Frankreich: Betrugsvorwürfe gegen das Opfer der Polizeigewalt

Polizeinsatz bei der Demonstration zur Unterstützung von Théo, Paris, 23.02.17. Screenshot, YouTube-Video

Das Land der Affären: Die Bewegung, die sich mit Théo solidarisiert, sieht sich nun mit einer Affäre Théo konfrontiert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zu den von der Berichterstattung hierzulande weitestgehend übersehenen Ereignissen der jüngsten Zeit in Frankreich gehören die Demonstrationen, die am vergangenen Sonntag stattfanden. Ihr Thema war die "Korruption der Abgeordneten". Mehrere Tausend in ganz Frankreich nahmen teil.

Die französische Ausgabe der russischen Sputnik-News klärte darüber auf, wer dahinter steckt: Aktivisten von Nuit Debout, deren Proteste gegen das Arbeitsgesetz sie auch hierzulande bekannt machten (siehe "Nuit debout"-Proteste, eine neue Opposition?) und eine damit verbundene Plateform 2016, die laut Kleber, den Sputnik dazu interviewte, eine Menge Arbeit sieht, angesichts der verbreiteten Korruption in Frankreich.

Die dicke Haut der Politiker

In der Publikation Mediapart machte sich neulich ein Journalist die Mühe und zählte die bekannten Politiker auf, die in Affairen verstrickt sind, die mit einer unsauberen Verwendung von Staatsgeldern zu tun haben. Die Aufzählung passte nicht in eine Zeile. Aus der langen Reihe sind hierzulande vor allem bekannt: Sarkozy, Fillon und Le Pen.

Bei allen dreien ist eine gewisse Robustheit oder Resilienz, wie man das gerade nennt, gegenüber den Affairen nicht zu übersehen. Sarkozy hat sich von den drei oder vier oder fünf Affairen, die ihm am Hals hängen, nicht davon abhalten lassen, noch einmal das höchste Staatsamt anzustreben. Fillon, Sieger der konservativen Vorwahlen, hat zuletzt beteuert, dass er Kandidat bleibe, selbst wenn strafrechtlich wegen der Beschäftigungsaffäre, die seiner Ehefrau mehrere hundertausend Euro eingetragen haben, gegen ihn ermittelt werde.

Le Pen hält die Ermittlungen, die gegen sie im Fall von Beschäftigten eingeleitet wurden, die aus EU-Kassen für EU-Arbeit bezahlt werden, aber den allergrößten Teil der Arbeit für Le Pen in Frankreich verrichten, für eine typische EU-Fronde gegen sie. Sie redet nur ungern darüber und lässt sich nicht beirren.

Krawalle vor Gymnasien in Paris und eine Betrugsnachricht

Nun hat auch Théo L., genau genommen seine Familie, eine unsaubere Beschäftigungs-Affäre am Hals. Théo L. ist kein Politiker, sondern er ist, wie man im Journalisten/Politiker-Jargon sagen könnte, ein "politisches Moment", das nun kippen könnte. Sein Name taucht zum Beispiel beim Hashtag #blocuspourtheo auf, der heute die Blockaden vor 16 Pariser Gymnasien begleitet hat. Zuvor hatte der Fall Théo Demonstrationen und Krawalle ausgelöst, die manche zu News-Kino inspirierten (vgl. Fantasmen der Gerüchte-News: "Ganz Frankreich brennt").

Théo L. wurde Opfer einer außergewöhnlichen harten und üblen Polizeigewalt in einem Ort, der als Problemzone bezeichnet wird. Sein Fall wurde bald weit über Frankreich hinaus bekannt und führte zu Demonstrationen, Krawallen und Ausschreitungen. Die Regierung Hollande wie auch die Polizei befürchteten eine Weile, dass die Sache eskalieren könnte (siehe Weiter Krawalle in den Vorstädten). Dann wurde es ruhiger.

Heute, nachdem die Schüler in Paris und anderswo - zum Beispiel in Montpellier - Mülltonnen vor ihren Gymnasien verbrannt, größere Sachbeschädigungen versucht und sich mit der Polizei Scharmützel geliefert hatten (Resultat: 40 Festnahmen) und also eine große und in sozialen Netzwerken wie in Medien gut dokumentierte Krawallshow ablieferten, kam abends die Nachricht, dass gegen die Familie von Théo ermittelt würde.

Fiktive Beschäftigungen

Nach einem Bericht von Le Parisien hatte Théos Bruder Mickael in Aulney-sous-Bois eine Firma gegründet, die die Gewalt im Département bekämpfen sollte. Er erhielt dafür vom Staat für den Zeitraum von Januar 2014 bis Juni 2016 erstaunliche 678.000 Euro als Subvention.

Gedacht war das Geld als staatliche Beihilfe für die Entlohnung von Angestellten. Dreißig Angestellte hatte Mickael L. angegeben, jetzt hat er offensichtlich Mühe gegenüber den Ermittlern zu beweisen, dass sie nicht "fiktiv" waren, wie ihm zum Vorwurf gemacht wird. Bislang sollen die Ermittler nach Informationen der Zeitung keine Spur dieser Angestellten entdeckt haben.

Die Affäre liegt schon länger bei der Staatsanwaltschaft, nämlich seit April 2016. Ein Leak also? Unter den acht Mitgliedern der Familie, die in die Betrugsaffäre verstrickt sind, ist auch Théo. das macht die Sache politisch interessant.

Zwar dürfte den meisten klar sein, dass diese Affäre nichts mit der brutalen Polizeigewalt zu tun hat, der Théo L. ausgesetzt war - zumal er nicht das einzige Opfer ist, sondern sich über den Fall erneut Hinweise auf ein Verhaltensmuster der Polizei in Aulney-sous-Bois ergeben haben. Dennoch hat die Protestbewegung, die an den Fall Théo anknüpft, etwas in den Weg gelegt bekommen, das ihr möglicherweise den Elan nehmen könnte. Es sei denn, sie erweist sich Affären gegenüber genauso "resilient" wie die genannten Profis aus der Politik.