Post aus Japan: Das Ende des Volkswirts

Künstliche Intelligenz wird ihn abschaffen, glaubt ein japanischer Volkswirt. Und zwar schon bald. Und er hat Grund zum Zittern: Ostasiens Finanzwirtschaft greift den neuen Trend auf.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Hiromichi Shirakawa ist einer der bekannteren Volkswirte in Japan. Für die Credit Suisse sagt er seit Jahren die Wirtschaftsentwicklung Japans voraus. Derzeit stehen die Zeichen auf Wachstum. Doch für sich und seine Zunft fällt seine Prognose düster aus: "Ich glaube, dass die Gehälter für Volkswirte in den kommenden zehn Jahren drastisch fallen werden", glaubt Shirakawa. Der Grund: Künstliche Intelligenz (KI) werde den größten Teil seiner Arbeit übernehmen.

Und er ist nicht der einzige Ökonom, der sich als aussterbende Art ansieht. Diese Woche traf ich Eric Fishwick, den Head of Economic Research von CLSA, dem Investmenthaus in Hongkong. Auch er meinte anerkennend, dass KI eine grandiose Mustererkennungsmaschine sei. Und Mustererkennung sei es, worum es in dem Job ginge.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Auf den ersten Blick mag der Ersatz des Menschen im wirtschaftlichen Kaffeesatzlesen ein willkommener Trend sein. Die Vorhersagen von menschlichen Orakeln weisen generell eine sehr große Streubreite auf. Maschinen und Algorithmen könnten vielleicht mehr Daten auswerten, besser Beziehungen erkennen und Entwicklungen akkurater vorhersehen als Menschen. Aber die Entwicklung führt zu einer größeren Frage, da Unternehmen, Investoren und Regierungen wichtige Entscheidungen auf der Grundlage von Voraussagen treffen. Wollen wir den Prognosen von Maschinen vertrauen, die wir nicht wirklich zur Verantwortung ziehen können? Die wir nicht einmal mehr durchschauen?

Schon jetzt zu Beginn der Entwicklung der neuen Systeme bemerken die Schöpfer, dass sie nicht immer genau wissen, wie ihre Kreationen Übersetzungen oder andere Aufgaben lösen. Bei volkswirtschaftlichen Prognosen ist es besonders wichtig sicherzustellen, dass die Maschinen im Inneren nicht nur Hühnchenknochen werfen oder virtuelle Hände lesen. Schließlich wird aufgrund der Prognosen reelle Politik entworfen, die reelle Menschen betrifft.

Der Wunsch nach Verifizierung schafft vielleicht neue Berufsfelder, beispielsweise KI-Kontrolleure sowie KI-Neuro- oder -psychologen. Dorthin könnten eventuell Volkswirte und andere Experten migrieren, deren Arbeit von Systemen übernommen wird. Denn um die Arbeit der Systeme bewerten zu können, müssen Menschen mit Fachwissen in den jeweiligen Gebieten ran.

Doch die Rasanz, mit der sich selbst in Japans konservativer Finanzindustrie künstliche Intelligenz verbreitet, lässt eines befürchten: dass ein Großteil von Arbeit, die bisher als qualifiziert angesehen wird, wegfallen könnte.

In Japan hat die Finanzgruppe Sumitomo Mitsui damit begonnen, den Televonverkäufern von Finanzprodukten bei Kundengesprächen Software als Einflüsterer an die Seite zu stellen. Der Plan ist, dass das System in Gesprächen Antworten empfiehlt, die zögerliche Kunden möglichst wirksam zum Abschluss von Verträgen überreden.

Das Projekt begann im vorigen Jahr. Das System wertete dazu Kundengespräche und Vertragsabschlüsse aus. Dieses Jahr sollen weitere Testzyklen durchgeführt werden, um dann 2018 die maschinell aufgerüstete Verkaufsmasche wirklich zu starten.

Auch Japans Versicherer sehen Sparpotenzial. Der Lebensversicherer Fukoku Mutual Life will IBMs System Watson nutzen, um Versicherungsfälle auszuwerten und teilweise zu entscheiden.

Und Japan ist nicht das einzige Land, in dem die Finanzwirtschaft sich auf die neuen Möglichkeiten freut. Laut dem Korea Insurance Research Institute, könnten ab 2022 KI-basierte Chatbots Verkaufsgespräche übernehmen.

Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Japan und Korea zu den treibenden Kräften bei der Verbreitung von KI werden. Denn wegen der rasanten Alterung der Gesellschaft ist weniger Massenarbeitlosigkeit das Problem, als vielmehr Arbeitskräftemangel. Betroffen sind dabei viele Berufe, von einfachen Arbeitern über die Hochfinanz und Taxifahrer bis hin zu Zugführern.

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