Ungarn: "Verpflichtender Aufenthaltsort" für Flüchtlinge und ein böses Spiel

Zaun an der ungarisch-serbischen Grenze. Foto: Bőr Benedek / CC BY 2.0

Das Parlament verabschiedet ein neues Gesetz zu Transitzonen für Asylsuchende. Dabei geht es um mehr als nur um die Kontrolle der Zuwanderung. Ein Kommentar

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Ungarn setzt neue Härtegrade in der europäischen Flüchtlingspolitik. Am Dienstag stimmte die Mehrheit des ungarischen Parlaments für ein Gesetz, das, wie es der österreichische Standard formuliert, eine "Zwangsunterbringung" vorsieht.

Asylsuchenden, die von Serbien nach Ungarn einreisen, wird ein "verpflichtender Aufenthaltsort" zugewiesen, wo sie die Entscheidung abwarten müssen, zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus dem Gesetz, mit der Ergänzung: "Ausgang wird nur mit behördlicher Erlaubnis erteilt (zum Beispiel für eine medizinische Behandlung)".

An den beiden Ausschnitten kann man bereits gut erkennen, dass die Darstellung eine große Rolle spielt. In manchen Berichten ist auch von einer "Internierung" von Migranten die Rede, etwa beim Spiegel oder bei der deutschsprachigen ungarischen Publikation Pester Lloyd, die der Regierung Orbán sehr scharf und kritisch auf die Finger schaut.

Transitzonen: Das ungarische Exempel

Fügt man dem noch hinzu, dass auch in Deutschland Transitzonen immer wieder ins Gespräch gebracht werden, so zeigt sich, dass die ungarischen Maßnahmen prinzipiell innerhalb dessen stehen, was auch im Land, das die Menschenrechte so hoch hält, als legitimer Ansatz der Flüchtlingspolitik gilt. Der Teufel steckt im Detail. Aber nicht nur dort.

Das ungarische Gesetz steht im Widerspruch zu europäischen Rechtsgrundlagen. Diese schreiben "offene Lager" vor. Dafür hat sich die ungarische Regierung einen juristischen Ausweg ausgedacht, der wohl manche Schenkelklopfer auslöst: Den Flüchtlingen steht jederzeit der Weg zurück nach Serbien frei.

Versucht man die neuen Vorschriften sachlich zu beschreiben, so ergibt sich folgendes Bild: Mit dem neuen Gesetz werden Flüchtlinge oder Migranten, die aus einem benachbarten Land anreisen - meist aus Serbien, manchmal wird auch Rumänien genannt - zu einem Aufenthalt in einer "Transitzone" verpflichtet. Das sind mehrere Container, manche Berichte sprechen von Containerdörfern, die mehrere Hundert Personen fassen, sie werden mit Stacheldraht gesichert. In der Nähe befinden sich Stationen für ungarische Sicherheitskräfte.

Entlang der Südgrenze werden derzeit sechs Forts errichtet, für bis zu 1.200 Soldaten, die zusätzlich zu den 6.500 "Grenzjägern" der Polizei den antimuslimischen Schutzwall und das Hinterland bewachsen sollen.

Pester Lloyd

Derzeit gibt es zwei "Transitzonen" an der Grenze zu Serbien. Die Neuangekommenen müssen in den Containersiedlungen warten, bis ihr Asylantrag bearbeitet wird. Nach dem neuen Gesetz soll dies beschleunigt werden. Es sieht vor, dass die Entscheidung binnen drei Tagen getroffen wird. Jede Person, die das Lager verlässt - außer in Richtung Herkunftsland -, macht sich strafbar und wird von der Polizei "zurückbegleitet". Das Asylrecht ist damit verwirkt.

Aufhebung der 8-Kilometer-Zone für Abschiebungen durch die Polizei

Galt bislang für solche Polizeieinsätze - nominell - eine Zone von 8 Kilometer Entfernung zur Grenze, so weitet das neue Gesetz die Einsatzzone nun auf das ganze Land aus. Prinzipiell behandelt die ungarische Gesetzgebung jeden Flüchtling als "illegalen Einwanderer".

Nun gibt es Erfahrungen, die der ungarische Regierungssprecher Zoltán Kovács äußert, die zum Gesamtbild dazugehören. Bislang, so zitiert ihn die FAZ, habe "praktisch niemand" in den bisher offenen Lagern den Ausgang des Asylverfahrens abgewartet, "denn jeder verschwindet baldmöglichst über die nächste Grenze" - in der Regel nach Österreich und dann gegebenenfalls nach Deutschland, ergänzt die Frankfurter Zeitung.

Ergänzen könnte man auch, dass es zu den Aufgaben des Staates gehört, auf die Grenzen aufzupassen und zu kontrollieren, wer Eingang erhält, und darüber zu bestimmen, wer bleiben darf. Dafür gibt es allerdings rechtliche Rahmenbedingungen, die Ungarn als EU-Mitglied unterzeichnet hat sowie internationale Vorgaben zum Umgang mit Flüchtlingen.

Darüber hinaus stellt sich gerade bei Ungarns Flüchtlingspolitik die Frage, ob es der Regierung tatsächlich nur um Kontrolle geht oder um sehr viel mehr: um eine hässliche Kampagne gegen Flüchtlinge, die mit einer Abwertung von Menschen ein böses Spiel treibt, das weit über das bloße Ziel der Kontrolle der Staatsgrenzen hinausschießt.