Was steckt hinter dem angekündigten Abgang bei Leica? Ein Hintergrund mit Kommentar

Leica gibt bekannt, dass Oliver Kaltner seinen Vorstandsvertrag nicht verlängert und schon wird über die Hintergründe der Entscheidung spekuliert. Warum muss ein Vorstandswechsel am Leitz-Park immer skandalisiert werden?

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Was steckt hinter dem angekündigten Abgang bei Leica? Ein Hintergrund mit Kommentar

(Bild: Leica)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Dr. Christoph Jehle
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Ende Januar war es mal wieder soweit: Leica teilte wie schon viele Male mit, dass der Vorstandsvorsitzende das Unternehmen verlassen werde. Oliver Kaltner habe sich entschlossen, sein Mandat nicht zu verlängern.

Das Bemerkenswerte an dieser Meldung: Kaltner wurde nicht gekündigt, sondern er verlängert seinen Vertrag nicht. Glaubt man Leica-Mitarbeitern – die sich öffentlich nicht namentlich zitieren lassen möchten –, ist dies erst zweimal in der Geschichte des hessischen Optik-Unternehmens geschehen.

Die Ablösung von Vorstandsvorsitzenden erfolgte in der Vergangenheit eher spontan – zumindest aus der Sicht firmenfremder Beobachter. Man erinnere sich etwa an Steven K. Lee: Er wurde im September 2006 zum Alleinvorstand bestellt und bereits im Februar 2008 entlassen. Lees Führungsstil galt als umstritten, seine Entscheidungen als nicht immer leicht nachvollziehbar. Die Weiterentwicklung der Sportoptik soll er beispielsweise eher blockiert als vorangetrieben haben, heißt es.

Auf Lee folgte der damalige Alleineigentümer und Aufsichtsratsvorsitzende Andreas Kaufmann. Dieser wurde im Frühjahr 2009 dann durch Rudolf Spiller als Vorstandsvorsitzender abgelöst und kehrte in den Aufsichtsrat zurück. Aber schon im Herbst 2010 trennte sich Leica von Spiller. Dessen Nachfolger als CEO wurde Alfred Schopf, der seit November 2009 im Leica-Aufsichstrat war. Als Schopf im Frühjahr 2015 gehen musste, vermutete das Manager Magazin, dass er den Performance-Erwartungen des US-Investors Blackstone zum Opfer fiel.

Als Oliver Kaltner dann im April 2015 die Nachfolge Schopfs antrat, schien er mit Blick auf die Internationalisierung des Unternehmens eine gute Wahl: Kaltner war schon seit September 2014 als Vorstandsmitglied für die Ressorts Marketing, Sales und Retail sowie die Weiterentwicklung der Handels- und Vertriebspartnerschaften im Unternehmen tätig. Er kannte Leica und ihm war auf der anderen Seite auch die Sprache und Denkweise des US-Investors Blackstone vertraut. Eine gute Kombination.

Kaltner war in den Vorstand berufen worden, als der Umzug aus der ehemaligen Möbelfabrik in Solms in das neue Werk im Leitz-Park in Wetzlar schon abgeschlossen war. Mit seinem Namen wird die Einführung der spiegellosen Vollformatkamera Leica SL im Jahre 2015 verbunden bleiben. Die brachte Leica mit einem nur rudimentär verfügbaren Objektiv-Sortiment auf den Markt. Die SL ist jedoch sowohl mit den Objektiven der Leica T/TL, als auch denen der Leica S, R und M nutzbar. Zudem sind inzwischen mit Hilfe eines Adapters von Novoflex auch Canon EF-Objektive mit Datenübertragung an der Leica SL nutzbar. Gegen den Willen des Leica-Vorstands hätte Novoflex diesen Adapter sicher nicht auf den Markt bringen können.

Eine echte Kultur-Revolution erlebte Leica Camera mit zwei 2016 verkündeten Kooperationen. Da gibt es die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Smartphone-Hersteller Huawei, der schon kurz nach der Bekanntgabe der Zusammenarbeit die beiden Smartphones P9 und P9 Plus vorstellte. Beide sind mit Objektiven ausgestattet, welche den Namen Leica tragen. Mit diesem Schritt konnte Leica Camera die Marke Leica in einem Umfang in der Öffentlichkeit platzieren, die das hessische Unternehmen alleine nicht hätte realisieren können. So findet sich der Name Leica auf jedem Huawei-Plakat an den Haltestellen des Skytrains in Bangkok. Leica kann damit auch künftige Kunden erreichen, die sich eine klassische Leica aus Wetzlarer Fertigung noch nicht leisten können. Von diesem Weg in das Marktumfeld der Smartphones war auch Leica Camera-Mehrheitseigentümer Andreas Kaufmann überzeugt.

Auch die zweite Ausrichtung hin zu den potentiellen Nachwuchskunden für die Dickschiffe aus Wetzlar erfolgte zur Zeit von Oliver Kaltner als Vorstandsvorsitzendem. Die zur vergangenen photokina in Köln vorgestellte Leica Sofort für die instax-Sofortbildfilme von Fujifilm mag ebenso wie die Huawei-Smartphones nicht am deutschen Fertigungsstandort hergestellt werden. Sie springt jedoch auf den aktuellen Zug der Sofortbildkameras auf.

Es erfolgten jedoch nicht nur Sortimentserweiterungen unter Kaltner, sondern in zwei Fällen sogar ein Schritt zurück. Mit der Leica TL und der Leica M10 erhalten die Leica-Kameras wieder einen kurzen und nachvollziehbaren Produktnamen und verzichten auf die Nennung des in den vergangenen zwei Jahren üblichen Typs.

Wenn Oliver Kaltner jetzt seine Aufgaben bei Leica erfüllt sieht und das Unternehmen mit Ablauf seines Vertrags als Vorstand wieder verlässt, ist das ein völlig normaler Vorgang. Der Vorwurf, Kaltner habe den Mittelständler in der nordhessischen Provinz wie ein Großunternehmen geführt, mag zutreffend sein. Damit war jedoch schon bei seiner Berufung zu rechnen.

Kaltner brachte die Führungskultur aus Unternehmen wie Sony und Microsoft mit. Dies mochte nicht jedem langjährigen Leica-Mitarbeiter gefallen, war jedoch keinesfalls zwingend von Nachteil. Schließlich hat bei Leica nicht nur Kaltner zwei Herren zu dienen wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Da ist einerseits der langjährige Alleineigentümer Andreas Kaufmann, der Leica Camera mit viel Geld, Engagement und Herzblut aus der Krise geholt hat. Auf der anderen Seite ist dies der US-amerikanische Investor Blackstone, aus dem US-amerikanischen Steuerparadies Delaware, der seine Anteile über Zwischenholdings auf den Cayman Inseln, Luxemburg und Frankfurt hält. Als Finanzinvestor drängt Blackstone auf einen deutlich gesteigerten Umsatz, will man beim US-Investor doch seinen Anteil bei passender Gelegenheit gerne wieder mit Gewinn abstoßen. Damit dies gelingt, muss der Umsatz bei Leica Camera jedoch kräftiger ansteigen, als dies in den letzten Jahren der Fall war. Wenn Kaltner erkannt hat, dass die Realität im Fotomarkt und die Wachstums-Vorstellungen des Investors nicht deckungsgleich sind, wundert es nicht, dass er nicht in die Verlängerung geht. (keh)