Türkische Verhältnisse in Oberhausen

Ministerpräsident Yildirim in Oberhausen. Screenshot aus YouTube-Video der AKP

Bei einer Veranstaltung zum Referendum zum Präsidialsystem in der Türkei wurden kritische Medien offenbar gezielt ausgeschlossen

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"Alle, deren Herzen für unser Land schlägt, sagen Ja", war das Motto der Veranstaltung am Samstag in der Oberhausener König-Pilsener-Arena. "Unser Land" ist in dem Fall die Türkei, und "Ja" bedeutet Zustimmung zu der Umwandlung der Türkei in eine Diktatur. In den nächsten zwei Monaten wird um die Stimmen der etwa 1,1 bis 1,4 Mio. wahlberechtigten türkisch-stämmigen Menschen in Deutschland geworben.

Die Rede des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim, der als Hauptredner geladen war, markiert den Beginn eines bemerkenswerten Wahlkampfs, dessen Ende das Referendum über das Präsidialsystem in der Türkei am 16. April 2017 markieren wird.

Der Präsident wäre - sollte sich "Ja" tatsächlich durchsetzen - Staats- und Regierungschef in Personalunion und dürfte den Plänen zufolge künftig einer Partei angehören. Er würde nicht mehr vom Parlamentspräsidenten, sondern von einer vom Präsidenten zu bestimmenden Zahl an Vizepräsidenten vertreten. Zudem wäre er für die Ernennung und Absetzung seiner Stellvertreter und der Minister zuständig. Mit anderen Worten: Er dürfte die Regierung einsetzen (Aufbruch ins Mittelalter).

"Auf einem Schiff kann es nicht zwei Kapitäne geben", so der türkische Ministerpräsident. Nur dass dieser eigentlich der Erste Kapitän wäre - um bei diesem Bild zu bleiben -, sich aber nicht zum Zweiten Kapitän degradiert, nicht einmal zum Matrosen, sondern völlig überflüssig macht. Wenn es nicht so tragisch wäre, wäre es beinahe zum Lachen. Für seinen eigenen politischen Untergang trommelte der türkische Ministerpräsident mit markigen Worten und offenen Drohungen in Richtung Opposition: "Es wird das 'Ja' und Ihr werdet ausgelöscht!"

Harter Tobak. Und das nicht in einer AKP-Hochburg (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) in Anatolien, sondern auf einer Veranstaltung im Ausland. Die in Deutschland lebenden Türken forderte er laut Spiegel zu "sehr hohem Selbstbewusstsein" auf: "Ich möchte, dass ihr Euren Pass der Republik Türkei und eure Identität mit Stolz tragt", sagte er. Zugleich rief er sie dazu auf, Deutsch zu lernen und von ihrem politischen Mitspracherecht Gebrauch zu machen. Auch das klingt bedrohlich - und zwar für den inneren Frieden dieses Landes.

Der Politikwissenschaftler Burak Çopur äußerte seine Besorgnis, dass sich offenbar so viele junge Menschen von der Veranstaltung angezogen fühlten: "Nach den erschreckenden Bildern aus Oberhausen insbesondere von vielen jungen türkischen AKP-Anhängern frage ich mich oft, was ist schief gelaufen in unserem schönen Deutschland, dass gerade junge Migranten der 3. Generation einen Diktator huldigen und für eine islamo-faschistische Ideologie so empfänglich geworden sind, die Kritiker und Journalisten verfolgt und sich für die Todesstrafe stark macht."

"Das hatte etwas Rauschhaftes" fasste WDR-Moderatorin Asli Sevindim die Jubelshow in der "Aktuellen Stunde" zusammen. Dass die Türkei von Pressefreiheit nicht viel hält, hat sie zuletzt mit der Ingewahrsamnahme des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel bewiesen. Bei der Veranstaltung bekamen die Medien eine kleine Kostprobe der türkischen Verhältnisse: Einem Redakteur der Taz wurde trotz Akkreditierung der Zugang zum Saal verweigert. Wie der Spiegel berichtete "meldete auch der türkischsprachige Dienst Özgürüz des Essener Rechercheunternehmens Correctiv via Twitter, seine Reporter seien offenbar nicht eingelassen worden. Zudem beklagte die Reporterin des Redaktionsnetzwerks Deutschland, dass ihrem Übersetzer der Zutritt zur Halle verwehrt worden sei."

Dem Nachrichtenmagazin zufolge habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Treffen mit Yildirim am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz am Samstagmorgen den Fall Yücel laut Regierungssprecher Steffen Seibert "ausführlich angesprochen". Bleibt zu hoffen, dass der von Yücel stets kritisierte Flüchtlingsdeal sie nicht davon abhält, tatsächlich nachdrücklich darauf zu pochen, "im Ermittlungsverfahren gegen den Yücel rechtsstaatliche Regeln einzuhalten". Das würde zunächst einmal seine Freilassung bedeuten.