Von der elitären Speerspitze der rechten Bewegung

Demonstration der Identitären Bewegung Österreichs gegen die Einwanderungspolitik. Demonstration_against_Morten_Kj%C3%A6rum_in_Vienna.jpg:Bild: Ataraxis1492/CC BY-SA-3.0

Ein Leak mit Strategie- und Schulungspapieren der "Identitären Bewegung" zeigt die Lücke zwischen Schein und Sein

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Sie wirken hip, jung, cool und wie eine neurechte Spontitruppe. Sie besetzen den Balkon des Grünen-Parteibüros und bejubeln die Besetzung einer ganzen Parteizentrale. Oder sie klettern auf das Brandenburger Tor, blockieren angeblich spontan die geschlossene CDU-Zentrale und steigen auf das Dach des Kölner Hauptbahnhofs.

Sie zeigen Flaggen oder Banner, filmen die Aktionen professionell selbst und verbreiten die zuweilen flott geschnittenen Videos über die sozialen Medien. Doch was so ungekünstelt und abenteuerlich wirkt bei der "Identitären Bewegung" (IB), das dürfte gut strukturiert, sorgfältig vorbereitet und nur selten von Spontanität geprägt sein. Zumindest wird dies aus Texten deutlich, die nun geleakt wurden.

Aus Antifakreisen wurden kürzlich 55 Seiten Strategie- und Schulungspapiere der rechtsextremen IB ins Internet gestellt. Eine Handvoll IB-Vertreter soll die Schriftstücke nach dem fluchtartigen Verlassen eines Lokals in Memmingen (Allgäu) bei Erscheinen von Antifaschisten zurückgelassen haben, so dass diese die Texte quasi erbeuten konnten. Aus dieser Sammlung geht hervor, dass die IB hierarchisch und autoritär strukturiert ist und ihre Aktionen oft stabsmäßig geplant sind, sowohl was die Durchführung und die Absicherung als auch die mediale Umsetzung betrifft. Eine rechte Spontitruppe sind die IB also nicht.

Aus den Papieren geht ebenso hervor, dass die IB absolut elitär auftritt. Alleine deswegen, weil sie meint, die einzig wirksame Strategie für den Umbau respektive einen Umsturz hin zur völkisch-nationalistischen Gesellschaft zu haben, stuft sie sich selbst als Speerspitze der rechten Bewegung(en) ein. Demnach sollen sich alle anderen rechten Gruppen und Bündnisse hinter ihr sammeln beziehungsweise sich ihr unterordnen. Nur in der IB gebe es die "Einheit von politischer Theorie und Propaganda", jede "Aktion und taktische Entscheidung" müsse sich "in eine größere Strategie" einfügen, heißt es.

Identitäre Bewegung sieht sich im "Informationskrieg"

Die hauseigene "Metapolitik", so die Umschreibung, wirke auf das "ideelle Umfeld mit Bildern, Parolen, Ideen und 'Erzählungen', welche die Wahrnehmung der Realität in den Köpfen der Menschen" ändern müsse. Das "metapolitische" Handeln respektive der "metaphysische Kampf" seien "ein Informationskrieg", angegriffen werde "die Legitimität der herrschenden Macht". Man vereine "Gehirn und Faust, Theorie und Praxis". Keine andere Bewegung oder Gruppe aus dem rechten Spektrum "kann das, was wir gerade dabei sind zu machen". Die "Alte Rechte" habe in der "Front" keinen Platz mehr, die IB sei viel effektiver und müsse "alle vernünftigen patriotischen Bewegungen reinholen [,…] die altrechte Subkultur aus der Front raushalten" und den "Feldzug […] mit großen Kampagnen anführen."

Wir […] beherrschen die Medien mit kreativen Aktionen und scharfen Parolen, erweitern dadurch das politische Fenster und ändern die moralische/kulturelle Landschaft. Alle unsere Aktionen sollten die alten Eliten und ihre Politik ihrer Legitimität berauben. Ihre Autorität stinkt und die Menschen sind zum zivilen Ungehorsam bereit […]. Gleichzeitig geben wir eine Erzählung vor, um die aktuellen Ereignisse in ein neues Licht zu stellen […]. Ein metapolitischer Sieg kann nur dann entstehen, wenn [unsere] unerschütterliche[n] Werte und dynamische[n] Aktionen eins sind.

Identitäre Berwegung

Die "Identitäre Bewegung" entstand vor vielen Jahren in Frankreich ("Bloc identitaire" bzw. "Génération Identitaire") und fand Anhänger und Nachahmer in Europa. Die völkisch-nationalistische und rechtsextreme Bewegung, die sich an antidemokratische Vordenker und Protagonisten der "Konservativen Revolution" und dem Militarismus orientiert, versuchte allerdings immer wieder, als nicht extremistisch und schon gar nicht neonazistisch zu erscheinen. Allerdings gab es wiederholt Berichte in den Medien und von Antifa-Recherchegruppen, wonach vereinzelt Neonazis in der IB aktiv geworden seien, sich in deren Umfeld bewegten und sie mit prägten. So wird die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) durch den Verfassungsschutz beobachtet, zugleich gab es immer wieder Medienberichte über eine Nähe zwischen AfD-Vertretern respektive deren Jugendorganisationen und der IB.

In den nun geleakten Papieren werden auch mögliche Mitstreiter der IB genannt, auf die man zugehen müsse. Dabei geht es auch um die AfD, deren Jugendorganisation JA oder Burschenschaften. Da die IB in Deutschland als eingetragener Verein firmiert, könnten Mitgliedsbeiträge, Spenden oder ähnliches zudem steuerlich absetzbar sein. Sollten Fahrtkosten fehlen, wird auf die neurechte "Ein Prozent"-Bewegung verwiesen, die gegebenenfalls finanziell aushelfen könne. Die Schulungspapiere und Vortragsskizzen geben auch darüber Auskunft, wie man mit politischen Gegnern diskutieren soll oder Normalbürger und Interessierte effektiv überzeugen und anwerben kann.