ausrichtung der Partei zu garantieren.