Mosul: Die Befreiung und die hässliche Fratze des Krieges

Angeblich Mosul nach einem Luftangriff. Bildmaterial Amaq, Twitter

Der irakische Premierminister al-Abadi hat die Offensive auf die dichtbesiedelten Viertel im Westen der Stadt befohlen

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Die Berichte zum Auftakt der nächsten Offensive in Mosul beschreiben eine fürchterliche Situation. Der Sieg der Befreier scheint ausgemacht, auch beim IS dürfte niemand ernsthaft an die Möglichkeit eines militärischen Erfolges gegen die Übermacht der irakischen Truppen und ihren Verbündeten glauben. Aber kampflos geben sie die Stadt nicht auf.

Die irakischen Truppen und ihre Verbündeten sind absolut von ihrem Sieg über den IS überzeugt. Auch dem IS scheint klar, dass er den Kampf um die Stadt über kurz oder lang verlieren wird. Angeblich haben Führungsmitglieder das Weite gesucht. Solche Meldungen sind allerdings nicht mit Fakten unterlegt und Propaganda ist Teil der Berichterstattung.

Gewiss ist, dass es die geschätzt 3.000 IS- Kämpfer (Guardian) der irakischen Armee (ungefähr 30.000 Mann, laut Guardian) auf Kosten der Bevölkerung so schwer wie möglich machen werden, den Westteil der Stadt zu erobern.

Hilfsorganisationen warnen seit Wochen

Dort leben laut UN-Angaben noch etwa 750.000 Zivilisten - wie man spätestens beim Kampf um Aleppo erfahren hat, sind solche Angaben ungenau und von politischen Interessen gefärbt. Wie viele Menschen sich genau im Westen der Stadt aufhalten, steht noch nicht fest. Der Guardian- Bericht gibt 650.000 Bewohner an.

Seit Wochen warnen die UN und Hilfsorganisationen vor einer bevorstehenden humanitären Katastrophe. Die Bewohner am westlichen Ufer des Tigris sind von der Versorgung abgeschnitten, es fehlt an Wasser und Nahrungsmitteln, der Strom fällt regelmäßig aus, Treibstoff gibt es ebenfalls nur spärlich.

Flucht ist aus mehreren Gründen schwierig. Dennoch rechnen die Hilfsorganisationen mit 250.000 bis 400.000, die sich auf die Flucht machen.

Die IS-Milizen haben sich unter die Bevölkerung gemischt, sie ist, wie es die Berichte meist formulieren, zur Geisel der Dschihadisten geworden. Diese halten an der Autosuggestion fest, dass sie "unbesiegbar" sind. Ihre Geschichten erhoffen sich Sieg durch eine göttliche Intervention, die die irakische Armee besiegen wird.

Berichterstattung achtet auf sauberes Bild

Am Wochenende verkündete der irakische Premierminister al-Abadi über das Staatsfernsehen den Beginn der nächsten Stufe der Offensive, mit der eine "neue Morgendämmerung" anbreche. Da alle Brücken vom Ost- zum Westufer zerstört sind oder nicht zu benutzen, greifen die irakischen Truppen vom Süden an. 450 amerikanische Militärberater sind an der Offensive beteiligt.

Vom US-Verteidigungsminister Mattis wird ihre Aktivität zwar als direktes Engagement geschildert, aber zugleich legt er Wert darauf herauszustellen, dass sie zwar in den Kampf eingreifen, aber irgendwie doch eine distanzierte Rolle einnehmen.

Wir sind sehr nah dran, wenn nicht sogar in die Kämpfe verwickelt.

US-Verteidigungsminister Jim Mattis

Auch Kämpfer aus anderen Nationen wie Frankreich sind höchstwahrscheinlich beteiligt. Das kommt dann meist erst hinterher ans Licht.

Die Einnahme der Viertel im Osten zögerte sich bereits sehr viel länger hinaus als geplant. Noch lange nach der offiziell verkündeten und bejubelten Befreiung gab es dort Kämpfe. Ob sämtliche Nester des IS mittlerweile geräumt sind, wie es Darstellungen der aktuellen Situation nahelegen, ist nach einem Bericht der LA-Times zumindest fraglich.

Die irakische Führung wie auch das US-Kommando achtet sehr darauf, dass die Berichterstattung ein gutes Bild abgibt. Von zivilen Opfern und Verlusten in den eigenen Reihen wird kaum oder gar nicht berichtet (vgl. Der saubere Krieg?)

"Alternative" Berichtersattung über soziale Medien

Aus manchmal eingestreuten Bemerkungen in den Berichten wird klar, dass die Verluste unter den Angreifern beträchtlich waren. Über zivile Opfer wird so gut wie gar nicht berichtet. Das geschieht dann in sozialen Netzwerken, wo die andere Seite des Kriegs gezeigt wird - oft mit Bildern der "Nachrichtenagentur" Amaq, die mit dem IS verbunden ist, welche die Eroberung von Mosul als Massaker darstellt.

Grauenhafte Fotos kursieren, häufig von getöteten oder verletzten, unter Schutt begrabenen Kindern. Woher die Fotos genau stammen, ist offen. Die Anklage der Grausamkeit richtet sich gegen alle Seiten - beinahe jede Miliz, die auf Seiten der irakischen Armee kämpft, hat einen eigenen Twitter-Account, so der Eindruck. Dazu kommen Unterstützer der Armee, die eifrig posten.

Auch der IS macht sich die sozialen Netzwerke propagandistisch zunutze - über Accounts, die viel Material von Amaq übernehmen. Aus der Grausamkeit der anderen rechtfertigen die Dschihadisten ihre eigenen Exzesse, die alles noch übertrumpfen wollen. Videos von Opfern des IS, die in einem Käfig eingesperrt in einem Swimming-Pool versenkt werden oder in Reinigungsmitteln ertränkt werden, über die zuletzt auch in Mainstream-Medien berichtet wurde, sind Ausweise dieser "Imagepflege".

Nahkampf, Tunnel und Drohnen

Die Straßen im Osten Mosuls, wo sich auch die Altstadt befindet, sind eng, für gepanzerte Fahrzeuge zu eng, heißt es, nicht einmal mit Hummer-Fahrzeugen gebe es ein Durchkommen. Es wird also auf zermürbende und verlustreiche Straßenkämpfe hinauslaufen. Man erwarte Überraschungen, wird die irakische Seite zitiert.

In diesem Zusammenhang werden Tunnel genannt , die der IS in den letzten Wochen angelegt hat, man spricht von Tunnelsystemen , die von Privatwohnungen ausgehen, wie ein Bericht der New York Times schildert und Versorgung, Schutz und Hinterhalte ermöglichen.

Als zweite Quelle von "Überraschungen" wird der Einsatz von handelsüblichen Drohnen durch den IS genannt, bei deren Bewaffnung und Aufklärungstätigkeit die Dschihadisten es zu erstaunlicher Fertigkeit gebracht haben, wie Berichte anhand der Schilderung von nervösen Blicken Richtung Himmel nahebringen und an den Äußerungen von Militärkommandanten. Befürchtet wird, wie der Guardian berichtet auch, dass der IS Chemiewaffen einsetzen könnte.

Militärtaktisch geht es zunächst um die Rückeroberung des Flughafens Mosul und der Erhöhung Abu Saif im Süden der Stadt. Zwar ist der Flughafen vom IS unbenutzbar gemacht worden, aber er sei trotzdem strategisch von großer Bedeutung.

Unterstützt werden sie von Luftangriffen, die angeblich auf Munitionsdepots ausgerichtet sind. Offiziell heißt es, dass von Angriffen auf Wohnviertel abgesehen wird. Ob dies der Realität entspricht, wird sich zeigen. Schon jetzt macht der IS, wie oben erwähnt, darauf aufmerksam, dass Luftangriffe auf West-Mosul Massaker anrichten.

In den letzten beiden Tagen eroberte die irakische Armee kleinere Ortschaften im Süden der Stadt. Die Eroberung des Flughafens stehe kurz bevor.