Der scheinheilige Dissens gegen Trump

Bild: Michael Vadon/CC BY-2.0

Nicht das System ist skandalös, sondern nur die Präsenz eines einzigen Mannes

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Zu oft verläuft der Dissens wechselstromartig. Wir empören uns, nicht ohne Grund, über das, was in uns eine natürliche Wutreaktion verursacht, die dann in eine oppositionelle Stellungnahme gipfelt. Dann aber, wenn es ebenso viele gute Gründe für einen Widerspruch und einen energischen Widerstand gäbe, geschieht nichts: Wir nehmen die Geschehnisse einfach still und tatenlos hin.

Oft halten wir Geschehen für selbstverständlich, einfach weil sie erfolgen. Es überwiegt die Gewohnheit, die uns tödlich normal erscheinen lässt, was bei näherer Betrachtung ganz und gar nicht normal ist.

In dieser Hinsicht ist es in der Tat sehr merkwürdig, dass die Amerikaner jetzt erst, also mit Herrn Trump, feststellen, kriminelle Regierungen zu haben. Nur nach dem Aufstieg des "bösen" Kaisers Trump beginnen die Amerikaner mit einem gewissen Nachdruck zu protestieren: Sie machen Formen des Dissenses geltend.

Selbstverständlich sind viele Proteste durchaus zu begrüßen. Trump - das liegt wohl klar auf der Hand - ist eine Figur, die so wenig vorzeigbar ist, dass wirklich nur Frau Clinton schlimmer gewesen wäre. Doch das ist nicht der Punkt. Der Punkt liegt woanders: Wo waren die amerikanischen Demonstranten, als es um Chile und Nicaragua ging?

Oder um Guantanamo und Abu Ghraib? Warum waren die Raketenexporte unter der Demokratie der Progressisten und Liberalen Clinton und Obama in Ordnung; im Gegensatz zum ausländerfeindlichen, homophoben und sogar populistischen Trump? Warum, bitte schön, wurde kein Protest gegen die imperialistische Aggression gegen den Irak von Saddam und Gaddafis Libyen erhoben? Wie lässt sich dieser wechselstromartige Dissens erklären? Ist es Dummheit oder Bösgläubigkeit?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Die Amerikaner widersetzen sich Trump, widersetzen sich aber ganz und gar nicht der imperialistischen, militaristischen und neokolonialistischen US-Politik. Sie widersetzen sich einer einzelnen Person, Herrn Trump.

Ganz so wie zu Berlusconis Zeiten in Italien der Dissens ad personam war. Mehr noch, er diente zur vollen Akzeptanz des gesamten Systems. Nicht das System war skandalös, sondern immer nur die Präsenz eines einzigen Mannes, des Cavaliere Silvio Berlusconi (und jetzt Herrn Trumps).

Die ethischen Bombardierungen, die humanitären Interventionen, der Raketenexport von Demokratie, die Herodes-Massaker von Kindern, die im Namen des Fortschritts bombardiert werden, sind also völlig in Ordnung: Nur dürfen sie nicht vom sexistischen, homophoben und populistischen Herrn Trump durchgeführt werden und nur er darf nicht regieren!

Übersetzung Jenny Perelli

Diego Fusaro, 1983 in Turin geboren, lehrt Philosophie an der Mailänder Universität. Als unabhängiger Freidenker, intellektueller Dissident, der politisch weder rechts noch links anzusetzen ist, verblüfft er seit geraumer Zeit ganz Italien mit seiner eigenwilligen, neoidealistischen Auslegung des Marxschen Gedanken. In seinen Büchern beschreibt er die Widersprüche des Systems und des Lebens des postmodernen Menschen. Fusaro betreibt die Website filosofico.net.