Kabul: Der IS widerspricht der Bundesregierung

Screenshot aus einem Taliban-Propagandavideo, Al Farouq Training Camp

Der Terroranschlag auf ein Militär-Krankenhaus kündigt den nächsten afghanischen Alptraum an

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Der fränkische CSU-Politiker Marcus Söder gehört hierzulande zu den zuverlässigsten Lieferanten spektakulärer Aussagen. Im August 2016 forderte er, dass binnen drei Jahren Hunderttausende nach Deutschland gekommene Flüchtlinge in Herkunftsländer wie Afghanistan, Irak oder auch Syrien zurückgeschickt werden müssten. Dort gebe es genügend sichere Gebiete.

Söder hatte dafür zwei Argumente, die nicht so ohne weiteres zu übergehen sind: einmal die auffällige kleine Zahl von Abschiebungen, die im Kontrast zum Unions-Wahlkampf "Rückführungen, Rückführungen, Rückführungen" stehen. "Sammelabschiebungen mit gerade mal 20 Leuten sind ein Witz", sagte er Ende Februar. Und zum zweiten die mittlerweile berüchtigte Einschätzung der Regierung zur Sicherheit in Afghanistan.

Dort wird unter anderem postuliert, dass die "urbanen Zentren durch die afghanische Regierung ausreichend kontrollierbar" sind.

Der IS in Afghanistan hat dem nun widersprochen.

Böse und raffiniert: Der Anschlag in Kabul

Seine Terrormilizen haben gestern mit einem Anschlag auf das Sardar-Daud-Militärkrankenhaus in der Hauptstadt Kabul die Grenzen der Kontrolle aufgezeigt. Der Anschlag forderte, wie die pakistanische Frontier Post berichtete, 30 Todesopfer und ungefähr 50 Verletzte. Die blutige Bilanz ist vorläufig, sie könnte sich als noch schlimmer herausstellen. Das Gleiche gilt für die Einschätzung der Bedrohung.

Der Terrorakt war böse, raffiniert, gezielt und albtraumhaft. Doch trifft das nur die Oberfläche. Wie auch das Argument, dieser eine Anschlag zeige, wie schlecht es um die Sicherheitslage in Kabul bestellt ist, ein oberflächliches ist, dem man mit dem Hinweis kontern könnte, dass gegen Terroranschläge nun mal wenig auszurichten ist. Sie kommen schließlich auch in europäischen Hauptstädten vor. Aber es gibt Hintergründe zum Anschlag, die vermuten lassen, dass sich hinter dem Schock-Ereignis eine weiter gespannte albtraumhafte Entwicklung abzeichnet.

Der Angriff auf das größte Militärkrankenhaus in Afghanistan war augenscheinlich sorgfältig vorbereitet. Vier bewaffnete Männer drangen als Ärzte verkleidet in das Krankenhaus ein und erschossen Patienten, Ärzte und Krankenpflegepersonal, wie der Sprecher des afghanischen Verteidigungsministeriums zitiert wird. Erwähnt wird im Bericht auch, dass eine Autobombe auf dem Parkplatz des Krankhauses hochging.

Sechs(!) Stunden brauchten die per Hubschrauber eilig herbeigeflogenen afghanischen Spezialkräfte, die aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen im Kampf mit Militanten wahrscheinlich keine Anfänger sind, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Danach waren die vier Angreifer tot.

Zwischendrin muss es ein unsagbarer Horror gewesen sein wie Fotos zeigen, die in sozialen Netzwerken herumgeschickt wurden. Auf ihnen sind Menschen abgebildet, die in einiger Höhe auf schmalen Fenstersimsen des mehrstöckigen Gebäudes stehen und hoffen, dass sie verschont werden.

Nicht die Taliban, wie dies die erste Vermutung wäre, haben den Anschlag ausgeübt, sondern der IS, berichten Medien. "Die mächtigeren Taliban erklärten, dass sie nicht hinter dem Anschlag stünden", so die AFP-Info im Frontier Post-Bericht. IS-Kämpfer hätten auf einem "bestätigten Account" des Instant-Messaging-Dienstes Telegram mitgeteilt, dass sie für den Angriff verantwortlich sind.

Konkurrenz zwischen Talibangruppen und dem IS

Die Konkurrenz zwischen Talibangruppen und dem IS ist die erste Spur zum Albtraum im Hintergrund. Die Verwendung von "Talibangruppen" statt "Taliban" ist Absicht. Denn es gab in den letzten Monaten auch Hinweise, dass einzelne Taliban-Gruppen dem IS die Treue schworen. Und wer kann schon mit Sicherheit ausschließen, dass es zu "Kooperationen" oder Übernahmen kommt?

Gewiss ist nach Einschätzung des deutschen Afghanistan-Kenners Thomas Ruttig, dass es die Taliban mit einer Konkurrenz radikalerer Gruppen zu tun haben.

Sein Kommentar macht auf eine in der größeren Öffentlichkeit hierzulande vermutlich noch wenig bekannte Entwicklung aufmerksam: Die Taliban geben sich demnach "humanitärer".

Beinahe als ob sie dem Script der deutschen Bundesregierung folgen wollen, riefen sie zuletzt - hier auf ihrer offiziellen Webseite des "Islamischen Emirats von Afghanistan" zu lesen -, "Geschäftsleute des Landes, internationale NGOs, Länder und die UN" dazu auf, dringend nötige Hilfe in betroffene Gebiete in Afghanistan zu schicken. Der Führer des "Islamischen Emirats" habe die Anweisung erlassen, dass die Mudschahedin im ganzen Land den humanitären Helfern Sicherheit gewähren sollen.

Die Bundesregierung hob humanitäre Helfer aus dem Ausland neben afghanischen Sicherheitskräften und andere Vertreter der Regierung als besonders Gefährdete hervor - afghanische Rückkehrer seien demgegenüber weniger bedroht. Wenn nun gar die Emirat-Taliban die Order ausgeben, humanitäre Helfer unter Schutz zu stellen, dann würde die Lage ja sogar noch sicherer …

Die Order gehört in einen größeren Rahmen, wie bei Ruttig gut nachzulesen ist. Die Taliban stellen sich in einer Imagekampagne als eine Art Parallelregierung vor als Alternative zur Regierung in Kabul. Dabei greifen sie auf soziale Hilfsleitungen zurück wie man sie auch von anderen radikal-islamistischen Organisationen kennt.

Ruttig veranschaulicht diese Entwicklung mit mehreren Beispielen. Auch von einem "humanitären Dialog" zwischen internationalen Organisationen und den Taliban berichtet der er Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN). Den Signalen der Mäßigung, sogar in der Bildungspolitik, fügt Ruttig allerdings eine Einschränkung hinzu, ein "Aber":

Die Taliban-Führung sei nicht in der Lage, ihre Politik immer und überall umzusetzen. Das bedeute ein Risiko für NGOs, die sich nicht voll auf diese Zusicherungen verlassen könnten.

Aus Hilfsaufruf der Taleban - und Angriff auf das Kabuler Militärkrankenhaus