Tod den Schmarotzern!

Darstellung der Trägheit. Bild: Abraham Bloemaert, 1624. Gemeinfrei

Die Arbeitsgesellschaft vergeht, und kurz bevor das wirklich jedem aufgefallen ist, holt sie noch einmal zu einem großen Schlag aus. Ein Kommentar

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Man muss es den Weißrussen lassen: Eine schräge Art von Humor haben sie. Allen, die weniger als 183 Tage im Jahr arbeiten (und entsprechend wenig verdienen), soll eine Sondersteuer aufgebrummt werden. Der Westen sollte nicht zu laut lachen: Er hasst die Betroffenen auf seine Art.

Steuern sind wichtig, aber man kann mit ihnen auch viel Unsinn treiben. Von der Salzsteuer der Briten in Indien bis zur Schaumweinsteuer und zur staatlichen Alimentierung der Kirchen in Deutschland. Soziale Partikularinteressen und Partikularprojekte haben sich immer gerne der Steuerpolitik bedient.

Jüngste fiskalische Ideen aus Weißrussland stehen aber sicher auf der Hitparade der unsinnigen Steuerideen ganz oben: Eine Sonderabgabe soll vor allem jene treffen, die ohnehin schon nichts haben. Was lächerlich klingt, ist aber nicht nur ernst gemeint, sondern hat bei genauerer Betrachtung auch einen tiefschwarzen Hintergrund.

Die Idee einer "Schmarotzersteuer"

Das deutet sich schon in dem Namen des Dekrets an, mit dem der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko die Steuer 2015 etablierte: "Dekret zur Vorbeugung des sozialen Schmarotzertums". Jeder, dem die historischen Anwendungsbeispiele des Begriffs "Schmarotzer" bekannt sind, sollte es bei der Idee einer "Schmarotzersteuer" kalt den Rücken hinunterlaufen. Denn natürlich geht es bei dieser Steuer nicht um nennenswerte Mehreinnahmen für den Staatshaushalt.

Das bringt genauso wenig, wie Bettlern in den Hut zu greifen, und Lukaschenko hat das mittlerweile auch zugegeben. Die wahre Stoßrichtung ist eine andere: Volksverhetzung ist das unmittelbare Ziel einer solchen "Steuerpolitik", Ausmerze ihre Perspektive. Oder, in den Worten Lukaschenkos: "Das ist ein ideologisches, ein moralisches Dekret."

Bezeichnend, wer zu den Schmarotzern gerechnet wird. Die Gesamtheit all derer, die sich nicht der herkömmlichen Arbeitsdisziplin und -taktung unterwerfen können oder wollen, soll namentlich vertreten werden von den Arbeitslosen, die wenigstens in der Regel still sind, und von den Künstlern sowie den freien Journalisten, die bei ihrem unproduktiven Dasein auch noch das Maul aufmachen - die einen, dass man sie nicht versteht, die anderen, dass man sich auch noch über sie ärgern muss.

Der Neid auf kleine Freiheiten

All die Unproduktiven: An ihnen soll sich der Neid der braven Kleinbürger austoben, die nichts anderes kennen und sich auch nichts anderes vorstellen können als fremdbestimmte Arbeit mit einem Lohnsystem, das sie auch dann noch bis aufs Messer zu verteidigen bereit sind, wenn seine bizarre Ungerechtigkeit mit Händen zu greifen ist.

Es ist der Neid auf kleine Freiheiten, die schon immer mit Armut erkauft wurden. Ziel ist es, die Armut so groß zu machen, dass keine Freiheit mehr übrig bleibt. Nach oben hin phantasieren sich die Spießer unter wohligem Gruseln kleine, mächtige Gruppen zusammen, die insgeheim die Weltgeschicke lenken.

Herabschauen dürfen sie auf die Schmarotzer, die Gammler und Trebegänger, die nur nicht bereit zum Buckeln sind, und sich manchmal auch noch über die Ordentlichen, Arbeitsamen, Sauberen und Gehorsamen lustig machen.

Aufgrund des Gegenwinds aus der Bevölkerung hat Lukaschenko jetzt die Vollstreckung seiner brillanten Maßnahme für ein Jahr ausgesetzt. Grundsätzlich an ihr festhalten möchte er trotzdem.

Man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Der Hass auf minimale Freiheiten und ihre angeblichen Nutznießer, der sich hier manifestiert hat, und der eigentlich aus dem eigenen, unterdrückten Wunsch nach Freiheit entstanden ist, kann sich blitzschnell in Gewalttaten entladen. Die Deutschen haben es seinerzeit konsequent zu Ende gedacht: Am Anfang redet man von "Schmarotzern" und am Ende steht der schwarze Winkel auf der KZ-Montur. In der Sowjetunion traf es dann zum Beispiel Künstler wie Joseph Brodsky.